„Nicht als Marionette agieren“
Welche Erwartungen hat Südtirols Zivilgesellschaft im Hinblick auf die Landtagswahlen an die Politik? Wolfram Nothdurfter, Präsident des Dachverbandes netz, über die größten Probleme der Jugend.
TAGESZEITUNG: Herr Nothdurfter, Sie sind Präsident von netz, dem Dachverband für offene Jugendarbeit mit insgesamt 54 Mitgliedsvereinen. Sind Südtirols Jugendtreffs und -zentren gut vernetzt?
Wolfram Nothdurfter: Es gibt ein gemeinsames Handbuch, gemeinsame Richtlinien und einen regelmäßigen persönlichen Austausch zwischen den Jugendarbeitern. Das Konzept besteht, aber es gibt sicher noch Luft nach oben.
Wie zufrieden sind Sie mit der Jugendpolitik und dem Jugendförderungsprogramm der Landesregierung?
Es gibt auf jeden Fall einige positive Punkte zu nennen, beispielsweise das Jugendförderungsgesetz. Die Unterstützung ist in den letzten Jahren stark aufgebaut worden. Das bedeutet aber nicht, dass wir mit allem zufrieden sein müssen, denn es würde noch mehr brauchen.
In den letzten Jahren ist die Wahlbeteiligung immer weiter gesunken – auch bei jungen Menschen. Wie, glauben Sie, wird sich das in Zukunft entwickeln?
Das ist ein allgemeines Problem, denn viele junge Menschen sind politisch sehr engagiert. allerdings haben viele den Eindruck, wählen sei sinnlos. Sich zu beteiligen bedeutet nämlich nicht nur, eine Stimme abzugeben, sondern konstant am politischen und gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Es braucht das Gefühl, dass man selber einen Einfluss haben kann und nicht nur als Marionette agiert. Jedoch erweckt es immer mehr den Anschein, dass selbst Politiker nicht mehr den größten Entscheidungsfaktor darstellen, sondern die großen Wirtschaftsträger, Lobbyisten und Konzerne.
Wird den Jugendlichen von Seiten des Landes ein ausgewogenes Freizeitprogramm, beispielsweise kulturelle Veranstaltungen, angeboten?
Das Angebot ist vielfältiger, als es den Anschein macht. Aber die teils viel zu strengen sicherheitstechnischen und bürokratischen Auflagen für die Umsetzung solcher Veranstaltungen erschweren es den Jugendlichen, selbst etwas zu organisieren. Das hemmt in einer gewissen Hinsicht das gesellschaftliche Leben und kann Jugendliche oft darin einschränken, ihrer Kreativität freien Raum zu lassen.
Gibt es genügend Freiräume für Jugendliche in Schulen und Gemeinden?
Es gibt inzwischen vielerorts Jugendtreffs und -zentren, wobei diese Strukturen aber nicht den gesamten Bedarf abdecken. Es fehlt an Freiraum, an dem Jugendliche selbstbestimmt etwas machen können. Es ist wichtig, Jugendliche in die Gesellschaft einzubinden.
Ist mit der zunehmenden Migration auch die interkulturelle Jugendarbeit mehr zum Thema geworden?
Die Interkulturalität ist schon länger ein Thema, sowohl die Vernetzung von verschiedenen Kulturen als auch die Integration von Menschen mit Einschränkungen, die ebenfalls ihren Platz in der Gesellschaft suchen. Es ist die gemeinsame Aufgabe von Land und Jugendverbänden, über kulturelle und soziale Grenzen hinweg Möglichkeiten an Begegnungen und Erfahrungen zu schaffen.
Die steigenden Lebenshaltungskosten und aktuelle Lage auf dem Wohnungsmarkt stellen vor allem für junge Menschen ein großes Problem dar. Was kann die Politik dagegen tun ?
