Ich bin mir glücklicherweise ein Rätsel
An ihr führt im Programm von Transart23 kein Weg vorbei – die dänische Performerin, Schauspielerin, Sängerin und Autorin Madame Nielsen ist Artist-in-Residence des Festivals und der Vereinigten Bühnen Bozen, dabei ist sie als Mitwirkende an mehreren Veranstaltungen ebenso zu erleben, wie in einem Talk in der Oasie Transart.
Tageszeitung: Sie waren einst Claus Beck-Nielsen, seit 2013 nennen Sie sich Madame Nielsen. Claus Beck-Nielsen haben Sie buchstäblich und ganz rituell mit siebentägiger Aufbahrung, Leichenzug und Priester zu Grabe getragen. Um das frühere Leben so radikal und demonstrativ wie möglich hinter sich zu lassen?
Madame Nielsen: Die „Funus Imaginarium“ wurde in 2010 von dem Unternehmen „Das Beckwerk“ in Zusammenarbeit mit dem dänischen Museum für Antike Kunst Glyptoteket mit Vorbild in einem alten römischen Ritual ins Werk gesetzt, und war nicht im gewöhnlichen Sinne „persönlich“: Claus Beck-Nielsen wurde als Repräsentant der ganzen Menschheit sieben Tage lang öffentlich aufgebahrt und danach in einer großen Prozession zum Friedhof gefahren und dort von einem Priester beerdigt, dies alles als Abschied von allen Formen von Identitäten (nationale, geschlechtliche etc.).
War Ihr Leben als Schriftsteller Claus Beck-Nielsen so schrecklich oder bürgerlich einengend, dass es keine andere Möglichkeit mehr gab?
Siehe oben!
Wer war Claus Beck-Nielsen und was gab den Ausschlag, künftig als Frau, als Madame Nielsen zu leben?
Claus Beck-Nielsen war einerseits ein ganz gewöhnlicher Mensch, anderseits Material für künftige Utopien. Nach seinem Tode und seiner Beerdigung wurde der übriggebliebene Körper zehn Jahre lang als namenlose Versuchsperson vom Unternehmen „Das Beckwerk“ benutzt und als solche überall auf der Welt in den Ausnahmezustand geschickt – in den Iraq, um dort die Demokratie mit europäischen Mitteln einzuführen, in den Iran, um dort eine zweite und bessere Revolution in Gang zu setzen, nach Afghanistan, in die USA und nach Ägypten. In 2013 wurde dann endlich klar, dass dieser Körper zwar ganz viele Leben gelebt hatte, nie aber als weibliches Wesen. Und so entstand notwendigerweise Madame Nielsen.
Sie hatten damals Frau und ein kleines Kind. Wie haben sie reagiert?
Als Claus Beck-Nielsen schon in 2001 für tot erklärt wurde, war seine Tochter nur anderthalb Jahre alt, und so hat sie natürlich zuerst gar nicht darauf reagiert und einfach allmählich begriffen, dass, obwohl viele Menschen über ihn als „tot“ sprachen, da doch immer noch ein sehr lebendiges Wesen war und sie sehr liebte und sich sehr um sie kümmerte.
Haben die beiden und Ihre Eltern verstanden, was Sie da mit Ihrem Leben vorhaben?
Vielleicht nicht ganz. Ich auch nicht. Mein Leben sowie mein Tod und mein Werk sind mir beständig und glücklicherweise ein Rätsel.
Ist von Claus Beck-Nielsen nichts mehr übrig? Geht das so einfach, einen Teil der Erinnerungen und des eigenen Lebens wegzuschneiden?
Doch! Und, ach nein: Die Überlebenden tragen für immer ihre Toten mit sich und in sich auf der ganzen Welt herum.
Claus Beck-Nielsen ist auf einem Friedhof begraben, wo auch Ihr Landsmann, der Philosoph Sören Kierkegaard begraben ist. In seinem Buch „Tagebuch des Verführers“ hat er an der Figur des Erotikers Johannes literarisch durchexperimentiert, was es heißt, das Leben ästhetisch zu leben. Geht es darum? Das Leben als Kunst und die Kunst als Leben zu begreifen?
Nein. Da ich mich von Identitäten und Kategorien usw. zu befreien versuche, interessiert es mich nicht zwischen Leben und Kunst zu unterscheiden. Mein Auftrag in diesen vielen Leben auf dieser einzigen Welt ist, Wunderwerke zu schöpfen, die Menschen hinaus ins Offene zu rufen – mit meinen Sätzen, meinen Romanen, meiner Musik, meiner Stimme, meinen Bildern, meinen Apparitionen, meinem Dasein … – und sie zu befreien und zu beschwingen und zu verzaubern.
Nach der Trennung von Frau, Kind und früherer Identität haben Sie eine Zeitlang als Obdachloser im Bahnhof von Kopenhagen gelebt und alle sozialen Kontakte abgebrochen. War das Teil der Verwandlung?
