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Io Capitano

Garrone zeigt großes Kino und versetzt sich in die Perspektive der Flüchtenden

„Jalla, Jalla!“, heißt es in Matteo Garrones sehenswertem Film ständig. Das bedeutet im Arabischen „Schnell, schnell“. Auf der Flucht muss es schnell gehen.

von Renate Mumelter

Erstmals gibt es einen Spielfilm, der die Reise von Afrika nach Europa nachfühlbar und äußerst realitätsnah schildert. „Ich wollte die Perspektive umdrehen und jenen Teil der Reise der Migranten zeigen, die uns nicht bekannt ist. Ich wollte die Reise aus dem emotionalen Erleben der jungen Männer schildern“, sagt Garrone, und das ist ihm so glaubwürdig gelungen, dass es weh tut.

Das Sujet

Garrones Film begleitet Seydou und Moussa auf ihrem Weg von Senegal durch Mali, Niger bis Libyen und weiter. Vor Sizilien endet die Geschichte damit, dass Seydou einem Hubschrauber hocherfreut entgegenruft „Io capitano“, daher der Titel. Ob der Hubschrauber dann abdreht oder nicht, bleibt offen. Der minderjährige Seydou war gezwungen, das Schiff zu steuern.

Der Filmtitel kann allerdings auch als feine Anspielung auf den Pushback-Meister par excellence, Matteo Salvini, gelesen werden. Der lässt der sich nämlich gerne Capitano nennen. Salvini ist mitverantwortlich für eine Flüchtlingspolitik, die das Mittelmeer zu einem Massengrab gemacht und die Wüste mit Leichen „bestückt“ hat.

Das Drehbuch

Für das Drehbuch hat sich Garrone dem von der Elfenbeinküste stammenden Mamadou Kouassi anvertraut. Er weiß, wovon die Rede ist, weil er vor 15 Jahren dieselbe Reise unternommen hat. Heute lebt er in Caserta. Beraten ließ sich Garrone auch von einem jungen Mann, der als 15Jähriger ein Flüchtlingsschiff steuern musste. Heute lebt dieser in Belgien.

Seydou und Moussa

Die zwei Cousins werden gespielt von Seydou Sarr und Moustapha Fall. Die beiden Laienspieler fand Garrone im Senegal. Sie leben dort. Bei Drehbeginn waren sie 17 und 18 Jahre alt. Nach der Premiere in Venedig gab es bei ihnen Tränen der Rührung.

Als die zwei im Film heimlich von zu Hause aufbrechen, tragen sie Fake-Markenkleidung von Louis Vuitton und Gucci. Die wird dann immer schmutziger und immer weniger. Ein Symbol für einen Traum, der langsam verblasst.

Der Traum

Der Traum der beiden Halbwüchsigen ist legitim, sagt Garrone. Sie wollen die Welt kennenlernen wie alle in diesem Alter, nur dass das von Afrika aus besonders schwierig ist.

Erzählt wird dieser Aufbruch in Bildern, wie sie das Kino mag. Da gibt es beispielsweise eine für das Auge wunderschöne aber lebensbedrohliche Wüste. Manchmal kommt eine Art Western-Stimmung auf. Kein Wunder, denn auch Western erzählen von Migration, einer positiv besetzten allerdings. Außerdem gab es in den Western keine KZs. An solche aber erinnern die Gefängnisse, in denen die jungen Männer landen. Dass es solche Gefängnisse gibt, ist belegt, dass sich dort Kriminelle an den Flüchtenden bereichern auch. Flucht ist für Gewissensbefreite ein Geschäft, Europa gehört zu den Mandanten.

Wolof

Gesprochen wird im Film Wolof. Garrone entschied, dass nicht synchronisiert sondern nur untertitelt wird. Eine gute Entscheidung, denn der Film lebt nicht von langen Dialogen sondern von Bildern, Stimmungen und von den Darstellern.

Ein trotz aller Härte poetischer und menschlicher Film und ein Film für’s Kino. Die Emotionen ließen sich sogar ohne Untertitel verstehen. Auch das macht Kino aus.

Bleibt nur zu hoffen, dass „Io capitano“ viel Publikum findet.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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