Sex im Alter
Warum gelebte Sexualität im Alter zu Unrecht immer noch mit vielen Vorurteilen behaftet ist, obwohl in ihr viele Chancen liegen, erläutert Psychotherapeutin und Sexualpädagogin Cinzia Cappelletti.
Tageszeitung: Frau Cappelletti, wie viele Personen über 65 Jahre leben ihre Sexualität aus?
Cinzia Cappelletti: In einer Studie, die zwischen 1971 und 2000 in Schweden durchgeführt worden ist, gaben 1971 noch 47 Prozent der Männer und 12 Prozent der Frauen im Alter von 70 Jahren vor, Geschlechtsverkehr zu haben, im Jahr 2000 waren es dann 66 Prozent der Männer und 34 Prozent der Frauen. Jetzt, fast 25 Jahre später, könnte ich mir vorstellen, dass die Zahlen abermals gestiegen sind. Eine Studie aus der Schweiz von 1999 untersucht den Wunsch nach Geschlechtsverkehr und den tatsächlich erlebten Geschlechtsverkehr. Der Wunsch bei über 75-jährigen Frauen liegt bei 50 Prozent, für die Männer bei fast 60 Prozent – tatsächlich erlebter Geschlechtsverkehr im Alter von 75 Jahren liegt bei den Frauen bei 10 Prozent und bei den Männern bei 30 Prozent.
Nimmt diese Zahl mit zunehmendem Alter ab?
Der Wunsch und das Interesse für Sexualität bleiben bis 70 oder 75 Jahre fast gänzlich erhalten. Die tatsächlich erlebte Sexualität sinkt jedoch ab diesem Alter. Heutzutage könnte ich – auch aufgrund der Erlebnisse in meiner therapeutischen Arbeit – sagen, dass viele Menschen bis ins hohe Alter Sexualität leben, wobei es verschiedene Formen von Sexualität gibt. Ausschlaggebend laut der Studien ist nicht unbedingt das Alter, vielmehr hat es etwas damit zu tun, wie Sexualität erlebt worden ist, welche Erziehung einen geprägt hat. Es geht auch viel um Erlaubnis: Darf ich als Frau noch Lust haben und darf ich auch alleine Lust erleben?
Warum ist das Thema Sexualität im Alter immer noch ein Tabu?
Weil Sexualität mit Jugendlichkeit, Beweglichkeit und Feuer gekoppelt wird. Es wird immer noch die jüngere Seite wertgeschätzt, anstatt das Älterwerden. Ältere Personen werden erlebt als Menschen, die mit bestimmten Sachen nicht umgehen können, nicht mehr auf dem Laufenden und eher schwach sind. So ist es auch in der Sexualität. Es ist für viele kaum vorstellbar, dass Menschen im Alter auch eine Sexualität haben. Es gibt wenig Akzeptanz für Sexualität im Alter und wenn, dann in der Ehe.
Wie kann man Sexualität im Alter enttabuisieren?
Ein guter Schritt ist sicherlich, eine Tagung zu diesem Thema zu machen, zu reden und Menschen die Erlaubnis zu geben. Sexualität im Alter kann gut gelebt werden, wenn Menschen sich selbst annehmen. Wenn ich mit meinem Körper hadere und mit meinem Älterwerden nicht umgehen kann, dann kann ich schwer mit meinem Körper genießen. Für die Männer ist auch das Thema Leistungsdruck sehr bestimmend, weil im Alter die Erektion schwächer wird, die Zeit zwischen einer Erektion und der nächsten wird länger. Es geht um Berühren, um Lust, aber auch darum, sich Zeit zu lassen, den Leistungsdruck wegzunehmen. Das ist auch die Chance von Sexualität im Alter. Eine andere Form von Sexualität und Begegnung zu leben, sich selbst kennenzulernen.
Suchen Personen über 65 Jahren mehr nach Liebe oder auch nach Sexualität?
Für viele Menschen ist das nicht zu trennen. Manchmal sind die Bedingungen aber sehr schlecht – vor allem für Frauen. Frauen habe eher Schwierigkeiten Sexualität ohne Liebe, ohne Beziehung zu leben. Sie werden älter als Männer, sie sind viel früher verwitwet. Zahlen für Südtirol belegen, dass von den über 75-Jährigen 78 Prozent der Männer noch mit der Partnerin leben, aber von den Frauen sind 42 Prozent allein, also nicht in einer Beziehung. Diese finden schwer einen Partner, weil Frauen im Alter ärmer sind als Männer, so dass sie weniger Möglichkeiten haben, auszugehen und neue Partner kennenzulernen. Die Selbstberührung kommt für viele alte Frauen aus ethischen, moralischen, religiösen Gründen überhaupt nicht in Frage im Gegensatz zu den 60- bis 65-jährigen Frauen, die dem mit einer viel größeren Offenheit begegnen.
Wie gehen Seniorenwohnheime mit diesem Thema um?
Es gibt unterschiedliche Sensibilitäten in Seniorenwohnheimen. In einigen gibt es die Möglichkeit, die Tür abzuschließen oder ein Einzelzimmer zu haben, um intim zu werden. Das Personal geht dezent mit diesen Situationen um. Aber es braucht auch Fortbildung, um Vorurteile abzubauen, beispielsweise gilt ein älterer Mann, der Sexualität leben möchte, schnell als Lustmolch. Man muss in Seniorenwohnheimen Möglichkeiten schaffen, dass Sexualität gelebt wird, ohne dass Übergriffe stattfinden.
Wie kann man den vielen Vorurteilen, mit denen ältere Personen hinsichtlich Liebe und Sexualität konfrontiert sind, begegnen?
Es sollte vermittelt werden, dass Sexualität im Alter etwas ganz Normales ist und auch gesund, ohne dass es zur Pflicht wird, denn es gibt auch Menschen, die Sexualität nicht mehr leben wollen. Zwischen Verbot und Pflicht sollte es immer mehr Offenheit geben für das, was Menschen selber für sich entscheiden und aussuchen.
Interview: Sandra Fresenius
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Kommentare (6)
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hallihallo
Heute lassen wir den expeeten pingo und opa das wort
hermannh
hallihallo: genau mein Gedanke 🙂 🙂
Wenn es bei der Sache besser laufen würde, wäre der Günther (alias bingobongo, alias opi & alias ummagumma) nicht so frustriert 🙂
opa1950
Nur zu ihrer Beruhigung.Opi ist noch sehr aktiv und bei der Sache wie sie es nennen läuft es noch ausgezeichnet.
dn
Na hoffentlich läuft noch was im Alter.
tirolersepp
A glasl guaten Wein tuats a !!
opa1950
Jedem das seine. Jemand bevorzugt ein Glasl Wein,ein anderer liebt den Sex.