„Ausgepresst wie eine Zitrone“
Die Beratungsgespräche für Eltern von Kindern mit mangelnden Deutschkenntnissen funktionieren nicht – weil sich die italienischen Schulen weigern, ausländische Kinder aus deutschen Schulen aufzunehmen.
von Matthias Kofler
Was die Politik als großen Wurf feiert, erweist sich in der Praxis als Augenwischerei. Vor zwei Wochen hat der Landtag Maßnahmen verabschiedet, um dem Problem der mangelnden Deutschkenntnisse von Schulkindern mit italienischsprachigem bzw. ausländischem Hintergrund entgegenzuwirken. So gibt es jetzt in den Schulen vor der Einschreibung verpflichtende Beratungsgespräche für die Eltern, wenn ein Kind nicht gut Deutsch spricht. Außerdem sind die Eltern verpflichtet, Sprachkurse zu belegen, um ihr Kind abseits der Schule unterstützen zu können. Darüber hinaus müssen die Eltern Nachhilfe und Sommerangebote für ihr Kind organisieren, damit dieses dem Unterricht folgen kann.
Wie DirektorInnen an deutschen Schulen in Bozen berichten, funktionieren die viel gepriesenen Eingangsgespräche nicht so, wie es sich die Politik wünscht. Obwohl die Eltern in Folge der Kolloquien zumeist selbst einsehen, dass das Kind wegen mangelnder Deutschkenntnisse besser in einer italienischen Schule aufgehoben wäre, kommt der Wechsel häufig nicht zustande. Der Grund: Viele italienischen Schulen weigern sich, ausländische Kinder aufzunehmen, die sich bereits an einer deutschen Schule eingeschrieben haben. Sie hätten bereits alle Plätze belegt, heißt es seitens der italienischen Schule.
In einem Bericht des Schulinspektorats, der der Tageszeitung vorliegt, heißt es: „Zu Beginn einer neuen Schulstufe werden die italienischen oder gemischtsprachigen Kinder, welche an die italienische Schule wechseln wollen, zumeist aufgenommen. (…) Bei Kindern mit Migrationshintergrund ist der Wechsel an die italienische Schule häufig problematisch oder gar nicht möglich.“ Die Ablehnung passiere mitunter auch trotz einer ausdrücklichen Empfehlung des Psychologischen Dienstes, der betreuenden Flüchtlingseinrichtungen oder der Sprachenzentren.
In der Sitzung der Landesregierung wurde der italienische Bildungslandesrat Giuliano Vettorato direkt auf die Probleme angesprochen. Für ihn handelt es sich nur um „böse Unterstellungen“. Sein Kollege Philipp Achammer sagt, dass er „an keine Zufälle mehr“ glaube. „Wenn die Eltern eine Umschreibung ihres Kindes vornehmen wollen, hören wir immer, dass an den italienischen Schulen alles voll sei. Da muss Absicht dahinter sein, die Kinder nicht mehr anzunehmen.“ Für Achammer ist dieses Verhalten „völlig unzulässig“.
Die Tageszeitung kennt den Fall eines Mädchens aus Südasien, das an einer deutschen Schule in der Bozner Altstadt eingeschrieben wurde, damit es Deutsch lernt. Die Eltern leben seit sieben Jahren in Bozen und sprechen nur Italienisch. Laut der Schuldirektorin haben die Eltern den ersten Elternbrief nicht verstanden und deshalb das Kind zu keinem Wahlfach angemeldet. Daraufhin wurden die Eltern zum Gespräch eingeladen. Dort stellte sich heraus, dass die Eltern niemanden haben, der ihnen die Schulmitteilungen übersetzen kann. Die Direktorin legte den Eltern deshalb nahe, das Mädchen in die nahegelegene Danteschule umzuschreiben. Die für die Danteschule zuständige Leiterin des „Istituto Comprensivo Bolzano 1“ teilte den Eltern aber mit, dass dort alle Plätze besetzt seien.
