„Hätte dramatische Auswirkungen“
Die Regierung in Rom will als Reaktion auf die stetig neuen Meldungen von Jugendkriminalität schärfer gegen jugendliche Straftäter vorgehen. Was der Präsident des Jugendgerichts, Benno Baumgartner, von härteren Strafen hält.
Tageszeitung: Herr Baumgartner, in den letzten Wochen und Monaten haben immer wieder Gewaltepisoden mit Jugendlichen für Aufsehen gesorgt. Jetzt will die Regierung in Rom härter durchgreifen. Hat Jugendkriminalität tatsächlich zugenommen oder ist unsere Wahrnehmung lediglich eine andere?
Benno Baumgartner: In Südtirol ist das nur die Wahrnehmung, die sich geändert hat. Es gibt keine Zunahme an Gewalt, aber Gewalt ist sichtbarer geworden vor allem durch Videoaufnahmen, die durch das Netz gehen. Manchmal kann dies natürlich auch dazu führen, dass sich Gewalt verstärkt, wenn man sich in den sozialen Medien präsentiert sieht und dann damit angibt. Aber vor allem für die Opfer hat dies gravierende negative Konsequenzen.
Welche Gründe gibt es für Jugendgewalt, Mobbing, usw.?
Aus verschiedenen Problemsituationen heraus begehen die Jugendlichen Straftaten aller Art: sie sehen, was die Eltern machen, was ihr soziales Umfeld macht, dass es kaum Möglichkeiten für eine gute Arbeit gibt. Sie begehen dann eine Straftat, entweder um sich Geld zu beschaffen oder um eine existenzielle Not auszudrücken.
Halten Sie eine Verschärfung des Jugendstrafrechts für richtig und zielführend?
Für eine Verschärfung des Strafrechts außerhalb der Problemviertel in italienischen Großstädten gibt es gar keine Rechtfertigung. Wenn jetzt immer mehr Jugendliche durch eine Verschärfung ins Gefängnis geschickt werden, dann hätte das dramatische Auswirkungen, denn die Gefängnisse sind schon sehr voll. Zudem wird es dann einfach schwer, mit den Jugendlichen zu arbeiten, dass eine Erziehung erfolgen kann – und bei den Jugendlichen sollte der erzieherische Gedanke absolut im Vordergrund stehen.
Wissen die Jugendlichen um die Strafen und es ist ihnen egal oder kennen viele die Konsequenzen für ihr Handeln nicht?
In dem Moment, wo sie Straftaten begehen, ist ihnen nicht bewusst, was das für Konsequenzen hat. Es ist Aufgabe von verschiedenen Institutionen, die mit Jugendlichen arbeiten, ihnen dies zu verdeutlichen. Sie müssen sofort auf ihr falsches Handeln hingewiesen werden, Konsequenzen tragen und es müssen ihnen Wege aufgezeigt werden, wie sie aus dieser Situation herauskommen.
Die körperliche Reife setzt bei Jugendlichen immer früher ein, ist dies bei der geistigen Reife auch der Fall?
Die Pubertät setzt tatsächlich inzwischen viel früher ein, aber dass die Jugendlichen selbständig werden, dass sie in der Lage sind, zu arbeiten usw. das beginnt erst viel später. Sie haben überdies viel mehr Informationen als früher, aber gerade das ist auch oft ein großes Problem, da sie mit diesen Informationen nicht umgehen können. Diese Informationsflut ist nicht gebündelt und bietet ganz viele Optionen, aus denen der Jugendliche einen eigenen Lebensplan entwerfen muss. Zusätzlich sind die Informationen teils reell, teils aber auch virtuell, also nicht der Realität entsprechend. Die Jugendlichen haben dadurch viel größere Schwierigkeiten, ihren eigenen Weg zu finden als noch vor 50 Jahren, wo die Biografien oftmals schon über Generationen vorgezeichnet waren.
Derzeit werden verschiedene Maßnahmen diskutiert, so unter anderem die Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre. Würde das wirklich zu mehr Abschreckung beitragen?
Nein, sicher nicht. Jugendliche im Alter von 12 bis 15 Jahren sind sich nicht bewusst, ob sie Straftaten begehen und was die Konsequenzen sind. Dieses Bewusstsein erwächst erst im Rahmen des Strafverfahrens.
Wie beurteilen Sie den Vorschlag der Herabsetzung der Strafmündigkeit?
Es hat schon seine Berechtigung, dass es dieses Alterslimit in vielen Ländern Europas gibt. Bis zum Alter von 13 Jahren ist die erzieherische Rolle der Familie zentral. Wenn Kinder bis zu diesem Alter eine Straftat begehen, dann muss man zuallererst mit den Eltern reden. Der Sozialdienst beispielsweise organisiert dann Maßnahmen zugunsten der Familien und Minderjährigen. So kann es sein, dass Kinder in Heime kommen müssen – als erzieherische Maßnahme, als Erziehungsunterstützung, weil die Eltern es nicht schaffen und nicht als Strafe. Der Einfluss der Eltern lässt jedoch mit dem Alter der Jugendlichen nach. Bei einem 16-jährigen Jugendlichen hat es sicherlich Schwierigkeiten in der Erziehung gegeben, aber es bringt nicht mehr so viel, mit den Eltern zu arbeiten. Dann muss direkt mit den Jugendlichen gearbeitet werden.
