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„Spitze des Eisbergs“

Foto: lpa/pixabay

In Südtirol herrscht Fassungslosigkeit über den Mord an Celine Frei Matzohl. Christine Clignon, Präsidentin der Kontaktstelle gegen Gewalt an Frauen in Bozen, erklärt, warum es so schwierig ist, sich aus dieser Gewaltspirale zu befreien.

TAGESZEITUNG: Der Mord an der 21-jährigen Celine Frei Matzohl in Schlanders hat in ganz Südtirol für große Bestürzung gesorgt. Wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Christine Clignon: Dieser Femizid ist – genauso wie alle anderen – die Spitze des Eisbergs. Es gibt kaum einen Frauenmord, dem keine Gewalt vorausgegangen ist. Das ist also kein vereinzelt auftretendes Phänomen geistiger Umnachtung, sondern der Tatbestand hat System und war durchaus vorhersehbar. Wenn wir von männlicher Gewalt an Frauen sprechen, sprechen wir immer von Macht und Kontrolle. Der Täter übt seine Gewalt aus, indem er das Opfer kontrolliert. In dem Moment, wo die Frau sich der Kontrolle entzieht, verliert der Mann seine Macht und bringt sie um – weil das die höchste Form der Kontrolle über das Leben der Frau darstellt. Das ist nicht die Interpretation dieses einen Falles, das ist in Bezug auf allen Femiziden Tatsache. Die Gesellschaft wird sich jetzt eine Woche lang über das, was in Schlanders passiert ist, schockiert zeigen, Menschen werden Hashtags ins Internet stellen und die Medien werden voll mit sensationstüchtigen Berichten sein, aber danach wird sich niemand mehr damit auseinandersetzen, wie es zu dieser erhöhten Rate an Femiziden kommt. Und das ist das wirkliche Problem dahinter.

Obwohl die junge Frau ihren Ex-Freund angezeigt hat, gab es kein Annäherungsverbot, da kein Handlungsbedarf erkannt wurde. Welche Botschaft wird Betroffenen dadurch vermittelt?

Leider fehlt es hier an allen Ecken und Kanten. Gewalt an Frauen ist fast schon normalisiert worden. Eine von drei Frauen erlebt im Laufe ihres Lebens irgendeine Form von Gewalt. Gewalt kann nämlich verschiedene Gesichter annehmen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das in unserem nächsten Umfeld stattfindet. Aus diesem Grund braucht es für Frauen in Gewaltsituation ein starkes Netzwerk aus vertrauten Personen und kompetenten Fachkräften aus Gewaltschutzzentren sowie eine gute Zusammenarbeit mit den Ordnungskräften. Es ist wichtig, betroffene Frauen auf ihrem Weg zu begleiten, sie zu unterstützen und ihnen zuzuhören, ohne sie dabei zu bewerten. Es ist wichtig, ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie nicht allein sind.

Der Femizid von Celine sorgt auch auf rechtlicher Ebene für Diskussionen. Bedarf es einer Gesetzesverschärfung?

Wenn die zuständigen Personen die Gesetze nicht richtig umsetzen, bringen auch schärfere Gesetze nichts und sie bleiben bloß auf dem Papier. Es erfordert vielmehr eine Aus- und Weiterbildung des zuständigen Personals, um Gewalt zu erkennen und zu wissen, wie man damit umgeht.

Warum ist es so schwierig, sich von einer gewalttätigen Beziehung zu befreien?

