Die große Revolution?

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LH Arno Kompatscher sieht in den neuen Richtlinien den großen Wurf zur Bekämpfung des Personalmangels in Pflege- und Sozialberufen. Was die Betroffenen dazu sagen.
von Christian Frank
„Das ist kein kleiner Wurf, sondern eine große Revolution“, postuliert der Landeshauptmann Arno Kompatscher, als er über die von ihm eingebrachten und nun von der Landesregierung genehmigten Richtlinien für das nicht-ärztliche Personal im öffentlichen Gesundheitswesen spricht. Kurz gesagt sollen diese Richtlinien mehr Geld und weniger Arbeit für Personen in Pflege- und Sozialberufen mit sich bringen.
Konkret sehen diese Richtlinien vor, dass das Stundenpensum bei gleichem Lohn von 38 auf 36 Wochenstunden reduziert wird. Diese Reduzierung beinhaltet die Möglichkeit für die Arbeitnehmer, die beiden weggefallenen Stunden als sogenannte „Mehrstunden“ dennoch abzuleisten und dafür zusätzlich mit 466 Euro brutto entlohnt zu werden. Die Landesregierung hat dafür jährliche Investitionen in Höhe von 40 bis 50 Millionen Euro vorgesehen.
Weitere finanzielle Anreize dieser Richtlinien sind die Vereinfachung der Inanspruchnahme von Zulagen und eine Angleichung der Gehaltspositionen im Sozial- und Gesundheitswesen. Das genaue Ausmaß der Zulagen ist abhängig vom entsprechenden Berufsbild und kann beispielsweise bei Krankenpflegern bis zu 751 Euro pro Monat ausmachen. Zudem sollen Solidaritätsurlaube und fakultative Befreiungen von Bereitschafts-, Feiertags- und Nachtdiensten für Mitarbeiter über 55 Jahren vorgesehen sein.
Während die Präsidentin des Verbandes der Seniorenheime, Martina Ladurner, dem Freudentenor Kompatschers weitestgehend beipflichtet, widerstrebt die Geschäftsführerin des Landesverbandes der Sozialberufe, Marta von Wohlgemuth, der Aussage des Landeshauptmannes: „Ich mag das Wort Revolution in diesem Zusammenhang überhaupt nicht. Diese Richtlinien sind sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Es braucht aber mehr, nämlich unbedingt einen einheitlichen Kollektivvertrag für die Pflege und Betreuung, um nicht immer von der Gemeinde beziehungsweise der Bezirksgemeinschaft abhängig zu sein.“
Sie sieht die Lösung des Kerns des Personalmangels nicht in besagten Richtlinien, sondern in der Ausbildung: „Der Landeshauptmann hat sich sicher bemüht, aber es ist nur ein Ansatz. Um wirklich Attraktivität für Sozialberufe zu schaffen – und das müssen wir dringendst – muss bei der Ausbildung angepackt werden.“
Ladurner hingegen preist insbesondere die monetäre Verbesserung an, welche die von der Landesregierung beschlossenen Richtlinien vorsehen: „Diese 36 Stunden beinhalten den Lohn von zuvor 38 Stunden. Wenn man nun trotzdem entscheidet, die bisherigen 38 Stunden zu arbeiten, bekommt man beachtlich mehr Vergütung. Es ist eine bedeutende wirtschaftliche Ausschüttung und wir sehen als Verband darin ganz viel Potential und eine große Aufwertung in den Pflegeberufen, auch bei uns in den Seniorenheimen. Wenn ich heute eine Krankenpflegerin bin und mit meinem Bereitschaftsdienst 2.845 Euro brutto verdiene und nun für das gleiche Arbeitspensum 3.536 Euro brutto bekomme, dann ist das ein riesengroßer Unterschied.“
Über eingeschränkte Kapazitäten aufgrund des reduzierten Arbeitspensums bei gleichbleibendem Arbeitsvolumen macht sich Ladurner wenig Sorgen: „Konkret kann ich die Reaktion auf die neue Gestaltung der Arbeitsstunden nicht einschätzen. Anfangs braucht es, denke ich, sicher einen Moment, bis sich alles einfindet. Aber dieser monetäre Anreiz ist meiner Meinung nach schon sehr verlockend.“
Ladurner skizziert bereits jetzt ein Bild, wie sich die neuen Richtlinien auf den Personalmangel konkret auswirken könnten: „Ich sehe es auch als gut möglich, dass Mitarbeiter aus einer Teilzeitanstellung wieder in Vollzeit gehen, um in den Genuss von diesen Mehrstunden zu kommen, denn Vollzeit ist dafür ja eine Voraussetzung. Zudem kann ich mir gut vorstellen, dass Bedienstete, welche ohnehin bereits 38 Wochenstunden oder noch mehr gearbeitet haben, sich entscheiden bei diesem Arbeitspensum zu bleiben und dafür diesen extremen Aufschlag beanspruchen.“
In dem Punkt der Arbeitsstundenkürzung teilt auch von Wohlgemuth den Zuspruch und spricht von einer notwendigen Entlastung für ein Personal, welches während der Pandemie mit großer Resilienz unmöglich Vieles leisten musste.
„Wenn man ständig am Limit weiterarbeiten muss, dann wird das über kurz oder lang schief gehen. Es braucht diese Entlastung. Deshalb ist es wichtig, neue Menschen zu gewinnen, um diese Entlastung möglich zu machen“, erklärt sie.
Obschon Ladurner sich weit mehr Begeisterung für diese neuen Maßnahmen abgewinnen kann, bleibt auch für sie die große Revolutionsstimmung Kompatschers aus: „Diese Richtlinien sind ein fraglos wichtiges Element in der Mitarbeitersicherung und in der Mitarbeiterfindung, wir als Verband begrüßen es sehr. Man soll dabei aber nicht stehenbleiben, es gibt noch viele andere Sachen zu lösen wie beispielsweise die Wohnraumsituation. Unsere Mitarbeiter müssen sich die Wohnungen leisten können. Das sind weitere dringliche Faktoren, welche einen Personalmangel bedingen.“
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