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„Wir leben in ständiger Angst“

Die Familie Schölzhorn in St. Anton in Innerpflersch wird ihr Heimathaus aufgeben – aus Angst um ihr Leben. Das Haus wird sowohl von Muren als auch Lawinen bedroht.

von Erna Egger

Sobald Gewitterwolken am Pflerscher Himmel auftauchten, kommt bei Günther Schölzhorn seiner Frau Rosanna (67 Jahre) und seinem 26-jährigen Sohn Marco große Unruhe auf:

Der 66-Jährige ist Inhaber des Sportgeschäftes „Sport Center“ in Sterzing, mit seiner Familie wohnt er jedoch in St. Anton in Innerpflersch.

Das Wohnhaus befindet sich unterhalb des massiven Tribulans – in einer gefährlichen Zone, bedroht von Muren und Lawinen. Nach mehreren Unwetterereignissen will die Familie nun, getrieben von der Angst, ihr Heimathaus verlassen. Schölzhorn über das Leben im Gefahrenbereich.

Tageszeitung: Herr Schölzhorn, seit wann wohnen Sie in St. Anton in der Gefahrenzone?

Günther Schölzhorn: Unser Wohnhaus, in dem ich mit meiner Frau und meinem Sohn lebe, liegt unmittelbar neben dem Kogbach. Meine Tochter wohnt rund 300 Meter weiter.

Bei meinem Heimathaus handelt es sich eigentlich um das Elternhaus meiner Mutter, das in den Chroniken im 15. Jahrhundert das erste Mal erwähnt. Vor rund 30 Jahren haben wir ausgebaut.

Bestand die Gefahr immer schon?

Früher war die Gefahr minimal. Sicher hat die Klimaerwärmung viel zur Gefahr beigetragen. Heute, sobald es regnet, schauert es sogleich. Das war früher nicht der Fall. Durch den Schauer gerät am Berg das Material in Bewegung, das dann herunterkommt. 

Wann wurden Sie sich bewusst, dass in einer derart gefährlichen Zone wohnen?

Vor rund 20 Jahren wurde uns klar, dass wir uns in einer gefährlichen Zone befinden, als wir bei Unwettern von Murenabgängen knapp verschont wurden. Damals haben wir der Wildbachverbauung Fotos vorgelegt, die uns dann mit einer Mauer in Höhe von 1,5 Meter abgesichert hat. Wir fühlten uns dann wieder sicher. Aber wir haben uns getäuscht.

Wann waren Sie das erste Mal von den Materialabgängen direkt betroffen?

Vor zwei Jahren hatten wir großes Glück: Unwetter hatten zu Murenabgängen geführt, die Verklausungen beim Bach verursacht haben. Ein Bagger, der gerade vor Ort war und sofort eingegriffen hat, konnte das Schlimmste verhindern. Dann kamen gleich weitere Bagger, um die Gefahr zu bannen. Vor fast genau einem Jahr wurden wir von der Mure voll erwischt: Der Schlamm und das Material, durchsetzt mit Steinen, haben unseren Garten überschwemmt, der gesamte untere Stock stand bis zum Oberboden unter Wasser. Drei Wochen hielten die Aufräumarbeiten an, an die 100 Feuerwehrleute und die Wildbachverbauung halfen uns.

Wie lebt man in dieser permanenten Gefahr?

Man lebt in großer Angst. Über ein halbes Jahr lang ging ich ungern nach Hause. Ich habe sieben Kilo an Gewicht verloren, weil ich einfach nichts mehr essen konnte. Vor einem Monat kam wieder ein heftiges Gewitter auf – und sogleich stellen sich die schlimmsten Befürchtungen ein. Nachts kann man nicht mehr schlafen. Voriges Jahr war das Material – das niemand aufhalten konnte – innerhalb von nur 10 Minuten nach Ausbruch des Gewitters im Ort und hat ein Bild der Verwüstung angerichtet. Das kann man sich kaum vorstellt. Wir leben ständiger Angst.

Sie haben nun mit Ihrer Familie beschlossen, Ihr Heimathaus zu verlassen?

Ja, wir wollen weg, so sehr es auch schmerzt, weil es unser Heimathaus ist. Aber mit dieser permanenten Angst kann man nicht weiterleben. Man fühlt sich nie sicher, sondern immer in ständiger Gefahr. Und wann die nächsten Muren kommen, weiß niemand. Das kann erst in zehn Jahren sein, aber bei diesen sich häufenden Extremereignissen auch schon in den nächsten Tagen. Wir fürchten um unser Leben. 

Sie sind nun mit der Gemeinde und den zuständigen Landesämtern im Gespräch?

Es gibt aber noch keinen neuen Standort. Es ist ein langer und steiniger Weg, obwohl ich gehofft hatte, dass es schnell eine Lösung gibt.

Sind noch weitere Häuser in derselben Lage?

Auch das Haus meines Bruders war von den Muren vor einem Jahr betroffen – auch er hatte den untern Stock voll mit Material. Sein Wohnhaus befindet sich aber etwas weiter vom Bach entfernt. Auch einen weiteren Nachbarn hat es getroffen. Aber mein Wohnhaus ist jenes, das dem Bach, von dem die Gefahr ausgeht, am nächsten liegt, dieser befindet sich nur zehn Meter von unserem Wohnhaus entfernt.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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