Der Ausstieg aus einer Gewaltsituation ist der gefährlichste Moment, denn an diesem Punkt verliert der Täter die Macht über die Frau. Meistens handelt es sich bei den Tätern um sehr vereinnahmende Personen. Sie wirken zuerst wie der Prinz aus dem Märchen. Die Gewalt in der Beziehung beginnt eher schleichend und äußert sich durch ein sehr kontrollierendes Verhalten. Beispielsweise wenn er ihr verbietet, ein bestimmtes Kleidungsstück in der Öffentlichkeit zu tragen oder ihr vorschreibt, sich immer mehr von ihrem sozialen Umfeld zurückzuziehen. Es fängt mit einer sehr komischen Idee von Liebe und Fürsorge an und steigert sich mit der Zeit. Man definiert vier Phasen in dieser sogenannten Gewaltspirale. In der Honeymoon-Phase tut er alles für die Frau, er versteht sie und trägt sie auf Händen. In der zweiten Phase kommt es zu einem Anstieg von Spannungen und in der dritten Phase schließlich zur Gewalt. Danach folgt unweigerlich die Entschuldigung. Dieser Kreislauf wiederholt sich immer wieder, bis die Gewaltphasen – die Gewalt wird auch immer stärker – irgendwann immer länger andauern und die Honeymoon-Phasen immer kürzer werden. Sobald man das erkennt, ist es meistens schon zu weit fortgeschritten, man hat gemeinsame Zukunftspläne oder sogar schon Kinder. Daher möchten betroffene Frauen oft daran glauben, dass es wieder so wird wie früher, sie wollen den Mann zurück, den sie kennengelernt haben. Nur gibt es ihn nicht, es hat ihn nie gegeben. Gerade das macht es so schwierig, aus dieser Situation herauszukommen.

Diverse Studien sprechen von einer Zunahme von Fällen von häuslicher Gewalt in Italien und anderen Ländern. Wie hat sich die Situation inzwischen entwickelt?

Die Gewalt ist nicht angestiegen, sondern die Bereitschaft der Opfer, sich Hilfe zu holen. Es gibt immer mehr Bewusstsein dafür, dass die Situation nicht aussichtslos ist, dass es Unterstützung gibt und dass man sich von dieser Gewaltspirale befreien kann.

Könnten elektronische Fußfesseln, wie sie beispielsweise in Deutschland gefordert werden, ein wirksames Mittel gegen Gewalt an Frauen sein?

Ich frage mich, inwiefern das wirklich etwas bringt. Wenn ein Mann diese Entscheidung trifft, wenn die Sucht überhandnimmt, die Frau zu kontrollieren, wird ihn auch keine Fußfessel davon abhalten, sie umzubringen.

Welche Rolle spielt bei Femiziden die Herkunft oder Kultur der Täter?

Gar keine. Die Gewalt an Frauen zieht sich quer durch alle Gesellschaftsschichten, unabhängig vom Herkunftsland, der Sprachgruppenzugehörigkeit oder der sozialen Schicht. Es ist ein Vorurteil, dass Menschen mit Migrationshintergrund gewalttätiger sind. Wenn man auf die letzten acht Frauenmorde in Südtirol seit 2020 blickt, waren ein Großteil der Täter waschechte Südtiroler.

Interview: Sylvie Debelyak

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (19)

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  • andreas

    Dass die Kultur eines Täters keine Rolle spielen würde, ist eigentlich ein Verleugnen der Tatsachen.

    Was sie aber gut beschreibt, ist der Ablauf einer solchen Beziehung, nur vergißt sie dabei, an die Eigenverantwortung zu appellieren und einen Vorschlag, wie man es vermeidet, in eine solche Spirale der Gewalt zu geraten.

    Die Politik kann die Gesetze noch so verschärfen, ändern wird sich wenig und für die Justiz ist es so gut wie unmöglich, einen kompletten Schutz zu garantieren.
    Wie stellt sich Frau Clignon das denn vor?

    • tiroler

      Die Dame hat sich selbst disqualifiziert, indem sie sagt, dass Herkunft und Kultur der Täter keine Rolle spielen. 3 Morde und eine Vetgewaltiging n
      ur in den letzten Wochen in der Region. Die Täter allesamt Ausländer aus anderen Kulturkreisen und Religion. Frau Clignon, hören sie auf Tatsachen zu leugnen umd alle Männer unter einen Kamm zu scheren.

