„Poltern ist zu wenig“
Politbeobachter sehen die Süd-Tiroler Freiheit bei nur mehr einem Sitz. Parteichef Sven Knoll ist davon überzeugt, dass die STF drei Mandate erreichen kann. Trotz Jürgen Wirth Anderlan.
TAGESZEITUNG Online: Herr Knoll, laut geheimen Umfragen, die in den verschiedenen Lagern zirkulieren, erreicht die Süd-Tiroler Freiheit nur mehr ein Mandat. In der SWZ-Umfrage kommt die STF auf 6 Prozent. Wie schätzen Sie die Stimmung ein?
Sven Knoll: Geheime Umfragen sind meist nicht sehr seriös. Ich erinnere mich an das Jahr 2007, als gesagt wurde, die STF habe nach der Trennung von der Union für Südtirol nicht mehr das Potential, in den Südtiroler Landtag einzuziehen. Geworden sind es dann zwei Sitze.
Welche Eindrücke haben Sie vom laufenden Wahlkampf`?
Auf uns bezogen muss ich sagen, dass wir so viele Rückmeldungen haben, wie ich sie noch nie erlebt habe. Wir sind in vielen Schulen unterwegs. Heuer laden viele Schulen die Kandidaten zu Podiumsdiskussionen ein. Erst am Freitag war ich wieder auf so einer Podiumsdiskussion an einer Schule. Die Schüler konnten nach der Diskussion abstimmen, die überwältigenden Mehrheit hat für uns gestimmt. Wir haben extrem viele neue Mitglieder, letzte Woche sind an einem einzigen Tag 60 neue Mitglieder dazugekommen. Solche Sachen habe ich noch nie erlebt. Die Stimmungslage ist gut.
Haben Sie Angst, dass Ihre Partei viele Stimmen an die Liste von Jürgen Wirth Anderlan verliert?
Das glaube ich nicht. Ich vergleiche die Situation mit 2013, als die Freiheitlichen sechs Mandate erreicht haben, trotzdem haben wir drei Sitze errungen. Ich will damit sagen: Das Potential für uns ist da, auch für drei Sitze. Die große Kunst wird sein, die Menschen zu mobilisieren, zur Wahl hinzugehen.
Es fällt auf, dass die STF sehr stark das Ausländer-Thema fährt, ein Thema, das jahrelang die Freiheitlichen gepachtet hatten. Die STF macht das, um im Teich der Freiheitlichen zu fischen und um Anderlan, der stark auf AfD-Themen setzt, auf Distanz zu halten?
Nein. Die Tatsache, dass wir das Ausländerproblem thematisieren, hat mit der aktuellen Entwicklung zu tun. Das Thema ist für die Menschen im Alltag spürbar. Außerdem hängt von diesem Thema die langfristige Entwicklung unseres Landes ab. Man muss sich also fragen: Was bedeutet das für Südtirol? Das Problem wirkt sich auf die Zusammensetzung der Volksgruppen ebenso aus wie auf die Zukunft der Autonomie. Und wenn andere Parteien sich überhaupt keine Gedanken mehr machen, dann ist es unsere Aufgabe, dieses Thema zu besetzen …
Sie spielen auf die Freiheitlichen an, die früher in Sachen Ausländerpolitik ein Alleinstellungsmerkmal hatten?
Es gibt Parteien, die sich überhaupt keine Gedanken machen, und es gibt Parteien, die sich keine Gedanken mehr machen. Wir sagen: So kann es nicht weitergehen. Es gibt jede Woche Raubüberfälle. Und wenn Schüler uns sagen, dass sie Angst haben, abends auf die Straße zu gehen, dann darf und kann das nicht sein.
Glauben Sie, dass die Wahl vom 22. Oktober eine historische Wahl werden könnte?
Ja. Ich erlebe, dass selbst langgediente SVP-Funktionäre sagen, dass sie diesmal aufgrund der vielen Skandale, die gewesen sind, nicht mehr Volkspartei wählen. Sie wollen nicht mehr, dass die Volkspartei die Verantwortung für die Politik dieses Landes trägt. Die ganze Legislaturperiode war von Skandalen geprägt, bei der Volkspartei ist von verantwortungsvoller Politik für unser Land nichts mehr zu sehen. Hinzu kommt, dass die SVP intern zerstritten ist. Doch die Sorgen der SVP nicht meine Sorgen, wir gehen unseren Weg.
Sie treten als Landeshauptmann-Kandidat an, obwohl sie wissen, dass Sie nie LH werden können …
Wir bieten den WählerInnen eine Alternative, ich bin bereit, Verantwortung zu übernehmen.
Sie glauben im Ernst, dass nach dem Urnengang eine alternative Mehrheit ohne die SVP möglich ist?
Es ist dies eine Möglichkeit, die im Raum steht, ja. Man muss dann sehen, ob eine Mehrheit, die rechnerisch möglich ist, auch ideologisch passt. Spannend wird es, wenn die SVP unter 13 Mandate rutscht, dann will ich mir anschauen, mit wem sie eine Koalition eingeht.
Sie können sich allen Ernstes vorstellen, dass die Süd-Tiroler Freiheit einer Regierungskoalition angehört?
Ja, natürlich! Wir sind seit 15 Jahren im Landtag vertreten und haben bewiesen, dass wir nicht nur gut Opposition können, sondern dass wir auch gute Sachpolitik machen können. Eines ist, nur kritisieren, etwas anderes ist, zu beweisen, dass man auch Regierungsverantwortung übernehmen kann.
Kommen die vielen Ein-Mann- und Eine-Frau-Liste auch Ihnen ins Gehege?
Nur weil diese Listen antreten, heißt das nicht, dass sie automatisch gewählt werden. Man kennt dies von den italienischen Parlamentswahlen, wo die allermeisten Kleinlisten nie gewählt worden sind.
Die kleinen Listen bereiten Ihnen also keine Sorgen?
Diese Listen werden es schwer haben, denn eines ist, vor den Wahlen einen flotten Spruch loszulassen, etwas anderes ist, Oppositionspolitik zu machen. Poltern ist zu wenig, man muss auch Gesetze im Gesetzgebungsausschuss studieren, mit Showpolitik ist es nicht getan. Denken Sie nur an die Piraten-Partei, von der alle gemeint hatten, die würde durchmarschieren. Die Piraten-Partei war dann ganz schnell weg.
Apropos Showpolitik: Haben Sie denn versucht, Wirth Anderlan in Ihr Boot zu holen?
Wir haben auch mit ihm Gespräche geführt, um zu sehen, ob es Schnittmengen gibt. Es hat sich dann aber ziemlich schnell herausgestellt, dass von ihm nichts kommt. Wir sind während der Corona-Krise einen glaubwürdigen Weg gegangen und haben vielen Menschen konkret geholfen. Nur in die Hände zu klatschen, davon haben die Menschen nicht viel.
Die STF arbeitet eng mit den österreichischen Freiheitlichen zusammen, sind Sie und Ihre STF jetzt die wahren Blauen in Südtirol?
Wir haben mit Gudrun Kofler eine Abgeordnete im Tiroler Landtag. Wir sind immer für eine Europaregion Tirol eingetreten, wir leben also das, was wir vertreten. Und warum sollten wir nicht auch Themen bedienen, die die Freiheitlich nicht oder nicht mehr bedienen?
Interview: Artur Oberhofer
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