Mondsüchtige Blume
Beinahe romantisch: Der Grödner Künstler Arnold Holzknecht installiert in der neuen Wohnanlage Villa Eccel eine Skulptur, die eine Blume, die eine Laterne, die ein Mond ist.
Einen knappen Monat, genau 29,53 Tage, braucht der Mond von Vollmond zu Vollmond – genauso lange dauert auch der Zyklus von Arnold Holzknechts Skulptur „Durch die Blume” in der jüngst fertig gestellten Wohnanlage Villa Eccel in der Weggensteinstraße, Bozen. Dass eine Skulptur einen Zyklus hat, klingt zunächst bemerkenswert paradox, wird jedoch gleich deutlicher, wenn man weiß, dass es sich um eine Laterne handelt. Eine Laterne allerdings, die ihre Funktion als Lichtspender mit charmanter Anarchie unterläuft und nur einmal im Monat leuchtet. Der Künstler hat sie so programmiert, dass sie im Gleichtakt mit dem Vollmond – unabhängig davon, ob man den Erdtrabanten sieht oder nicht – leuchtet. In den Nächten dazwischen bleiben die aus ausrangierten Straßenlaternen von St. Ulrich upgecycelten Lampen dunkel.
Installiert sind die drei Glockenblumen auf einem Sockel, der einer Kernbohrung nachempfunden ist und auch als Sitzgelegenheit dienen kann. Mit den geschlossenen, weißen Blüten und den grünen Blättern sind sie farblich perfekt an die Villa und deren Umgebung angepasst.
In ihrem eleganten Erscheinungsbild ist Holzknechts von Antonio Dalle Nogare in Auftrag gegebene Leuchtskulptur jedoch keineswegs nur schön. Interesseloses Wohlgefallen, ja, aber es steckt ästhetisch weit mehr drin. Durch die Bezugnahme auf den Mondzyklus werden Raum und Zeit zum eigentlichen Werk. Licht und Schatten sind konstituierend für den Raum, machen ihn erst erfahrbar. Was letztlich – man denke an Sonnenaufgang und Abenddämmerung – auch für die Zeit gilt. Raum und Zeit sind Geschöpfe von Licht und Schatten. Die dunkle Laterne erzählt vom kommenden Vollmondlicht und die nur eine Nacht leuchtende Lampe umgekehrt von der Dunkelheit. Nicht die Leuchte oder das Licht zählen. Sondern die Zeit dazwischen.
Skulptur, mondsüchtige Blume, Laterne oder alles zusammen – der Grödner Bildhauer ist seit seiner zusammen mit Michele Bernardi realisierten „Entschärfung“ des faschistischen Monumental-Reliefs von Hans Piffrader am Finanzgebäude in Bozen bekannt für hintergründige, aber niemals ruppig rechthaberische Kunst. Mit einer Leuchtschrift, deren Botschaft in scharfem Kontrast zum geforderten blinden Gehorsam des Faschismus steht, überschrieben sie den faschistischen Leitspruch „credere, obbedire, combattere“.
Der tagsüber unbeleuchtet bleibende und des Nachts mittels Led-Innenbeleuchtung weiß leuchtende Schriftzug lautet: „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen.“ Der Satz ist ein verkürztes Zitat der Philosophin Hannah Arendt aus einer Rundfunksendung mit Joachim Fest vom 9. November 1964.
Die erst 2017 umgesetzte Lichtinstallation verdeckt das Mussolini-Relief und den faschistischen Leitspruch nicht, sondern „überleuchtet“ mit demokratischer Stärke die inhumane Macht, die das Relief errichten ließ. Die Botschaft: Gedächtnis ist nicht in Stein gemeißelt, Erinnerungsspuren und Gedächtnisinhalte sind veränder- und überschreibbar – und zwar nicht nur, indem wir vergessen. „Entschärft“ ist da nichts, im Gegenteil: die Überschreibung verschärft.
Nicht anders funktioniert auch die Blumenskulptur. Sie lässt die von Lichtverschmutzung geplagten Stadtbewohner das klare Licht des Mondes vermissen. Und ist darin beinahe romantisch. (Heinrich Schwazer)
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