„Uns kann man nicht vorwerfen, dass wir keine ausländischen Kinder aufnehmen würden“, stellt Sabine Giunta, Direktorin des Schulsprengels und Grünen-Spitzenkandidatin bei den Landtagswahlen, klar. An der Danteschule gibt es elf Klassen mit 200 SchülerInnen – 86, also 43 Prozent davon, sind keine italienischen Staatsbürger. In einigen Klassen liegt der Ausländeranteil sogar bei über 50 Prozent. Da sich die Schule im Stadtzentrum befindet, ist sie laut Giunta die erste Anlaufstelle für Familien, die nach Bozen ziehen. „Einige der Kinder können wir aufnehmen, aber nicht alle. Ich entscheide von Fall zu Fall, achte dabei aber besonders auf jene Kinder, die noch keinen Platz bekommen haben“, erklärt die Direktorin. Im Fall des Mädchens aus Südasien entschied sich die Schule gegen eine Aufnahme, weil die erste Grundschulklasse bereits mit über 20 SchülerInnen (52 Prozent Ausländer) voll besetzt war. Die Zuweisung der Räumlichkeiten und der Lehrpersonen erfolgte schon im Frühjahr.
Giunta führt noch einen weiteren Grund an: So habe sich herausgestellt, dass das Mädchen, das an die Danteschule wechseln sollte, zuvor vier Jahre lang einen deutschen Kindergarten besucht habe. „Wenn ich höre, dass man nach vier Jahren zum Schluss kommt, für das Kind wäre eine italienische Schule das Beste, dann stehen mir die Haare zu Berge. Dann haben wir etwas falsch gemacht“, findet die Grüne klare Worte. Sabine Giunta wollte von Sigrun Falkensteiner wissen, ob es nach der Gesetzesänderung im Landtag neue Anweisungen für die Schule gebe. Die Antwort der Landesschuldirektorin: Die Sprachzentren würden bestmöglich neutral bewerten.
Die Grünen-Spitzenkandidatin ist skeptisch. Laut Empfehlung der Sprachzentren soll die Danteschule in Kürze einige Kinder aus Peru aufnehmen, da es diesen leichter falle, Italienisch zu lernen. „Soll das heißen, dass die italienischen Schulen alle Kinder aus Südamerika aufnehmen sollen? Und die deutschen Schulen übernehmen nur die wenigen Kinder, die aus Deutschland, der Schweiz, Österreich oder den Niederlanden zu uns kommen?“, fragt sich Sabine Giunta. Die italienischen Schulen platzten schon jetzt aus allen Nähten; es fehle an Lehrpersonal und Räumlichkeiten. „Es kann nicht sein, dass die deutschen Schulen nur ein Drittel der Kinder mit Migrationshintergrund aufnehmen – und wir, bei denen zwei Drittel der ausländischen Kinder zur Schule gehen, mit einem kleinen Teller hinterherlaufen müssen, um ein paar Brösel abzukommen“, kritisiert die seit 2013 als Schuldirektorin tätige Pädagogin. Was würde Giunta anders machen, wenn sie in den Landtag gewählt wird? Die Grüne schickt voraus, dass ihre Schulen schon jetzt und ohne zusätzliche Finanzierung organisatorische und didaktische Maßnahmen setzen, um sicherzustellen, dass alle Kinder nach Abschluss die Alltagssprache beherrschen.
Das Credo: Die Sprachausbildung muss Teil aller Unterrichtsfächer und nicht nur Aufgabe des für die Sprachenförderung zuständigen Personals sein. Giunta erachtet es zudem als dringend notwendig, an den Kriterien für die Klassenbildung und die Personalzuweisung zu arbeiten. Im Landtag will sich die Grüne dafür einsetzen, „dass die Lehrpersonen nicht mehr wie eine Zitrone ausgepresst werden“. Es müsse sichergestellt werden, dass alle LehrerInnen die Geräte erhielten, die sie für den Unterricht benötigten. Ein Koch müsse schließlich auch nicht die Töpfe von zu Hause mitbringen. „Die Nicht-Würdigung dieser Kategorie, bei der pingelig die Minuten gezählt werden, muss ein Ende finden“, fordert die kämpferische Grüne.
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