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Liliana Cavani, 90

Liliana Cavani und Carlo Rovelli beim Dreh

Nicht alle haben das Glück, gut in die 90 zu kommen. Der Regisseurin Liliana Cavani hat es,  und sie schenkt dem Kino eine Stranderfahrung mit Premiere in Venedig.

von Renate Mumelter

„Wenn wir viel an die Zeit denken würden, wären wir immer unglücklich, weil sie vergeht“, sagte Liliana Cavani in der Masterclass anlässlich des Filmfestivals in Venedig. Flankiert von zwei fragenden Männern gab die 90Jährige Auskunft über ihren neuesten Film und brachte die beiden Männer immer wieder auf den Boden der Realität zurück: „Temo che la facciamo complicata“. Klar, das Thema Zeit ist komplex, weil es nicht fassbar ist. Das bedeutet aber nicht, dass Cavani einen komplizierten Essayfilm gedreht hat.

Und wenn es die Zeit nicht gäbe……

Der Film „L’ordine del tempo“ nimmt das gleichnamige Werk des Physikers Carlo Rovelli zum Ausgangspunkt. 2018 erschien es in deutscher Übersetzung als „Und wenn es die Zeit nicht gäbe“. Eine heikle und verwirrende Frage. Damit beschäftigt sich Cavanis Spielfilm, der bei der Mostra del Cinema Premiere hatte und jetzt in den Kinos läuft.

Es geht darum, dass Zeit keine objektive Größe darstellt, weil sie von den Menschen gemacht ist. Das schafft Unsicherheit, und das war es, was Liliana Cavani interessierte. „Ich wollte eine Erzählung machen aus dem, was Rovelli wissenschaftlich dargelegt hat“, sagt sie.

Emotionen im Strandhaus

Der Film spielt in einem Strandhaus bei Sabaudia. Menschen um die 50 treffen zusammen, um den 50. Geburtstag von Elsa zu feiern. Sie ist Juristin, ihr Mann Pietro Arzt, ihre Tochter Anna ist gern unterwegs. Gekommen sind auch der Finanzexperte Viktor mit Paola, Elsas Jugendliebe Giulia, die vorher noch bei Suor Raffaella vorbeischaut, und der Physiker Enrico. Gespielt werden sie von Claudia Gerini, Edoardo Leo, Alessandro Gassmann, Francesca Inaudi, Valentina Cervi, Kseniya Rappoport, Richard Sammel, Fabrizio Rongione, Angeliqa Devi, Ángela Molina.

Es geht nicht um Existenznöte im pekuniären Sinn, wohl aber um existenzielle Nöte. Während der Geburtstagsvorbereitungen stellt sich nämlich heraus, dass ein gigantischer Asteroid auf die Erde zurast (auch Geschwindigkeit erweist sich als relativ) und droht, alles auszulöschen.

Endzeitmischung

Cavani schildert diese Endzeitmischung zwischen drohendem Weltuntergang und dem „Weltuntergang“ der davoneilenden eigenen Lebenszeit über die Emotionen Einzelner. Und das gelingt ohne großes Tamtam. Es geht um Gefühlslagen und Stimmungen, nicht um Horror und Action.

Die Menschen die in „L’ordine del tempo“ das Sagen haben, schaffen es durch ihr hervorragendes Spiel auch im Kinosaal ein Gefühl der Gemeinsamkeit entstehen zu lassen. Das Publikum schaut sie gerne an, schaut ihnen gern zu. Cavani verzichtet auf die sonst so beliebte Schwarzweißmalerei bei den Charakteren, und das tut gut. Sie lässt lieber Leonard Cohen „Dance me to end of love“ singen: „Tanz mich durch die Panik bis ich mich darin sicher fühle“.

Um die 90

Liliana Cavani war im Venedig der Älteren eine angenehme Erscheinung. Sie nahm den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk von einer ebenso interessanten Frau, der Schauspielerin Charlotte Rampling entgegen, stellte sich den Fragen, gab Antworten und zeigte einen Film, der nachwirkt, vorausgesetzt  jemand kann sich auf die Tatsache einlassen, dass alles relativ ist.

Ähnlich alte Männer wie Polanski und Allen beamen sich derweil mit anderen Themen in die Schlagzeilen – wie übrigens Favino auch, der die „kulturelle Aneignung“ als Problem im Schauspiel erfunden hat.

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