Melonis Bilanz
Julia Unterbergers Bilanz nach einem Jahr Giorgia Meloni: Warum die SVP-Senatorin nicht in die allgemeine Lobhudelei mit einstimmen will. Und von einer Koalition mit den Fratelli abrät.
Tageszeitung: Frau Unterberger, am 25. September 2022 hat Giorgia Meloni mit Fratelli d’Italia die Parlamentswahlen klar gewonnen. Wie fällt Melonis Bilanz nach einem Jahr an der Macht aus?
Julia Unterberger: Am positivsten fällt ihre Bilanz im außenpolitischen Bereich aus. Entgegen ihren Ankündigungen im Wahlkampf fährt sie eine konsequent proeuropäische und proatlantische Linie. Gleichzeitig hält sie jedoch ihre starke Bindung zu rechtsradikalen Kräften wie Orban, der polnischen Regierung oder der Partei VOX in Spanien aufrecht. Daher wird sie von Kommentatoren auch als „doppeltes Lottchen“ bezeichnet. Weniger positiv ist ihre innenpolitische Bilanz: Von ihren vollmundigen Versprechungen im Wahlkampf konnte sie bisher fast keine umsetzen.
Vor den Wahlen hatte der deutsche „Stern“ die provokante Frage gestellt, ob Meloni, nicht zuletzt aufgrund ihrer neofaschistischen Wurzeln, die gefährlichste Frau Europas sei. Wie lautet Ihre Antwort?
Ich halte sie insofern für gefährlich, als sie die radikale Rechte salonfähig macht. Wie gesagt gibt sie sich sehr proeuropäisch, aber im Hinterkopf hat sie immer noch das andere Europa, das Europa der Sovranisten und Nationalisten. Ob sie diesen Plan umsetzen kann, wird maßgeblich vom Ausgang der Europawahlen im nächsten Jahr abhängen.
Beobachter rechneten mit einer ultrakonservativen Politik der neuen Regierung. Diese ist aber ausgeblieben – oder täuscht der Eindruck?
Dieser Eindruck täuscht. Die Zugeständnisse, die Meloni außenpolitisch machen muss, weil Italien auf die europäische „Hilfe“ angewiesen ist, versucht sie innenpolitisch durch eine rechte, identitäre Politik auszugleichen: eine Familienpolitik, die homosexuelle Paare ausgrenzt und von einer Förderung der Geburtenrate nach dem Vorbild Ungarns inspiriert ist, die Brandmarkung der Migration als Ursache allen Übels und die Abneigung gegen klimapolitische Maßnahmen. Sie spricht gern von „Klimaterroristen“.
Ob Inflation, Streichung des Bürgereinkommens oder Flüchtlingskrise: Die vielen Problemherde scheinen Melonis Beliebtheitswerte nicht zu schmälern. In den Umfragen liegen FdI bei 30 Prozent. Wie können Sie sich das erklären?
Meloni hat es bisher geschafft zu vermitteln, dass sie Tag und Nacht zur Bewältigung der Krisen, die sie laut ihrer Aussagen von den Vorgängerregierungen geerbt hat, arbeitet. Das macht sie sehr geschickt. Sie spricht eine einfache, verständliche Sprache und gibt den Menschen das Gefühl, sie gehöre nicht zu den verhassten Eliten, sondern sei eine von ihnen. Ein „underdog“, wie sie selbst betont.
Inwieweit trägt die Zersplitterung innerhalb des Mitte-Links-Blocks zum Erfolg Melonis bei?
Die Zersplitterung der Linksparteien spielt eine zentrale Rolle. Hätten sich PD und 5 Stelle bei den Parlamentswahlen zusammengetan, dann hätten die Rechtsparteien sicher nicht so überragend gewonnen. Viele Mehrheitswahlkreise wären dann vermutlich auch an Mitte-Links gegangen.
Stichwort Migration: Auf Lampedusa strandeten innerhalb weniger Tage mehrere Tausend Flüchtlinge. Die Regierung ist mit dieser Situation völlig überfordert. Was macht Meloni in Ihren Augen falsch?
Den größten Fehler hat Meloni damit gemacht, einfache Lösungen zu versprechen. Die Maßnahmen wie Seeblockaden, geschlossene Häfen, Rückführungen, sind jedoch allesamt nicht umsetzbar. Das kann man daran erkennen, dass die Ankünfte in Lampedusa sich im Vergleich zu den Vorjahren verdoppelt haben. Da wurde Meloni von der Realität eingeholt. Trotzdem versucht sie weiterhin mit den alten Rezepten zu arbeiten, statt zur Kenntnis zu nehmen, dass sie nicht funktionieren. Es bräuchte ganz andere Ansätze. Gerade in einem Land mit einem dramatischen Bevölkerungsschwund, müsste auf legale Einreisemöglichkeiten für arbeitswillige Menschen gesetzt werden. Und diejenigen, die zwar illegal hier sind, die man aber nicht in der Lage ist, in ihre Ursprungsländer zurückzuführen, müssen integriert und nicht der organisierten Kriminalität überlassen werden. Das werden wir aber leider mit einer Rechtsregierung nicht erleben. Die braucht Feindbilder.
