Kokettieren mit zwei Musen
Bodenständig doppelbödig: Zum Konzert der Osttiroler Musicbanda Franui beim Südtirol Festival Meran oder: „In der guten alten Zeit, als es das Kaisertum Österreich noch gab…“(R. Musil).
von Hubert Stuppner
Was die Klassische Musik im Innersten zusammenhält, sind einerseits der Einfall und andererseits die Ausführung, die Verarbeitung, die Durchführung. Im „Doktor Faustus“ von Thomas Mann formuliert es Kretschmar im Verweis auf Brahms so: „Vier Takte Einfall, der Rest ist Sitzfleisch“ Das heißt: Klassische Musik, egal ob Alte oder Zeitgenössische, ist ohne Einfall „ein tönendes Erz und eine klingende Schelle“.
Aber Einfälle sind launisch. Mahler, ein besonders Einfalls-abhängiger Komponist, litt oft Wochen lang im Sommer an „Einfallslosigkeit“, so etwa im Sommer in Vahrn bei Brixen, wo ihm den ganzen Sommer lang nur das Lied „Wo die schönen Trompeten blasen“ einfiel. Diese Einfalls-Not nimmt nach der Romantik auffällig zu, auch in der sogenannten Unterhaltungsmusik. Johann Strauß Sohn meinte am Ende seines Jahrhunderts zur Einfalls-Verstopfung seiner Zeitgenossen: „‘Schauen’s, dass Ihnen was einfällt‘, hat Lanner zu meinem Vater gesagt, heutzutage muss man, um eine Polka zu schreiben, erst die halbe Musikgeschichte studieren“
Wenn am Beginn des Konzerts der „Franui Musicbanda“ im Rahmen des Südtirol Festivals im überfüllten Meraner Kursaal Andreas Schett, der Leader, dem Publikum gegenübertritt und folgenden kuriosen Satz spricht: „Früher haben wir uns Gedanken gemacht,“ – Pause: „heut nicht mehr“, dann meint er genau dieses gewisse spontane Einfalls-Musizieren ohne die Bedenken des kulturell zensierenden Über-Ichs. Dazu bedienen sich die Franuier ausgiebig der einfallsreichsten Lieder und Balladen der „Welt von Gestern“ „Schubert“, sagen sie „ist unser Hausheiliger, Mahler unser Nachbar.“ Dazu kommen noch Brahms und schlichte deutsche Volklieder. Sie adoptieren Klassik und passen es an ihr Ambiente an. „Dort“, sagt Andreas Schett, „hat die Landschaft Obertöne“.
Auf den ersten Blick klingt Franuis Musik bieder bodenständig, doch sie ist in höchstem Maße doppelbödig: eine naive Musik mit dem windschiefen Gesicht und dem tiefen Kuhblick der Älpler, aber eine, die es ästhetisch faustdick hinter den Ohren hat, die den Tiefschürfern und Hochstaplern hinterher pfeift und die Peripherie gegen das Zentrum ausspielt. Ein fortschrittlich gesinnter Holländer, der in Amsterdam eines ihrer Konzerte besuchte, bekannte freimütig: „Die haben mich glatt niedergeblasen.“
Die Methode – etwa in der Mitte zwischen Werner Pirchner und Thomas Bernhard – ist die Persiflage: Sie jubeln und jodeln, beschleunigen und verlangsamen, lassen mal die Köpfe hängen, werden plötzlich leise und legen dann wieder ausgelassen los. Dieses „Himmelhochjauchzend und zu Tod betrübt“ geht 90 Minuten lang: Zwischen einem Trauermarsch und dem nächsten immer wieder ein Ausbruch mit Posaunen und Trompeten, und Walzern und Klezmer, etwa in der makabren Version des Mahler‘ schen „Des Antonius von Padua Fischpredigt“, das unter dem Franui-Titel „Des Antonius von Ansfelden Fiebertraum“ auf einen dämonischen Bruckner anspielt, eine Version, die offenbar von Luciano Berios „Sinfonia“ von 1968 weiß.
Skurril auch die Verballhornungen der Liedtexte, etwa des Brahmsschen Volksliedes „Mein Mädel hat einen Rosenmund und wen es küsst, der wird gesund“, das auf Franuisch so lautet: „Mein Mädel hat einen großen Mund, und wen es frisst, der steckt im Schlund“ Voll der Ironie auch eine zur Verzweiflung verweinte Melodie aus Mahlers „Liedern eines Fahrenden Gesellen“
Freilich, die 10 Musiker der Musicbanda (Geige, Kontrabass, Klarinette, Saxophon, 2 Trompeten, Posaune , Tuba, Harfe und Hackbrett) bewegen sich auf einer schmalen Gratwanderung, denn sie kokettieren gleichzeitig mit zwei Musen, der Leichten und der Klassischen. Das Spiel ist gefährlich, denn man kann es nicht beiden gleichzeitig recht machen. Ein Teil des Konzerts ist zeitgenössisch, aber ein anderer schmeichelt immer wieder der leicht beschürzten Muse, was natürlich dem Publikum (das immer für letztere Partei ergreift) gefällt, aber die klassisch gesinnten ratlos macht.
Selbst da, wo die Franuis die Tempi wahnsinnig anheben, spielen sie „entschleunigte Musik“. Wenn ich das alles unter kultur-ökologischen Gesichtspunkten und mit Blick auf das prophezeite Ende des grenzenlosen Wachstums betrachte, so klingt diese Musik irgendwie nach Ausstieg, von dem bereits Robert Musil im Hohem Lied auf Kakanien geschrieben hat: „Wenn uns die Sache mit den Geschwindigkeiten nicht gefällt, so machen wir doch eine andre! Zum Beispiel eine ganz langsame…Und eines Tags ist das stürmische Bedürfnis da: Aussteigen! Abspringen! Ein Heimweh nach Aufgehaltenwerden, Nichtsichentwickeln, Steckenbleiben, Zurückkehren zu einem Punkt, der vor der falschen Abzweigung liegt. Und in der guten alten Zeit, als es das Kaisertum Österreich noch gab, konnte man in einem solchen Fall den Zug der Zeit verlassen, sich in einen gewöhnlichen Zug einer gewöhnlichen Eisenbahn setzen und in die Heimat zurückkehren.“
Der Tiroler Werner Pirchner hat einmal eine „Landvermessung“ der Klassischen Musik vorgenommen und deren Ausdehnung mit „Vom Dreiklang bis zum weißen Rauschen“ berechnet. Unter aktuelleren Aspekten könnte man es so formulieren: „Von Franui bis zu den 11.000 verstimmten Saiten des Georg Friedrich Hass“. Dieser gewaltige akustische Raum schließt heute die unglaublichsten Tonversuche und Utopien ein.
Rauschender Beifall für die Franuis und Zugaben für das begeisterte Publikum.
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