Wim und Anselm
Mit „Anselm – das Rauschen der Zeit“ bietet Wim Wenders einen Film, der faszinierend schön ist aber auch unbehaglich, warum auch immer.
von Renate Mumelter
Beide mögen’s groß, der Regisseur Wim Wenders liebt große Bilder und macht große Filme, Anselm Kiefer inszeniert Großformatiges, besiedelt mit seiner Kunst Landschaften, Hallen, fremde Kunstwerke. Beide, Wenders und Kiefer, sind Jahrgang 1945, und auch das spielt eine Rolle. Es gibt also genug Gemeinsamkeiten. Trotzdem bewahrt Wenders in seinem Dokumentarfilm „Anselm Kiefer – das Rauschen der Zeit“ eine gewisse Distanz, und die ist wichtig. Das Kiefer-Porträt löst nämlich zwiespältiges Unbehagen aus. Mir ist es jedenfalls so ergangen, obwohl Musik, Bilder, Licht, Kamerabewegungen wunderbar komponiert sind, auch der Ton, der zwischen Vogelgezwitscher und Fluglärm behutsam inszeniert.
Die Kamera fährt schauend herum und begleitet einen, der schwarz gekleidet durch seine Bilderwelt radelt, mit Flammenwerfern Paneele versengt, schräge Türme in die Landschaft stellt oder kopfbefreite Hochzeitskleider. Alles groß. P.S. Groß sind auch die Preise, die Kiefer-Werke erzielen, und deshalb ist es wohl müßig, naive Fragen zu stellen wie jene nach der Personalbetreuung oder nach den Kosten insgesamt – nach dem normalen Leben eben.
Großer Gestus
Das ambivalent Große ist bei Kiefer nicht nur das Format sondern auch sein Anspruch, Geschichte aufzuarbeiten, jene in der er aufgewachsen ist als er 1945 zur Welt kam. Schritt für Schritt arbeitet Wenders die verschiedenen Phasen in Kiefers Kunstschaffen heraus, zeigt Filmausschnitte von früher, vom Künstler selbst aber auch von Trümmerfrauen bei der Arbeit oder Dokumente zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Künstler, der gern lange dunkle Mäntel trägt. Auch dicke Zigarren stopft er sich in den Mund. Wie Wenders. Früher wohl. Bei Kiefer ist Vieles Pose, betont testosteronig. Da stellt sich halt wieder einmal die Frage, ob diese Muster nicht etwa doch die Ursache von Vielem sind.
Wenders gibt in seinem Film keine Antworten, er stellt auch keine Fragen, er zeigt und inszeniert lediglich den, von dem es heißt, er sei der größte deutsche Künstler der Gegenwart, und Deutschland habe ihn nie geliebt, weil er die Vergangenheit in der Gegenwart zeigt.
Frauen kommen in dieser Welt übrigens als kopflose Hochzeitskleider vor, als geraunte Namen der klassischen Antike, Schriftzüge an der Wand, und ganz kurz hat Ingeborg Bachmann einen kleinen Lesungsauftritt. Die Präsenz von Paul Celan ist wesentlich größer.
Das Rauschen der Zeit
„Seinen Zugang, wie er Zeit in Malerei gebracht hat, finde ich atemberaubend, weil die Zeit ist auch mein Hauptarbeitsmittel, um Filme zu machen. Und dass er sich alles traut“, sagt Wenders. Im Kinosaal bleibt Zeit zum Nachdenken und Sinnieren, zum Schlussfolgern und zum Zuschauen. Dieses Zuschauen ist ein besonderes Erlebnis, für das es unbedingt die große Leinwand braucht. Noch besser ist 3D, das Format, in dem Wenders den Film gedreht hat.
Kaltern 3D im November
Derzeit läuft „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ in 2D im Filmclub. Am 17., 18. und 19. November wirft der Filmtreff Kaltern seinen 3D-Projektor an, um den Wenders-Film zu zeigen. Eine Fahrt ins Überetsch lohnt sich.
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Kommentare (1)
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pingoballino1955
Eines der Meisterwerke von Wim Wenders,ist immer noch “ Der Himmel über Berlin“ Hatte ihn damals in Berlin in einem noch originalen Kino mit “ alten“ Stühlen gesehen!