Neue Heuschreckenarten
Neufunde im Rahmen des Biodiversitätsmonitorings Südtirol zeigen: Für wärmeliebende Arten ist unsere Region durch den Klimawandel ein zunehmend geeigneter Lebensraum.
Die Zweifarbige Beißschrecke und der Dickkopf-Grashüpfer können mithilfe des Windes weite Strecken zurücklegen und kamen womöglich fliegend zu uns; die kurzflügelige Kleine Knarrschrecke hingegen ist vermutlich mit dem Zug nach Südtirol gekommen – gefunden wurde die Heuschreckenart erstmals im Unterland, 600 Meter von der Brennerbahnlinie entfernt. Das Biodiversitätsmonitoring Südtirol, mit dem Eurac Research seit 2019 die Artenvielfalt erfasst, erbrachte einige Neufunde, darunter auch Pflanzen- und Fledermausarten. Dafür gibt es mehrere Gründe: Einerseits wurden Südtirols Tier- und Pflanzenarten noch nie so systematisch erhoben wie mit dem Biodiversitätsmonitoring. Andererseits finden nun immer mehr wärmeliebende Arten durch den Klimawandel einen geeigneten Lebensraum. Zudem werden neue Arten auch durch Waren- und Personentransporte eingeführt.
Die Kleine Knarrschrecke kommt im Mittelmeerraum häufig vor, wurde aber trotz intensiver Heuschreckenkartierung vor ihrem ersten Fund 2022 in Südtirol noch nie gesehen. „In diesem Falle vermuten wir, dass die Art erst kürzlich in das Gebiet eingewandert ist“, erklärt Andreas Hilpold, Biologe von Eurac Research. Auf die Heuschrecken wird in Monitoringprogrammen – wie sie auch in Österreich und der Schweiz laufen – ein genauerer Blick geworfen, weil sie laut und zahlreich und damit leicht zu erheben sind. Und sie besiedeln fast alle Lebensräume – Wiesen, Wälder, Weinberge, Obstanlagen. Die einzelnen Heuschreckenarten sind jedoch stark an ihr spezifisches Habitat gebunden, sagen also viel über die Qualität eines Lebensraums aus, wie Hilpold deutlich macht: „In einer Magerwiese, etwa in Pflersch oder Passeier, finden wir bis zu 14 Arten. In Weinbergen sind es meist um die drei. In Obstanlagen oft nur eine, wenn überhaupt. Je intensiver eine Fläche genutzt wird, desto leiser wird es.“ Außerdem bilden Heuschrecken im alpinen Raum die größte Biomasse wirbelloser Tiere auf der Bodenoberfläche. Damit sind sie ein wichtiges Glied in der Nahrungskette für Vögel und kleine Nagetiere, aber auch Marder, Füchse und Wildschweine ernähren sich von ihnen. Gemeinsam mit vielen anderen Insekten sind sie also unentbehrlich für das Funktionieren von wichtigen Ökosystemen, die europaweit gefährdet sind.
Mit dem Biodiversitätsmonitoring Südtirol erfasst ein Forschungsteam von Eurac Research im Auftrag der Südtiroler Landesregierung sensible Artengruppen, die auf Klima- und Landnutzungsänderungen reagieren: Vögel, Fledermäuse, Tagfalter, Heuschrecken, Moose und Flechten, verschieden Bodenorganismen, sowie die Süßwasserfauna. Erhoben wird in unterschiedlichen Lebensräumen an 320 terrestrischen und 120 Fließgewässer-Standorten in ganz Südtirol, von der Talsohle bis auf die Berggipfel, inklusive Gewässer. „Ein solches Monitoring ist eine Art Frühwarnsystem, damit wir sicherstellen können, dass wir unserer Verantwortung für den Erhalt dieser Vielfalt auch in Zukunft gerecht werden können,“ erklärt Hilpold. Die erhobenen Daten sind Grundlage für Naturschutz-, Landschafts- und Siedlungspolitik.
Die Tatsache, dass die Artenvielfalt Südtirols noch nie zuvor so gründlich und systematisch unter die Lupe genommen wurde, trägt vermutlich dazu bei, dass dem Forschungsteam neben den drei neuentdeckten Heuschreckenarten eine ganze Reihe von Neufunden gelang: die Rotköpfige Grillwanze – ein Nützling, der Blattläuse vertilgt –, der Riesenabendsegler – die größte und seltenste Fledermausart Europas –, die Steinfliegenlarve Amphinemura triangularis, das Krummblättrige Tagmoos sowie die Gekerbte Deutzie – auch Maiblumenstrauch genannt, die über Gärtnereien nach Europa gekommen und dann verwildert ist. „Neben dem Klimawandel, der weitere wärmeliebende Arten zu uns bringt, ist die Globalisierung ein wichtiger Faktor: Arten aus anderen Kontinenten gelangen durch Warentransporte und reisende Menschen zu uns“, erklärt Hilpold und schließt: „Dies ist leider nicht nur positiv, da die Verbreitung der neuen Arten teils schwerwiegende Folgen hat. Es kann nämlich vorkommen, dass Arten durch die neuen Arten verdrängt werden.“
Wie sich die Biodiversität in Südtirol entwickelt, werden die Erhebungen in den nächsten Jahren zeigen. Ab 2024 werden die Forscherinnen und Forscher die 320 Flächen ein zweites Mal erheben. Dann gibt es die ersten Zeitreihen als Vergleich.
Das Biodiversitätsmonitoring Südtirol wird von der Südtiroler Landesregierung finanziert und vom Institut für Alpine Umwelt von Eurac Research in Zusammenarbeit mit dem Naturmuseum Südtirol, der Abteilung Natur, Landschaft und Raumentwicklung, sowie der Abteilung Landwirtschaft der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol durchgeführt.
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