Trauerspiel Bozner Stadtmuseum

Gerald Mair: Die Stadt Bozen könnte stolz auf unsere Sammlung sein, ist sie aber nicht. Im Gegenteil. Die Stadtverwaltung findet immer wieder eine neue Ausrede, um nichts zu tun.
Das Bozner Stadtmuseum beherbergt eine einzigartige Sammlung von Kunst, wunderschönen Trachten und Objekten der Tiroler Volkskultur. Doch seit zwei Jahrzehnten werden die Kostbarkeiten dem Publikum weitgehend vorenthalten. Ein Skandal, der für den Obmann des Museumsvereins Gerald Mair politisch motiviert ist.
Tageszeitung: Herr Mair, das Bozner Stadtmuseum ist das älteste Museum Südtirols, es besitzt eine kostbare Sammlung archäologischer Funde, mittelalterliche, gotische und barocke Kunst, wunderschöne Trachten und Objekte der Tiroler Volkskultur. Nur leider sind all diese Schätze seit 20 Jahren entweder überhaupt nicht oder nur sehr eingeschränkt zugänglich. Was ist da los?
Gerald Mair: Für die Besucher ist das Stadtmuseum ein Trauerspiel, für die Bozner Stadtverwaltung ist es offensichtlich ein Problem.
Warum ein Problem?
Ein Problem aus einem einfachen und sehr durchsichtigen Grund. Das Stadtmuseum dokumentiert die deutsch-österreichische Vergangenheit vor allem der Stadt Bozen, letztlich aber von ganz Südtirol, denn die Sammlung vereint Objekte aus dem ganzen Land. Daran will das mehrheitlich italienische Bozen nicht erinnert werden, das will man lieber nicht sehen. Die Italiener empfinden das Stadtmuseum als Fremdkörper. Wahrscheinlich steckt auch ein bisschen Neid dahinter, weil wir so viele wunderbare Sachen haben und sie als Zugereiste eben nichts Vergleichbares zu bieten haben. Aus meiner Sicht ist das der wahre Grund, dass das Stadtmuseum nicht unterstützt und nicht renoviert wird. Ich bin seit 2002 Obmann des Museumsvereins und habe zahlreiche Anläufe erlebt, die jedes Mal im Sand verlaufen sind. Man tut so als ob, aber letztlich passiert nichts.
Nennen Sie uns ein Beispiel.
Vor etwa 15 Jahren haben die damaligen Etschwerke im Innenhof des Stadtmuseums den zentralen Stromverteiler versetzt. Dazu musste die Feuerleiter an der Außenmauer abgebaut werden. Ob das wirklich notwendig war, bezweifle ich mittlerweile. Jedenfalls musste aufgrund der fehlenden Feuerleiter das Museum geschlossen werden, denn ohne Feuerleiter darf niemand hineingehen. Seit damals sind die oberen Stockwerke geschlossen, nur der erste Stock ist zugänglich. Es gibt seit zwei Jahren ein Projekt für eine neue Feuerleiter, damit wir die oberen Stockwerke wieder eröffnen können. Doch es geht nichts weiter. Die Stadtverwaltung findet immer wieder eine neue Ausrede, um nichts zu tun.
Das Museum ist aber schon länger geschlossen.
2004 wurde es mit der Begründung geschlossen, dass die Statik überprüft werden müsse. Für mich klingt das nach Ausrede, denn das Gebäude ist sehr solide gebaut. Der sogenannte Ofensaal im ersten Stock mit den schönen alten und sehr schweren Keramiköfen hält tadellos. Das ist seit 20 Jahren leider der Ist-Zustand im Stadtmuseum.
Sie glauben, dieser Zustand ist politisch gewollt?
