Du befindest dich hier: Home » Gesellschaft » „Narzisstisch sehr aufgeladen“

„Narzisstisch sehr aufgeladen“

Celine Frei Matzohl (Foto: FB)

Nach dem Femizid an Celine Frei Matzohl erläutert der Psychiater Roger Pycha, warum die Geschlechter mit Trennungen ganz verschieden umgehen und was Männer unbedingt von Frauen lernen sollten.

Tageszeitung: Herr Pycha, nach dem Femizid an Celine Frei Matzohl stellen sich viele Südtiroler die Frage, warum ein Mann zu so einer Tat fähig ist. Haben Sie eine Antwort auf diese Frage?

Roger Pycha (Primar der Psychiatrie am Krankenhaus in Brixen): Männer neigen stärker zu impulsiven Aktionen und sie sind tendenziell verbal eher unterlegen. Sie streiten auch nicht so gern verbal wie Frauen. Oft schützt den Mann in einer verbalen Auseinandersetzung mit einer Frau nur hartnäckiges Schweigen. Frauen wiederum reagieren auf dieses Schweigen immer heftiger verbal. Letztendlich bauen Männer eine solche Spannung auf, dass sie vom Verbalen zur Tat schreiten.

Gibt es ein bestimmtes Profil, welches diese gewaltbereiten Männer charakterisiert?

Männer, die Femizide begehen, sind kriminologisch eher passiv-aggressiv und deshalb nicht sehr auffällig. Frauen geraten effektiv in physische Gefahr, wenn ein Mann Anzeichen dafür gibt, dass er die Trennung nicht verstanden hat oder nicht respektiert. Es kann sein, dass er sich so sehr narzisstisch verletzt fühlt, dass er ein Weiterleben des Liebesobjektes nicht erträgt und es töten will – auch damit kein anderer es bekommt. Dabei spielt ein großer Kontrollgedanke eine wichtige Rolle.

Wie reagieren Frauen, wenn ein Mann sich von ihnen trennt?

Frauen lieben die Besprechung, so dass sie am grünen Tisch schon im Vorhinein ein Problem gelöst haben, bevor sie damit konfrontiert sind. Im Falle einer Konfrontation sind sie dann nicht so gern allein. Frauen sind gern in Gemeinschaft klug und stark.

Warum reagieren überwiegend Männer nach einer Trennung gewalttätig?

Männer lösen Probleme tendenziell allein und wollen für ihre Tat bewundert werden – sie sind also durchaus narzisstisch sehr aufgeladen. Männer müssten sich auch Gemeinschaften schaffen, in denen Probleme besprochen und zivile Lösungen angepeilt werden.

Was sind die Gründe dafür, dass sich die beiden Geschlechter diesbezüglich unterscheiden?

Bis zu 90 Prozent aller schweren Gewaltverbrechen werden von Männern begangen. Das hängt mit der Erziehung zusammen und auch mit den Hormonen.

Celine Frei Matzohl wurde mit neun Messerstichen im Brust- und Halsbereich getötet. Was sagt das über den Täter aus?

Stichwaffen gehören in südlichen Kulturen ein bisschen zum eigenen Outfit, zum eigenen Körper. Es ist das, womit man sich wehrt, wenn es gefährlich wird. Die Körperregion hat er deswegen gewählt, weil es tödlich sein sollte – es sollte keine Chance für sie geben.

Der Mord an der 21-Jährigen ist bereits der 73. Frauenmord in diesem Jahr in Italien. Warum schafft man es nicht, dass diese Zahlen endlich sinken?

Die Häufigkeit von Trennungen ist in den letzten Jahrzehnten angestiegen und auch die Intensität der sozialen Verletzungen ist größer und dramatischer geworden. Demgegenüber sind die Vorkehrungen wenig effizient. Verwarnungen sind jedoch wenig wirksam und stacheln manchmal vielleicht bloß auch noch den Widerstandsgeist der betroffenen Männer an.

Wo müsste angesetzt werden, um dieses geschlechtstypische Verhalten zu durchbrechen?

Es muss vermittelt werden, dass auch ein Mann schwach sein darf, Gefühle verbal äußern kann und nicht durch Zuschlagen. Wir müssen differenzierte Konfliktlösungsstrategien bereits in der Schule üben.

Ist es überhaupt möglich, von außen erfolgreich einzuwirken?

Im Einzelfall ist eine intensive Beziehungsaufnahme gleichzeitig die beste Vorbeugung, das heißt, wenn jemand verlassen wird, aber in anderen Menschen ein Beziehungsnetzwerk findet und wenn er Pläne hat für die Zukunft, die unabhängig sind von den Plänen seiner Expartnerin, dann ist er besser geschützt. Männer müssen sich auf Trennungen so vorbereiten, dass sie nicht aus allen Wolken fallen, weil sie den ganzen Beziehungsstress gar nicht wahrhaben wollten.

Celine Frei Matzohl war nur wenige Monate mit dem vermutlichen Täter in einer Beziehung, sie hat ihn aufgrund seines gewalttätigen Verhaltens angezeigt und sich von ihm getrennt. Trotz dieses konsequenten Verhaltens ist sie sein Opfer geworden…

Sie hat alles richtig gemacht. Wir müssen die Schuld bei ihm suchen. Er hat dutzende Möglichkeiten der Beziehungsbeendigung, die einvernehmlich sein sollte, ausgeschlagen. Dass er jetzt schweigt, ist auch regelrecht dieses Mauern, das Männer verwenden, wenn Frauen in jeder Weise verbal oder verhaltensmäßig überlegen sind. Frau Matzohl hat sehr bald gemerkt, dass dies nicht die Beziehung war, die sie suchte und hat sie zu beenden versucht. Aber er blieb hartnäckig, was zum Teil mit seinen kulturellen Gegebenheiten erklärbar aber niemals entschuldbar ist. Es gibt in der Türkei eine patriarchale Gesellschaft – und wer bei uns lebt, der ist bei den hiesigen Frauenrechten oft schlecht an die Umwelt angepasst. Vor allem aber wenn ich stark gekränkt bin, sind mir gesellschaftliche Normen ziemlich egal, dann tue ich gerade Verbotenes. Dann ist das Verbotene fast schon eine Art Kompensation. Ich räche mich an den Menschen und an der Gesellschaft dafür, dass sie für mich so ungünstige Regeln hervorgebracht hat.

Interview: Sandra Fresenius

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (18)

Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen

Du musst dich EINLOGGEN um die Kommentare zu lesen.

2025 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen