„Inflationärer Vorwurf“

Foto: Twitter/ Greta Thunberg
Welche Auswirkung hat eine Äußerung Greta Thunbergs zum Israel-Palästina-Konflikt auf die Klimabewegung? Ob „Fridays for Future“ als antisemitisch einzuschätzen ist, ordnet Klimaaktivist David Hofmann ein.
Tageszeitung: Herr Hofmann, vor wenigen Tagen hat Klimaaktivistin Greta Thunberg mit einem Solidaritätsaufruf für Palästina und Gaza empört. Was sagen Sie zu der Äußerung Thunbergs?
David Hofmann: Greta Thunberg hat ein Foto ins Netz gestellt, auf dem sie ein Schild mit der Aufschrift „Stand with Gaza“ hochhält. Thunberg hat dezidiert geäußert, dass sie nicht antisemitisch ist, sondern gegen jedwede Diskriminierung. Zudem sitzt auf dem Foto neben ihr eine Jüdin, die ein Schild mit der Aufschrift trägt „This jew stands with Palestine“. Das Schild Thunbergs ist nicht per se antisemitisch. Dieser Vorwurf wird leider inflationär verwendet. Es wird sehr viel geschrieben und die eigentliche Botschaft hat kaum noch Platz – nämlich das Ende dieses Konflikts. In einer Kommunikation den Horror, der auf der anderen Seite passiert ist, nicht zu erwähnen, wie Thunberg dies in ihrem Post getan hat, ist schwierig. Das kann in einer aufgeladenen Situation, wie wir sie derzeit haben, fehlinterpretiert werden. Es muss um Solidarität mit der leidtragenden Bevölkerung auf beiden Seiten gehen. Man hat Kriegstreiber auf beiden Seiten: die Hamas, aber auch die israelische Regierung mit einigen Hardlinern.
Warum tut sich „Fridays for Future“ insgesamt schwer mit einer Haltung zum Nahostkonflikt?
FFF ist eine dezentrale Bewegung innerhalb derer es keinen demokratischen Prozess gibt, der entscheidet, wie man sich nach außen hin positioniert. Das Problem bei solchen Organisationsformen ist, dass dann gewisse Äußerungen fallen können, die nicht hilfreich sind. Deshalb sollte jetzt nicht die ganze Bewegung als antisemitisch diskreditiert werden, denn so ist kein vernünftiger Diskurs mehr möglich. Es ist wichtig zu unterscheiden, ob es Antisemitismus ist, was selbstverständlich heftig zu kritisieren wäre, oder ein Aufruf zu Solidarität mit Palästina und Gaza, was nicht per se antisemitisch ist. Das sagen selbst jüdische Organisationen.

David Hofmann
Sollte sich eine Klimabewegung besser auf ihr Kerngebiet Klimagerechtigkeit konzentrieren und von politischen Statements Abstand nehmen?
Man gerät da automatisch in soziopolitische Diskurse hinein. Die Klimakrise bzw. Klimagerechtigkeit ist die größte Herausforderung, die wir haben und sie ist intersektionell. Sie hängt mit so vielen Aspekten zusammen, beispielsweise Feminismus, Rassismus. Wo man sich einmischen müsste und wo nicht, ist eine nicht zu beantwortende bzw. eine hoch komplexe Frage. Ich kann für mich entscheiden, mich in diesem Konflikt nicht zu positionieren, ich kann das aber nicht für eine ganze Bewegung entscheiden. Das wäre völlig anmaßend. Es bleibt uns nichts, als uns diesem breiteren demokratischen Prozess auszusetzen. Ideal wäre ein international geführter demokratischer Prozess, der eine Richtlinie produziert.
Schadet so eine Haltung wie die von Thunberg nicht auch massiv dem Anliegen für mehr Klimagerechtigkeit?
Was uns schadet, ist die ganze Polemik, die drumherum aufgebaut wird, und die die Aktivisten nur noch bedingt in der Hand und zu verantworten haben. Diese ist ein ideales Trittbrett für jene, die sowieso die Klimabewegung angreifen wollen.
Bereits im Mai 2021 hatte FFF auf seinem offiziellen internationalen Instagram-Account einen Beitrag mit antisemitischen Inhalten veröffentlicht. Befinden sich Teile der Klimabewegung auf gefährlichen antisemitischen und antiisraelitischen Irrwegen?
Die Bewegung sicherlich nicht, aber manche Menschen schon. Die Bewegung ist breit und es ist nicht auszuschließen, dass sich auch Menschen zu ihr zählen, die mit unaufgeklärtem Gedankengut Aussagen tätigen. Es ist wichtig und richtig, dass dies dann kritisiert wird, damit ein Aufklärungsprozess stattfinden kann. Auch diese fragwürdigen Aussagen des internationalen Accounts wurden inzwischen entfernt.
Werden solche Haltungen und Äußerungen bei FFF von einigen wenigen vorgegeben oder vorher abgestimmt?
Nein, das ist in einer dezentral organisierten Bewegung nicht möglich. Manche Aussagen, die über den internationalen Online-Account getroffen wurden, haben Empörung ausgelöst. Aus diesem Grund haben sich nationale Gruppen davon distanziert. Ich selbst bin absolut gegen Antisemitismus und sehe mich als Antifaschisten. Als solcher muss man auch Antisemitismus bekämpfen. Nichtsdestotrotz muss man auf den Israel-Palästina-Konflikt ein differenziertes Bild haben können und sollte man auch einfach haben. Es geht nicht um Machthaber, es geht um die Menschen, die jetzt wieder unter einem Krieg zu leiden haben. Die Lösung sollte Waffenstillstand und Frieden sein, weil Krieg und Militarisierung weltweit ein Klimakiller sind. Wenn man sich anschaut, dass die größten Militärs weltweit mehr Emissionen verursachen als einzelne Staaten, dann spricht das für sich. Die Art und Weise, wie die Gesellschaft durch diese Polarisierung zersetzt wird, hilft uns auch nicht bei der Bekämpfung des Klimawandels. Das ist meine Position. Ich werde mich nicht gegen FFF positionieren oder von Greta Thunberg distanzieren.
Interview: Sandra Fresenius
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