    • devils_son

      der erste Teil des Textes ist sehr treffend, und hat di volle Zustimmung, aber das Gelaber im letzten Abschnitt – einfach nur zum kotzen!
      Pfui Teifel – geengewaschte Polit Tusse (alles nur fürs Geld, es gibt kein ehrliches Engagement mehr) 🙁

  • brutus

    *…die Kultur eines Täters spielt keine Rolle!“
    Die letzten drei Morde in der Umgebung Rovereto und Schlanders zeigen komplett ein anderes Bild.
    Bei der Vergewaltigung in Meran und dem Überfall auf eine 80jährige in Bozen in den letzten 48 Stunden waren es auch andere ‚Kulturkreise“!

  • tschango

    Sehr geehrter Herr Kompatscher,
    Fremde vergewaltigen und ermorden unsere Mädchen und Frauen. Mit den drei Säulen der Nachhaltigkeit, die Sie als Allheilmittel für praktisch alle Probleme sehen, ist diesem Phänomen nicht beizukommen. Bringen Sie endlich praktikable Lösungen oder treten Sie ab!

  • placeboeffekt

    Jaja, diese Ausländer-welch ein willkommener Anlass, Ausländer-Bashing hier zu betreiben !

    Sicher, das Risiko, Opfer einer Gewalttat innerhalb einer Beziehung zu werden, ist mit einem ausländischen Partner oder Partnerin 2,5 bis 3 mal höher- je nachdem, welche Zahlen man als Grundlage nimmt und wie man Gewalt definiert.

    Aber dummerweise spielen hier sozio-ökonomische Faktoren eine grosse Rolle. Gewalt ist nun Mal in Schichten mit niedriger Bildung und Einkommen sehr viel weiter verbreitet.

    Die unterschiedliche Rate von Gewalt in Beziehungen kann also keineswegs kausal mit der Herkunft verknüpft werden. Ausserdem ist bei häuslicher Gewalt die Dunkelziffer recht hoch.

    Deshalb sollte eine Frau bei der Wahl ihres Partners darauf achten, welche Bildung und welches Einkommen dieser hat. Diese Faktoren beeinflussen in jedem Fall das Risiko viel höher, als der Faktor ob es sich um einen Südtiroler der 25. Generation oder Afghanen handelt.

    Die Wahrscheinlichkeit von einem chronisch besoffenen Südtiroler Schläge und psychische Gewalt zu erfahren wird viel höher sein als bei einem abstinenten Doktor der Medizin, auch wenn jener aus einem der hier mit so viel Verachtung bedachten islamischen Länder stammt.

  • brutus

    Du gibst selber zu, dass die Gewalttaten bei anderen „Kulturkreisen“ drei Mal höher sind!
    …und unsere Gitschen sollten eine Armlänge Abstand halten!
    …Aussage der Politik nach den Silvestervorfällen in Köln!

    • placeboeffekt

      Brutus

      Korrelation ist nicht das gleiche wie Kausalität

      Der Grund warum die Rate 2.5 bis 3 mal höher ist liegt ja nicht in der Tatsache begründet dass diese aus dem Ausland kommen

      Sondern dass jene , welche aus dem Ausland zu uns herziehen , einen niedrigen Bildungsstand besitzen

      Nimmst du Südtiroler mit dem gleichen Bildungs- bzw Einkommensniveau , dann unterscheiden sich die Raten kaum und vergleichst sie dann unterscheiden sich die Raten kaum

      Von gewisser Seite wird also propagiert „ böse weil Ausländer „

      Ich propagiere „ böse weil Alkoholiker / dumm / ungebildet „

      Das ist ein Fundamentaler Unterschied

      • devils_son

        Placebo… welch ein Schmarrn! Mörder sind genauso Akademiker (allerdings noch keinen unter den täglichen Zuwanderern bemerkt)

        • heracleummantegazziani

          Ihre Behauptung schon ist absoluter Blödsinn. Schauen Sie sich doch die letzten Fälle an, allesamt Personen, die genau in das von placebo beschriebene Bild passen.

