Eine Null zu viel
Wie Florian Zerzer einen Vorgang, der dem Land die stolze Summe von 10 Millionen Euro kosten könnte, nicht nur nicht verhindert, sondern auch noch zugedeckt hat.
von Artur Oberhofer
Die Geschichte klingt so unglaublich, dass sie aus der Republik Schilda stammen könnte.
Die Geschichte ist leider wahr.
Es geht in dieser Geschichte um eine Null zu viel, die dem letztverantwortlichen Spitzenbeamten in jedem anderen zivilisierten Land der Welt den Kopf gekostet hätte. Nur in Südtirol nicht, da ticken die Uhren anders.
Die Fakten.
Die Firma OberAlp liefert zu Beginn der Corona-Deponie im März 2020 vier verschiedene Produkte an den Sanitätsbetrieb. Das absolut teuerste Produkt sind die sogenannten „Protection Suit Aseptic“.
Dieser aseptische Schutzanzug kostet 27,90 Euro pro Stück.
Bei der ersten Lieferung hatte man 30.000 dieser aseptischen Anzüge bestellt. In der zweiten Sabes-Bestellung schienen aber plötzlich die irrsinnige Menge von 400.000 Anzügen auf (400.000 Anzüge sind das Zehnfache der reell benötigten Menge).
Offiziell ist später von einem „Schreibfehler“ die Rede, für den man – in bester Bauernopfer-Manier – den Notmediziner Werner Calliari, der zu Corona-Zeiten im Sanitätsbetrieb für die Verteilung der Schutzmaterialien zuständig war, verantwortlich macht. Calliari, so die offizielle Version, habe bei den aseptischen Schutzanzügen aus Versehen eine Null zu viel hinzugefügt.
Und so wurden aus 40.000 kurzerhand 400.000 Anzüge.
Aber selbst wenn dem Arzt Werner Calliari ein „Schreibfehler“ unterlaufen sein sollte, war es der Covid-Einsatzleiter und Primar Marc Kaufmann, der die finale Bestellung an den OberAlp-CEO Christoph Engl weitergeleitet hat – und dem der Fehler hätte auffallen müssen.
Warum? Weil diese Null zu viel unterm Strich Mehrkosten in Millionen-Höhe zur Folge hat.
Der Unterschied zwischen 40.000 und 400.000 aseptischen Schutzanzügen macht genau 10.044.000 Euro aus.
Das Pech für Florian Zerzer und Marc Kaufmann: Als ihnen der millionenschwere Fehler am 31. März 2020 auffällt, hat OberAlp das Geld für diese zweite Lieferung bereits nach China überwiesen. Brisant ist: Kaufmann und Zerzer haben nichts unternommen, den angeblichen Fehler rückgängig zu machen. Und so wie sie der Südtiroler Öffentlichkeit die negativen Gutachten zu den Schutzmaterialien verschwiegen haben, informieren Florian Zerzer und Marc Kaufmann die Öffentlichkeit auch nicht über diesen 10-Millionen-GAU.
Im Buch „Das Geschäft mit der Angst“ wird ein Abhörprotokoll vom 31. März 2020 abgedruckt, das eindrucksvoll zeigt, wie – um es mit Florian Zerzers Worten zu sagen – „gut“ man im Sanitätsbetrieb gearbeitet hat.
An jenem 31. März 2020 ab 19.14 Uhr telefoniert Florian Zerzer mit Christoph Engl.
Es ist ein beinahe schon surreales Gespräch:
Florian Zerzer: Ich komme jetzt mit einem ziemlich großen Problem zu Ihnen. Schauen wir, ob Sie mir irgendwie helfen können. Und zwar ist folgendes: Unsere Ärzte, die die Bestellung ausgegeben haben, haben am Ende der Analyse, was wir genau brauchen, festgestellt, dass sie evidenterweise einen Fehler gemacht haben bei der Beschreibung des Bedarfs, weil sie 1,2 Millionen Mäntel und davon 400.000 Anzüge geschrieben haben. Und diese 400.000 Anzüge sind bei Euch interpretiert worden, als 400.000 aseptische Schutzanzüge, wo wir bei genauerem Nachrechnen nicht 400.000, sondern wenn wir hochrechnen, 50.000 brauchen. Jetzt …
Christoph Engl: (schnauft hörbar durch und hustet) Das ist jetzt natürlich…
Zerzer: Mich hat das auch mehrmals schlucken lassen. Das heißt einen Unterschied von 10 Millionen Euro. Jetzt ist natürlich die Frage, kann man da irgendwie umswitchen …
Engl: Ja, wenn wir sie schon bezahlt haben.