Zuletzt sorgte Lega-Vize Andrea Crippa mit der Aussage, die deutsche Regierung würde Migranten so einsetzen, wie das Naziregime vor 80 Jahren die Armee einsetzte, für internationales Aufsehen. Wie ordnen Sie diese Polemik ein?
Ja, zurzeit muss Deutschland als Feindbild herhalten. Weil es humanitäre Organisationen wie auch Seenotrettungsschiffe unterstützt, wird es beschuldigt, Italien mit Migranten zu überschwemmen. Dabei ist es in erster Linie Italien, das sich nicht an die internationalen Abkommen hält und die Migranten einfach nach Deutschland, Österreich usw. durchwinkt. Deutschland hat doppelt so viele Asylanträge wie Italien verzeichnet, es nimmt ca. 30% aller Migranten in ganz Europa auf. Vor diesem Hintergrund ist das ständige Lamento von Italien, es würde von allen allein gelassen einfach lächerlich.
Im Kanzleramt, im Weißen Haus, vor der UNO: Meloni ist in der internationalen Politik binnen kurzer Zeit zu einer festen Größe geworden. Weil sie ihre früheren Überzeugungen in der Außenpolitik über Bord geworfen hat?
Ich glaube nicht, dass sie die wirklich archiviert hat. Ich befürchte eher, sie täuscht das nur vor, weil sie im Moment nicht anders kann, im Hinterkopf hat sie aber ganz andere Pläne.
Die jetzige Legislaturperiode dauert noch vier Jahre. Solange halten es italienische Regierungschefs eigentlich nie aus. Trauen Sie das der Rechtsnationalistin zu?
Die Regierungskoalition hat eine satte Mehrheit und die Opposition ist zersplittert. Die Voraussetzungen für eine lange Amtszeit sind also leider gegeben.
Sie haben im Parlament bereits drei Regierungschefs miterleben dürfen. Worin unterscheidet sich Meloni von ihren Vorgängern?
Der größte Unterschied ist natürlich, dass sie eine Frau ist, auch wenn sie sich als „Herr Ministerpräsident“ ansprechen lässt. Trotz aller politischen Unterschiede tut es gut, eine Frau an der Spitze zu sehen. Auch gefällt mir, wie sie sich demonstrativ Zeit für ihre Tochter ausspart. Erst kürzlich hat sie für Aufregung gesorgt, als sie in New York einem Empfang von Biden, eine Pizza mit ihrer Tochter vorgezogen hat. Frau muss Prioritäten setzen, hat sie den Kritikern geantwortet.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit der SVP mit der neuen Regierung? Welche Errungenschaften konnten unsere Parlamentarier bislang nach Südtirol holen?
Im Verhältnis zu den Südtirolern haben die FdI und die von ihnen geleitete Regierung sicher die größte Kehrtwende hingelegt. Die nationalistischen Töne sind fast verstummt, stattdessen zeigt man Verständnis und verspricht Unterstützung. Es sollen sogar die verloren gegangenen Kompetenzen seit der Streitbeilegungserklärung wiederhergestellt werden. Ob das so sein wird, wird sich zeigen. Inzwischen konnten wir einige Durchführungsbestimmungen verabschieden und der Regionenminister Roberto Calderoli ist sehr disponibel, wenn wir ein Problem haben. Wobei dazu zu sagen ist, das Letztere immer schon ein Befürworter der Autonomie war, was man von Alessandro Urzì, dem neuen Freund der Südtiroler, nicht behaupten kann.
In einem Monat finden Landtagswahlen statt: Die SVP liebäugelt damit, FdI in die Mehrheit zu holen. Eine gute Idee?
Ich glaube nicht, dass jemand in der SVP besonders glücklich darüber wäre, mit den ehemaligen politischen Erzfeinden eine Koalition einzugehen. Vielmehr gehen viele davon aus, dass das Wahlergebnis andere Möglichkeiten schwierig machen wird. Dann gibt es halt solche, die gut damit leben können und andere, so wie mich, die sich mit so einer Lösung nicht leicht abfinden könnten und eine Koalition mit Mitte-Links befürworten würden. Auch wenn es noch so schwierig ist. Schließlich zählen auch andere Werte, nicht nur die Einstellung zur Autonomie.
Interview: Matthias Kofler
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