          • kongo

            Heracleum und auch Placebo, ich glaube eher das ihr hier Blödsinn verbreitet, aber das kommt davon wenn mann nur in eine Richtung schauen kann. Von eurer Ideologie her kann mann euch mit den deutschen Grünen vergleichen, und was dabei rauskommt sieht mann ja alle Tage.Eben nur Quatsch.

      • hermannh

        blaceboeffekt: dass heisst dass die Partnerin von BRUTUS massiv aufpassen muß?

  • cosifantutte

    Was wir hier erleben, ist die Zersetzung der gesellschaftlichen Ordnung, ausgelöst durch das Überbordwerfen ihrer übergeordneten ethischen und moralischen Prinzipien und die dazu führende Atomisierung. Angefangen hat das in Südtirol nach Magnago. Der Versuch, diese Entwicklung durch unvollkommene Gesetzgebung und deren Umsetzung zu erklären, sind von vorneherein zum Scheitern verurteilt, da sie das Problem nicht im Kern erfassen.

    Jede übergreifende Ordnungsstruktur setzt die Existenz eines gemeinsamen Wertekanons voraus. Der wesentliche Bestandteil einer solchen Gesellschaft sind Konsens, Bildung, und der damit zusammenhängende ethisch-moralische Kompass, der sich als „Das macht man nicht“ manifestiert.

    In so einem gesellschaftlichen System ist die Ausübung des Strafrechts nur vereinzelt erforderlich; es funktioniert, da minimale Strafverfolgungs-, und Strafkapazitäten sowie die Autorität seiner Institutionen ausreichen, es aufrecht zu erhalten. Diesen Punkt haben wir überschritten. Der Fehler liegt zum einen im sich freiwillige Loslösen der Gesellschaft vom eigenen ethisch-moralischen und kulturellen Erbe, ohne dass sie Imstande wäre etwas Gleichwertiges an dessen Stelle zu setzen. Dazu gehört allem voran die Zersetzung der Familie. Der zweite Fehler heißt Diversität und der abhandengekommene Respekt für eine sich selbst atomisierende Gesellschaft.

    Wer die ersten Opfer sind, sehen wir gerade.

    • andreas

      Abschottung oder Rassenpolitik, wie du sie propagierst, funktioniert aber auch nicht wirklich, da auch Länder wie Japan, Kanada oder Australien, welche recht selektiv bei Einwanderung sind, durchaus Kriminalität haben.

      Und der Begriff „unvollkommene Gesetzgebung“ soll wohl vermitteln, dass es eine vollkommene gibt, das ist aber falsch, da es eine solche niemals geben kann.

      Es gibt zwar ein paar Länder mit niedriger Kriminalitätsrate, doch die Instrumente dieser Despoten, wie z.B. Saudi Arabien, sind massive Gewalt und Einschüchterung, was in westlichen Staaten aber nicht umsetzbar ist.

  • cosifantutte

    „Abschottung oder Rassenpolitik, wie du sie propagierst, funktioniert aber auch nicht wirklich“

    Da ist sie wieder, die Rassismus Keule. Ich wage nur zu behaupten, dass Gesellschaften, die auf einem kultureller Grundkonsens zu Übergeordneten Prinzipien, Werten und Zielen beruhen, reibungsloser funktionieren. Sobald dieser abhanden kommt, werden sie von innen her zersetzt.

    Dank dieses Konsenses muss man eben nicht so, wie es sich Karin Göring-Eckart vorstellt, das „Zusammenleben jeden Tag neu verhandeln“ (z.B. durch Messerstechen wegen der Nutzung einer Parklücke oder man zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort war), sondern kann Energien produktiver einsetzen, statt Substanz zu verbrauchen um den Niedergang zu verwalten. Dass das gerade so läuft, bestätigen empirisch die 60 Messerattacken pro Tag in Deutschland.

  • tirolersepp

    Jeden zweiten Tag eine Anfrage allein im Frauenzentrum Meran, das sagt doch alles !!!

    Wir als Gesellschaft haben ein Problem, hauptsächlich wir Männer als Gesellschaft !!!

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