„Wut und Ohnmacht“

Martin M. Lintner
Jetzt redet Martin M. Lintner und spart nicht mit Kritik an den „institutionellen Problemen“: Was der Moraltheologe zum vatikanischen Veto sagt und warum er keinen Rekurs einlegen wollte.
Das Veto aus Rom gegen die Ernennung von Martin M. Lintner zum Dekan der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen hat in Südtirol ordentlich Staub aufgewirbelt. Verschiedene Verbände und Funktionäre, u.a. das Landesethikkomitee, das Katholische Forum usw. protestierten gegen die Entscheidung und solidarisierte sich mit Lintner.
Jetzt reagiert Martin M. Lintner in einer Stellungnahme erstmals persönlich auf die vatikanische Verweigerung des Nihil obstat.
In einer Stellungnahme schreibt Lintner: „Die vatikanische Entscheidung gegen mich hat bei vielen Gläubigen nicht nur Unverständnis, sondern auch schwere Irritationen ausgelöst. Sie weckt Zweifel am Gelingen von Synodalität. Mir tut es auch weh, wie bei anderen Menschen eine kritische bis negative Haltung gegenüber der Kirche bestärkt wird. Wer mich kennt, weiß um mein Zugehörigkeitsgefühl zur Kirche und um meine konstruktiv-kritische Loyalität zum kirchlichen Lehramt.“
Die Entscheidung der vatikanischen Behörden habe enorme Reaktionen in Südtirol, im gesamten deutschen Sprachraum und mittlerweile auch in Italien und weit darüber hinaus ausgelöst. „Der Rückhalt und die Wertschätzung von so vielen Kolleginnen und Kollegen geben mir in diesen turbulenten Tagen Kraft. Aufrichtig danke ich auch für die unzähligen Solidaritätsbekundungen von Gruppen und Einzelpersonen aus den zivilgesellschaftlichen und politischen Bereichen. Diese Wertschätzung, Nähe und Zuspruch zu erfahren, ist überwältigend und erfüllt mich mit Demut. Sie tun mir menschlich wohl, da die vatikanische Entscheidung auch mich überrascht und betroffen gemacht hat“, so Lintner.
In einer Stellungnahme schreibt der Moraltheologe weiter: „Mein besonderer Dank gilt Bischof Muser, der um mein menschliches Befinden und um meine Zukunft als Moraltheologe besorgt ist. Ich bin mit ihm im guten Austausch. Auch die vorliegende Presseaussendung ist mit ihm abgesprochen. Er hat meiner ausdrücklichen Bitte entsprochen, keinen Rekurs gegen die vatikanische Entscheidung einzureichen. Es ist mir nämlich ein Anliegen, weder meine Hochschule noch mich selbst einem möglicherweise langwierigen und nervenaufreibenden Verfahren auszusetzen
Die teils heftigen und emotionalen Reaktionen seitens der theologischen Vereinigungen sind Ausdruck der berechtigten Sorge um die Glaubwürdigkeit der Theologie als Wissenschaft im Kontext der Universitäten sowie der säkularen Gesellschaft. Sie zeigen meiner Meinung nach aber auch deutlich, dass hier Wut und Ohnmacht von sehr vielen Kolleginnen und Kollegen durchbrechen, die im Lauf ihrer akademischen Tätigkeit mit ähnlichen Problemen und Hindernissen konfrontiert worden sind. Diese Probleme sind seit Jahrzehnten ein offenes Geheimnis und bedeuten für die Betroffenen eine Belastung, verbunden mit dem Gefühl von Demütigung, mit emotionalen Verletzungen bis dahin, dass berufliche Karrieren nachhaltig beschädigt wurden. Darunter kann auch die persönliche Identifikation mit der Kirche leiden. Viele schweigen darüber aus Angst, ihre Reputation als Theologin bzw. als Theologe zu verlieren und unter Verdacht einer mangelnden Kirchlichkeit gestellt zu werden. Als ich Vorsitzender der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie und des Internationalen Netzwerkes von Gesellschaften für Katholische Theologie war, habe ich viele solche Schicksale kennengelernt.
Das hat mir deutlich gemacht, dass es sich hier nicht nur um individuelle Fälle handelt, sondern um ein institutionelles Problem. In formellen und informellen Gesprächen mit Amtsträgern und Mitarbeitern der Glaubenskongregation und der Bildungskongregation habe ich mich zum Sprachrohr für diese Kolleginnen und Kollegen gemacht und diese Probleme thematisiert. Dabei hatte ich den Eindruck, dass seitens der Kongregationen – mittlerweile Dikasterien – ein Problembewusstsein vorhanden ist und dass die Notwendigkeit erkannt wurde, die Procedere zu überarbeiten und Verfahren transparent und fair zu führen.
Ich wünsche mir und hoffe, dass mein Fall dazu beiträgt, ein konstruktives Verhältnis des Vertrauens und des Dialogs zwischen Lehramt und akademischer Theologie, zwischen den Dikasterien und den theologischen Vereinigungen, Fakultäten und Hochschulen aufzubauen. Ich bin überzeugt, dass dies dem Geist der Synodalität entspricht, auf den Papst Franziskus die Kirche führen möchte.“
Kommentare (18)
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