Das Thema Wohnen ist sicherlich ein aktuelles Thema und ein ernstzunehmendes Problem – nicht nur für die Jugend. Wenn die Anfrage groß ist, steigt automatisch der Preis. Und nicht für alle ist diese finanzielle Last tragbar. Das Vermögen wandert immerzu in eine Richtung, damit hat die gesamte Gesellschaft rund um jung und alt zu kämpfen. Und es scheint kein Rezept dafür zu geben, das zu unterbinden.
Braucht es generell mehr finanzielle Förderung von Seiten des Landes?
Wir sind auf einem guten Punkt und haben eine gute Zusammenarbeit zwischen den Jugendverbänden und dem Land. Allerdings sehen wir einen zunehmenden Bedarf an professionellen Fachkräften, die im Bereich der Jugendarbeit tätig sind. Aus diesem Grund bräuchte es mehr finanzielle Förderungen, zumal wir als Dachverband netz durch verschiedene Beiträge finanziert werden. Das stellt natürlich ein gewisses Risiko her, nicht zu wissen, mit welchem Geldbetrag man effektiv arbeiten kann. Es fehlt uns hier an Planungssicherheit, welche man beispielsweise durch einen mehrjährigen Haushaltsplan erreichen könnte. Die gerechte Entlohnung solcher Fachkräfte muss den Preis wert sein.
Der Dachverband netz arbeitet daran, die Zusammenarbeit zwischen Jugendarbeit und Schulsozialpädagogik zu verbessern. Welche Anstrengungen sollten unternommen werden, um Jugendgewalt einzudämmen?
Hinter Jugendgewalt stehen immer auch die Eltern bzw. das soziale Umfeld. Es ist wichtig, sachlich an das Ganze heranzugehen, damit keine Stereotypen entstehen. Man muss unterscheiden zwischen einer Aktion und dem Menschen, der das macht. Aber man muss klare Maßnahmen und Interventionen ergreifen. Ich muss auch das Umfeld betrachten, sonst habe ich zwar eine Symptombekämpfung, aber an der Ursache nichts verändert.
Welche Erwartungen haben Sie im Hinblick auf die kommenden Landtagswahlen im Herbst an die neue Landesregierung?
Wir als Dachverband netz für offene Jugendarbeit fordern Rahmenbedingungen für die Entwicklung von jungen Menschen in Südtirol, wobei sowohl finanzielle und kulturelle Aspekte sowie Maßnahmen zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung berücksichtigt werden sollen. Außerdem sollten diese Rahmenbedingungen gemeinsam mit den Jugendlichen und anderen Vertretern erstellt werden. Denn viele politische Entscheidungen, die in der Vergangenheit getroffen wurden, sind nicht im Sinne der Jugend.
Interview: Sylvie Debelyak
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Kommentare (3)
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hallihallo
die jugendlichen haben es heutzutage schwieriger. früher gab es überall tanzlokale und discos. mit den ganzen sicherheitsauflagen sind die alle verschwunden. ein bischen sind die jugendlichen auch selber schuld, da sie sich erst besaufen und dann in die lokale gehen wollen.
es ist richtig, daß man nicht betrunken fahren darf, aber die taxis sind sehr teuer, wenn man den eines findet, welches nachts fahren will.
heutzutage studieren sehr viele und bleiben dann auch oft in den städten hängen, was zu einer bestimmten landflucht führt. in den apenninen leben in dörfern nur noch alte und einige aussteiger . bei uns ist es noch nicht so schlimm.
der verkehr hat aber in den letzten jahrzehnten stark zugenommen, da alle von den tälern in die städte zur arbeit pendeln.
pingoballino1955
Jetzt haben wir ja die Superidee von Salvini: Gratistaxis in den vier Großstädten Italiens,im Test! Der Mann hat keine Ahnung,genau wie die obligatorische Preisangabe des Durchschnittpreises Diesel,Benzin und Co: TOTALER FLOPP! Sind jetzt + – bei 2,00 Euro: Salvini,sei ancora chiaro in testa?????,? VAI A CASA!!!!
dn
Ist wohl eher die Meinung vom Nothdurfter. Gibt es eine repräsentative Umfrage?