Das war alles vor der Trennung, und ist ein bewusst durchdachter und konzeptuell präziser Versuch gewesen, einen Menschen, einen Körper von fast allem zu befreien und ihn als „Homo Sacer“, „nackter Körper“, in die Welt zu schicken mit dem einzigen Auftrag, Tag für Tag das Notwendigste zu tun: Wasser, Brot und Obdach für die kommende Nacht zu finden und allmählich ein neues Leben und eine neue Lebensgeschichte hervorzubringen und zu schreiben.
Von Zuschreibungen und Identitäten wollten Sie sich eigentlich befreien, doch seither sind Sie erst recht und dauernd mit der Frage konfrontiert: Wer sind Sie?
Ja. Immerhin eine gute Frage. Wer bin ich? Und wer sind Sie, Herr Schwazer, wer sind Sie eigentlich?!
Sie haben immer noch den Körper eines Mannes.
Habe ich? Woher wissen Sie das?
Als Transgenderaktivistin wollen Sie nicht gesehen werden, oder?
Nein, ich möchte gerne unidentifiziert und nicht identifizierbar als Rätsel unter den Menschen wandeln und wirken.
Identität führe nur zu Problemen und Krieg, haben Sie in einem Interview gesagt. Nichts Bestimmtes oder jemand Bestimmtes zu sein wäre dann der Gegenentwurf zum Imperativ: Sei du selbst!
Ja. So können Sie es sagen/formulieren.
In den 1980er Jahren waren Sie Mitglied der legendären New Yorker The Wooster Group. Erzählen sie uns davon.
Der fiktive Roman Das Monster (KiWi Verlag, 2020) basiert auf meiner Zeit in New York. Es ist ein dunkler Thriller!
Mit dem Halvcirkel-Streichquartett treten Sie in „The world saviouresse“ zur Rettung der Menschheit an. Ein musikalisches Klimakleber-Projekt?
Nicht nur zur Rettung der Menschheit. Die Menschheit ist nicht mehr Zentrum der Welt. Es geht jetzt darum, die ganzen Lebewesen und den Planeten Erde von dem Untergangswerk des Menschen zu retten.
In Ihrem Buch „Lamento“ lese ich den schönen Satz: „Die Liebe ist einfach. Wie atmen. Wie hören. Wie sich im Schlaf auf die Seite drehen. Und nicht bange vor ihrem eigenen Tod. Nur dem des anderen.“ Das klingt wohltuend weit weg vom gegenwärtigen Narzissmus. Hätte auch Jesus sagen können.
Ja. Ohne Liebe ist kein Leben möglich. Wer und was nicht gesehen und geliebt wird, stirbt.
Als Claus Beck-Nielsen sind Sie bereits gestorben, dennoch die Proust-Frage: Wie möchten Sie sterben?
Ach, das habe ich schon seit langem hinter mir!
Interview: Heinrich Schwazer (Das Interview erfolgte schriftlich, per Email. Madame Nielsen erbat ausdrücklich, ihren Wortlaut unverändert zu übernehmen)
Transart in Bruneck
Einen zweiteiligen Abend gestaltet das Festival im Museum Eck in Bruneck, dessen erste Hälfte von Madame Nielsen gestaltet wird – einen Wechselgesang zwischen Werken N.C. Kasers und ihren eigenen Gedichten.
Ein gänzlich anderes Thema steht im Mittelpunkt der zweiten Hälfte der Veranstaltung: Mit MOBY DICK oder „Der Wal“ kreiert die preisgekrönte Filmemacherin und bildende Künstlerin Wu Tsang einen abendfüllenden Stummfilm, der Herman Melvilles großen amerikanischen Roman erzählt. Die von Sophia Al Maria geschriebene und von Tsang inszenierte Adaption folgt dem weißen Wal über und unter der Wasseroberfläche und entwickelt eine visuelle Kosmologie, die sich der Erforschung und Ausbeutung der Erde im imperialen Kolonialismus widersetzt. Tsangs Ansatz verbindet die klassische Geschichte der „schwimmenden Fabrik“ des Walfängers mit den Anfängen der Filmindustrie im Stummfilm. Der Film wurde vollständig auf einer Tonbühne gedreht und kombinierte Techniken des Stummfilm mit modernen virtuellen Bilderzeugungstechnologien – einer Virtual-Reality-Game-Engine, die surreale Meeresumgebungen projiziert. Der Film untersucht sich überschneidende Geschichten von Industrialismus, Extraktivismus, Kolonialismus sowie ökologischer und spiritueller Krise und schafft eine vielschichtige surreale filmische Adaption des Romans von 1851. Wu Tsangs Arbeit überschreitet Genres und Disziplinen, von Erzähl- und Dokumentarfilmen bis hin zu Live-Performances und Videoinstallationen. Derzeit arbeitet Tsang als Residenzregisseurin am Schauspielhaus Zürich im Kollektiv Moved by the Motion.
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Kommentare (1)
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esmeralda
wird ein interessanter Auftritt, sicher cooler als das Spatzenfest