Zerzer: Ihr habt drüben schon gezahlt. Aber kann man irgendwie umschichten in der Lieferungsanforderung? Habt ihr noch andere Kunden, die solche Sachen geliefert kriegen müssten, wo ihr umschiften könnt‘s? Das ist die Frage an Sie.
Engl: Hohohoho. Also. Okay. Erstens, das Geld ist überwiesen, und das Geld ist natürlich auch an den Lieferanten überwiesen. Das ist klar, denn der operiert in dem Moment, an dem er einen Auftrag bekommt. Und der Auftrag ist natürlich von Euch jetzt hinterlegt. ..[…].. Ich meine, das Geld zurückbekommen, werden wir nicht. Wir können schauen, wir können es schiften? Oder können wir für dieses Geld chirurgische Masken bestellen? Da müssten wir ja 10 Millionen bestellen. Was ich sowieso euch raten würde. Denn ich sehe, dass es diese wahrscheinlich brauchen würde, wenn die jetzt anfangen, der Bevölkerung zu verteilen…
Zerzer: Ja, ja, im Notfall habe ich auch an so ein Shifting gedacht…
Engl: Nur, ich muss heute Nacht abklären mit China, wenn die wieder aufwachen, weil jetzt sind sie beim Schlafen. Wenn die wieder aufwachen, ist es 01.00 Uhr in der Früh bei uns. Da werden wir telefonieren und schauen, was wir da tun können. Nicht.
Zerzer: Ok.
..[…]..
Engl: So ein Nullerfehler ist jetzt eher brutal….
Zerzer: Eher blöd. Aber im schlimmsten Fall werden wir halt schauen, wie wir uns einig werden….
Eher brutal. Eher blöd.
In der Folge tritt Florian Zerzer seinen Gang nach Canossa an.
Um 23.27 Uhr meldet sich der Sabes-Generaldirektor bei Thomas Widmann.
Florian Zerzer: Heute war kein guter Tag. ..[…]… Wir haben heute drüben den Stand der Dinge analysiert. Ich hatte alle zusammengerufen. Dabei haben diese guten Typen, der Calliari und der Kaufmann, einen Riesenblödsinn gemacht. Mit dem Einkauf von 400.000 aseptischen Schutzanzügen. Wir sind dann alles noch einmal durchgegangen, haben nachgerechnet und da ist herausgekommen: Wenn wir wirklich viele brauchen, dann sind es 50.000. Nur wenn wir wirklich viele verbrauchen.
Thomas Widmann: Das ist doch egal, dann verkaufen wir sie einfach… Zerzer: Ja, das schaue ich mir an, ob wir sie noch verkaufen können. Widmann: Ja sicher …
Zerzer: ..[…]… Ich habe jetzt mit dem Engl geredet, ob er uns nicht Einiges umbuchen könnte. Denn 400.000 … das sind 10 Millionen … die gebe ich sicher nicht aus. Zudem habe ich das Geld nicht. Widmann: Das ist zu viel. Das ist wirklich eine Katastrophe. Da hast du recht.
Zerzer: Das ist …(unverständlich)
Widmann: Aber nur unter uns geredet: Verstehst du, von mir aus gesehen ist das auch ein System, jemand macht etwas, keiner kontrolliert oder begleitet das, und irgendwann kommt man drauf, dass alles Scheiße ist. Verstehst du, was ich meine.
Zerzer: Ja.
Anstatt zu versuchen, den Fehler, der dem Sanitätsbetrieb 10 Millionen Euro kostet, zu korrigieren, denken der Sabes-Generaldirektor, der OberAlp-CEO und der Landesrat laut darüber nach, wie man die Geschichte kaschieren und zudecken kann.
Man ist sogar bereit, für 10 Millionen Euro Materialien anzuschaffen, die man gar nicht braucht.
Ganz nach dem Motto: Was sind schon 10 Millionen Euro mehr, wenn es nicht ums eigene Geld geht? Was sind schon 10 Millionen, wenn der Steuerzahler blecht?
Die Landesregierung sendet mit der Verlängerung des Auftrages von Florian Zerzer die Message aus: Südtirol ist Schilda.
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