„Stoßen auf eine Wand“
Wie gut funktioniert Inklusion an Südtirols Schulen? Der Fall eines Oberschülers mit Behinderung sorgt für Diskussionen: Eltern und Schule fordern eine bessere Betreuung. Was die Bildungsdirektion dazu sagt.
von Sylvie Debelyak
„Guter Unterricht in der inklusiven Schule“. Unter diesem Motto steht das heurige Bildungsjahr 2023/24. Der Fall eines Schülers an einer Südtiroler Oberschule zeigt aber, dass Inklusion noch nicht überall so funktioniert, wie man es sich wünschen würde.
Ein intelligenter Junge, der über sehr gute kognitive Fähigkeiten verfügt, aber in seinem Körper gefangen ist. Aufgrund seiner Behinderung sitzt der Oberschüler im Rollstuhl. Seine schweren körperlichen Einschränkungen erschweren ihm den schulischen Alltag, weshalb er diesen nicht allein bewältigen kann.
Um dem Unterricht trotzdem folgen zu können, bekommt er Unterstützung von einer Mitarbeiterin für Integration. „Allerdings kann sie nicht immer für ihn da sein“, bedauert eine Lehrperson. Bei insgesamt 34 Schulstunden verfüge die Betreuerin nur über einen 24-Stunden-Auftrag, wobei sie laut Vertrag 19 Stunden mit dem Schüler verbringen soll und die restliche Zeit für die Planung des Unterrichts vorgesehen ist. Was ist also mit den übrigen Stunden, die ebenfalls abgedeckt werden müssen?
Wie der TAGESZEITUNG berichtet wurde, haben sowohl die Schule als auch die Eltern bei der Bildungsdirektion mehrfach um eine Aufstockung des Stundenkontingents angesucht. „Wir sind aber auf eine Wand gestoßen“, bedauern sie.
Schule und Angehörige kritisieren, dass man in Bozen die Lage nicht ernst genug nehmen würde, zumal alle gutgemeinten Gesprächsversuche abgewimmelt wurden. Die Eltern fühlen sich um das Recht auf Bildung für ihren Sohn betrogen. „Und der Schule wird von der Bildungsdirektion und dem Amt für Inklusion der schwarze Peter zugeschoben, so nach dem Motto: man würde das mit dem Kleiderwechseln schon hinbekommen“, ärgert sich die Lehrperson.
Der Schulinspektor und Leiter des Referats Inklusion, Hansjörg Unterfrauner, weist solche Vorwürfe zurück und plädiert vielmehr auf eine „gemeinsame Verantwortung aller Beteiligten“. „Ich möchte hier grundsätzlich von keinem Problem sprechen. Inklusion bedeutet, Schüler mit Behinderung bestmöglich dabei zu begleiten, weitestgehend eine Autonomie zu erlangen. Es geht nicht darum, sie in jeder Situation zu jeder Zeit zu betreuen“, betont Hansjörg Unterfrauner.
Natürlich sei es wichtig, die Schüler angemessen zu begleiten, sie müssten aber auch eine bestimmte Selbstständigkeit erfahren, um auch im späteren Leben zurechtzukommen. „Wir weisen jeweils Mitarbeiter für Integration sowie Integrationslehrpersonen den Schulen zu, wobei sich diese zwei Berufsbilder unterscheiden. Die Mitarbeiter für Integration kümmern sich vor allem um die Begleitung in der Autonomie und Selbstständigkeit der betroffenen Schüler, während die Integrationslehrpersonen für das schulische Lernen verantwortlich sind. Beides zusammen bietet daher eine optimale Unterstützung, jedoch müssen alle Lehrpersonen des Klassenrates in diesem Prozess involviert sein“, erklärt der Schulinspektor.
Die Bildungsdirektion nimmt aber auch Mitschüler in die Pflicht, auch sie könnten Hilfestellungen leisten, beispielsweise beim Wechsel von Räumlichkeiten. „Wenn wir von Inklusion sprechen, ist es der Auftrag der gesamten Schule, und jeder, Schüler sowie Lehrer, muss Verantwortung übernehmen“, meint Hansjörg Unterfrauner.
Als Bildungsdirektion und Referat für Inklusion sei man immer bereit für einen Austausch, um nach weiteren Möglichkeiten zu suchen, erklärt der Referatsleiter. Aber wie sieht es eigentlich mit dem Personal aus? Kämpft man auch im Bereich Integration mit einem Fachkräftemangel? „Der Mangel an qualifiziertem Personal ist auch bei uns ein Thema“, sagt der Schulinspektor. „Wir haben einige Stellen für Mitarbeiter für Integration, die ausgeschrieben wurden, und die nicht mit qualifiziertem Personal besetzt werden konnten, weshalb die Stellen über Direktberufung vergeben wurden. Wir konnten aber in allen Situationen inzwischen Personal finden und auch im Hinblick auf die Integrationslehrpersonen sind alle Stellen soweit besetzt“, unterstreicht Unterfrauner.
An der betroffenen Schule hofft man jedenfalls, dass man noch eine bessere Lösung findet – und das Stundenkontingent schlussendlich aufgestockt wird: „Dieser junge Bub hätte einen normalen Schulwerdegang vor sich, bleibt aber aufgrund unzureichender Betreuung wegen seiner Behinderung auf der Strecke.“
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Kommentare (4)
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andreas
Artikel zu solchen Themen sollten eigentlich alle Infos enthalten, so wird der Eindruck vermittelt, dass sich kaum jemand um den Jungen kümmert, er aber 19 von 34 Stunden betreut wird und so wie es der Schulinspektor sagt, auch eine Integrationslehrperson zur Verfügung steht.
Ob hier die Bildungsdirektion oder die Schule etwas nachbessern muss, geht aus dem Artikel eigentich nicht hervor, jeder schiebt die Schuld dem anderen in die Schuhe.
unglaublich
Mit theoretischen Argumenten, die meist mit der Realität wenig zu tun haben, wird das Sparen in der Schule begründet.
Schlage vor, dass Direktoren, Inspektroren und auch die Landesschuldirektorin ein gewisses Stundenkontingent ihrer Arbeit am/an (der) Schüler*in verpflichtend absolvieren müssen. Dieses Fenster in den aktiven Schulalltag wird die notwendige Veränderung bewirken. Da bin ich mir ganz sicher.
opa1950
Was sagt der zuständige Herr Achammer zu diesen Anschuldigungen. Der weiss sicher nichts so wie immer.
robby
Früher wurden Eltern von Kindern mit Behinderungen vollkommen alleingelassen. Heute werden Schulen damit alleingelassen und die Eltern beschränken sich darauf zu maulen. Finde den Fehler.