Darüber hinaus wird ein strengerer Weg für die Wiedereingliederung und Umerziehung verurteilter Minderjähriger vorgeschlagen…
Was heißt strenger? Man gestaltet es so, dass die Maßnahmen nützlich und angemessen sind. Dies wird anhand von Faktoren beurteilt, wie der Schwere der Straftat, der Auswirkungen auf das Opfer und der Persönlichkeit des Straftäters. Ich verstehe nicht, was man hier ändern will, denn es gibt schon sehr viele Maßnahmen. In Südtirol kommt es eh nicht zu so vielen Verurteilungen, weil wir es bereits im Rahmen der Verhandlungen schaffen, eine Probezeit zu vereinbaren, beispielsweise mit Wiedergutmachungsmaßnahmen, Opferausgleich, Versuchen der Wiedereingliederung durch Praktika oder Freiwilligendiensten. Das alles sind schon Bestandteile unserer Erziehungsmaßnahmen, die der Jugendliche wahrnehmen muss, wenn er nicht verurteilt werden möchte.
Kann eine „Umerziehung“ gelingen?
In den meisten Fällen gelingt dies, alle aber kann man nicht retten. Es gelingt außerdem nicht, wenn die Eltern total dagegen arbeiten. Bei einem 12- oder 13-Jährigen das Gefängnis als einzige Lösung anzusehen, das entspricht nicht der Realität, denn mit pädagogischer und therapeutischer Arbeit kann man in dem Alter noch viel bewirken. Das Gefängnis als Lösung in diesem Alter entspricht nicht der menschlichen Entwicklung und ist nicht angemessen. Mit zunehmendem Alter wird es schwieriger, über Erziehung auf die Jugendlichen einzuwirken, da braucht es dann mehr und andere Maßnahmen des Strafrechts. Die Rückfallquote hängt von verschiedenen Faktoren ab, bewegt sich bei Jugendlichen aber im einstelligen Bereich. Menschen, die ins Gefängnis kommen, haben dagegen eine enorme Rückfallquote. Das heißt nicht, dass das Gefängnis jetzt abzuschaffen ist – es wird gebraucht als Abschreckung, aber als Maßnahme zur Vorbeugung gegen Rückfälle oder als Erziehungsmaßnahme ist es sehr kritisch zu sehen. Außerdem ist es im Vergleich zu anderen Maßnahmen sehr ineffizient.
Welchen Umgang mit jugendlichen Straftätern würden Sie vorschlagen?
Auf europäischer Ebene erkennt man immer wieder an, dass Italien ein sehr gut funktionierendes Jugendstrafrecht hat. Nicht in das Strafrecht muss Italien investieren, das funktioniert als Abschreckung, sondern in die Problemumfelder der Jugendlichen. Man braucht soziale Maßnahmen, um Jugendlichen eine Alternative zur Kriminalität zu geben. In Südtirol werden diese Maßnahmen durch Organisationen unterstützt, die sich um Jugendliche kümmern und sie begleiten, wenn sie in Schwierigkeiten sind. Eine Verschärfung des Strafrechts wäre nicht zielführend. Der Weg ist also nicht, die Kriminalität noch stärker zu sanktionieren, also die Jugendlichen sofort ins Gefängnis zu stecken, dies sollte nur die letzte Option sein, sondern zuvor sollte ihnen vielmehr ein Weg aufgezeigt werden, wie sie aus dieser Situation wieder herauskommen.
Interview: Sandra Fresenius
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Kommentare (4)
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vinsch
„In Südtirol ist das nur die Wahrnehmung, die sich geändert hat. Es gibt keine Zunahme an Gewalt,“ denselben Satz hat Kompatscher gesagt. Die zwei verstehen sich also. Die täglichen Schlägereien, Überfälle, Gewalt in Bussen, Schulen usw. ist nur eine Wahrnehmung….. Unser LH und der zuständige Jugendrichter sind anscheinend nicht gut informiert.
heracleummantegazziani
Gerichte und Polizeibehörden arbeiten mit Fakten, im Unterschied zu Ihnen. Baumgartner sagt doch, dass Gewalt sichtbarer geworden ist und dass dieser Umstand das Gefühl fördert, dass es eine Zunahme gäbe.
robby
Bei solchen Richtern braucht sich niemand zu wundern wenn solche gewalttätige Jugendliche überzeugt sind tun und lassen zu können was sie wollen.
meraner
Ich denke es will niemand einen zwölfjährigen ins Gefängnis stecken. Aber dass Ordnungskräfte sich von diesen „Kindern“ sagen lassen müssen “ ihr könnt uns e nichts tun“ , das kann auch nicht die Lösung sein. Es gibt mit Sicherheit alternative Strafmethoden zum Gefängnis und diese sollten dem Alter des Straftäters angepasst angewendet werden. Das grundsätzliche Problem sind großteils nicht die Kinder sondern die Eltern, welche es versäumen, oder nicht für notwendig halten, ihren Kindern Respekt vor anderen zu lehren bzw. vorzuleben. Deshalb wäre es auch wichtig, dass diese bei der „Bestrafung“ oder besser Belehrung ihrer Kinder bis zu einem bestimmten Alter mit verantwortlich gemacht werden. Allerdings auch hier verhältnismäßig zur Straftat. Denn wenn Eltern einsperrt werden sollen weil ihr Kind die Schule schwänzt, dann vermittelt dies den Eindruck, dass es schlimmer ist die Schule zu schwänzen, als jeden Tag in der Schule einen Schulkameraden zu mobben oder zu schlagen.