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Postkoloniale Perspektiven

Lucrezia Cippitelli und Simone Frangi: Suche nach der Nahtstelle der europäischen und afrikanischen tektonischen Platten. (Foto: Lucas Batliner)

Nach dem vorzeitigen Abgang von Judith Waldmann übernehmen Lucrezia Cippitelli und Simone Frangi die künstlerische Leitung von Kunst Meran. Im Zentrum ihrer Programmplanung stehen postkoloniale Perspektiven.

Das Thema hat, wie zahlreiche Publikationen und Ausstellungen der vergangenen Jahre belegen, international Konjunktur: Postkolonialismus. Für manche ist es das Schreckens-, für andere das Heilswort, das den Übergang von der kolonialen zur postkolonialen Globalisierung begrifflich zu fassen versucht. Der Umgang mit dem kolonialen Erbe Europas ist eine der großen, wenn nicht die größte Identitätsdebatte unserer Zeit, schließlich geht es um nichts weniger als um die Zukunft in einer Welt, in der Europa nur mehr eine Nebenrolle zu spielen droht. Die Rückgabe von Raubkunst, fortdauernde rassistische Weltbilder, wirtschaftliche und ökologische Ausbeutung sowie der Blick auf westliche Schandtaten in der Kolonialzeit sind die wichtigsten Teile eines breiten Diskurses über koloniales Erbe.

In der internationalen Kunstszene steht die postkoloniale Perspektive schon seit Jahren im Gravitationszentrum – jetzt geht auch Kunst Meran das Thema entschlossen an. Die nach dem vorzeitigen Abgang von Judith Waldmann als neue künstlerische Leiter bestellten Lucrezia Cippitelli und Simone Frangi stellen postkoloniale Perspektiven explizit ins Zentrum ihrer Programmplanung. Das habe, so Martina Oberprantacher, Direktorin von Kunst Meran, eine wesentliche Rolle in der Entscheidungsfindung gespielt: „Was uns an Cippitelli und Frangi überzeugt hat, war ihr besonderes Gespür für wichtige soziale und politische Fragen auf ästhetischer wie auch intellektueller Ebene.“

Die Insubrische Linie

Ihr Dreijahresprogramm steht unter dem Titel „The Invention of Europe. A tricontinental narrative“, die Auftaktausstellung im Juni 2024 trägt den metaphorischen Titel „Die Insubrische Linie“. Der Projekttitel ist angelehnt an „The Invention of Africa“ des kongolesischen Philosophen Yves Valentin Mudimbe und ist ein Blick auf die Erfindung Europas nicht nur als ideologisches Gebilde, das seit der Renaissance von innen wie von außen aufgebaut wurde, sondern auch als materielle Realität, die die Grenzen nicht zuletzt dank des Kolonialismus, Extraktivismus und Gewalt gezogen hat. Es gehe, so Cippitelli und Frangi, darum, kritisch über die Idee eines einheitlichen, monolithischen Europas und seine Selbsterzählung nachzudenken. Die Gruppenausstellung The Insubric Line / Die Insubrische Linie / La Linea Insubricaversammelt mehrere künstlerische Positionen, die sich mit der spekulativen Vorstellung von  der Insubrischen Linie – einem Geopunkt, der durch die Stadt Meran verläuft – beschäftigen. Die Linie ist eine Nahtstelle an der Erdoberfläche, die durch die Kollision der europäischen und afrikanischen tektonischen Platten entstanden ist.

Die Insubrische Linie, deren Zusammensetzung das Ergebnis der Verschmelzung von Mehr-als-menschlichen (More-than-human) Substanzen ist, die sich entlang der Ränder ihrer Platten ablagern, ist eine materielle Metapher für die Blendwerke, die das Europa der Vergangenheit und Gegenwart programmatisch konstruiert hat. Seit der Renaissance wird dieses Narrativ eines weißen, christlichen und fortschrittlichen Kontinents bedient.

An der Ausstellung beteiligt sind europäische Künstler*innen als auch afrikanische Künstler*innen der afrikanischen Diaspora in Europa, deren Arbeiten und Praktiken dieser Beziehung nachspüren. Ein besonderes Augenmerk liegt auf jenen Künstler*innen, die in Italien und Österreich leben und arbeiten

Belinda Kazeem-Kamiński

 Die zweite Ausstellung des ersten Jahresprogramms im Rahmen von The Invention of Europe ist der österreichischen Künstlerin Belinda Kazeem-Kamiński gewidmet. Es ist ihre erste Einzelausstellung in Italien. Belinda Kazeem-Kamiński ist eine in Wien geborene und dort lebende Schriftstellerin, multidisziplinäre Künstlerin, Wissenschaftlerin und Forscherin, die sich mit Fotografie, Installation, Video und Sound beschäftigt. Verortet in der Schwarzen feministischen Theorie, hat sie eine forschungsbasierte, prozesshafte künstlerische Praxis entwickelt, die sich auf die Lebenserfahrungen Schwarzer Menschen der afrikanischen Diaspora konzentriert. (Heinrich Schwazer)

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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