Wenn es darum geht, das Stadtmuseum in seinem Schlaf zu belassen, halten die Rechten wie die Linken Parteien in der Stadtverwaltung zusammen. Aber auch die deutschsprachigen Vertreter in der Gemeinde, sprich die SVP, unternehmen nichts in Sachen Stadtmuseum. Der letzte Politiker, der sich wirklich eingesetzt hat, war Oswald Ellecosta, aber er konnte sich nicht durchsetzen. Der Rest interessiert sich nicht dafür oder hält anderes für wichtiger. Kultur ist halt nicht jedermanns Sache. Wir als Museumsverein können nichts tun, denn das Gebäude gehört der Stadt. Es tut weh, es zu sagen, aber nehmen wir beispielsweise unsere archäologische Sammlung. Die ist in einen Keller verbannt mit der Begründung, es gibt ja das Ötzi-Museum, da braucht das Stadtmuseum nicht auch noch archäologische Objekte auszustellen. Das einzige, was wir tun können, ist die Sammlungen ordentlich zu bewahren und aufzupassen, dass nichts gestohlen wird …
Wird gestohlen?
Ja. Beispielsweise ein äußert wertvolles Hebammenbuch aus dem 16. Jahrhundert, ein Unikat mit Dürer-Stichen und einem damaligen Wert von etwa 15.000 Euro, ist bei einer von der Gemeinde organisierten Ausstellung in der Dominikaner Galerie aus einer Vitrine gestohlen worden. Die Aufsicht war einer italienischen Pensionisten-Genossenschaft übertragen worden, die sich danach aufgelöst hat, sodass wir rechtlich keine Handhabe mehr hatten. Wir wurden von der Stadt übrigens gar nicht gefragt, ob wir das Buch ausleihen würden.
Von Seiten des Landes gab es mal Bemühungen, um die Situation zu verbessern. Vergeblich, oder?
Unter Ex-Landeshauptmann Luis Durnwalder wurde der Stadt Bozen mal der Vorschlag gemacht, das Gebäude zu kaufen, um die Situation zu verbessern. Die Reaktion war äußerst negativ. Kommt nicht in Frage. Ich habe viel Hoffnung in den Generationswechsel gesetzt, weil die älteren italienischen Gemeinderäte halt noch sehr nationalistisch eingestellt waren. Leider muss ich sagen, dass die jungen nicht viel besser sind. Man spürt im Grunde die gleiche nationalistische Haltung. Nach außen hin nett und freundlich, aber wenn es konkret wird, geht nichts mehr. Das haben wir ja auch beim Siegesplatz-Referendum erlebt.
Immerhin gibt es den Turm wieder.
Das war ein kleines Wunder. Die Faschisten haben ihn abgetragen, Anfang der 1990er Jahre wurde er wieder aufgebaut. Und prompt hieß es in den Kommentaren: Non si vede più il Catinaccio!
Wie umfangreich ist die Sammlung?
Die Sammlung umfasst zwischen 30.000 und 40.000 Objekte und gehört zu 80 Prozent dem Museumsverein. Dazu kommt noch die Bibliothek mit 30.000 Büchern. Die restlichen 20 Prozent hat Nicolò Rasmo zu seiner Zeit als Direktor zusammengetragen. Auch wurden Funde aus der Römerzeit hinzugefügt.
Tolomei hat das Stadtmuseum seinerzeit als „roccaforte del germanesimo“, als Festung des Deutschtums bezeichnet und wollte es in ein „Museo dell`Alto Adige“ umgestalten.
Ja. Eine sehr kritische Phase war auch die Optionszeit. Der Museumsverein war damals zwischen Dableibern und Optanten furchtbar zerstritten. Die Sammlungsobjekte waren bereits fertig für den Abtransport ins Deutsche Reich verpackt, aber der damalige Direktor Rasmo wusste es mit einigen Tricks zu verhindern, dass der Zug abfährt. Dafür muss man ihm heute dankbar sein.
Es gab Pläne für die Erweiterung des Museum. Sind die komplett ad acta gelegt?
Die Pläne haben wir zusammen mit der Kulturabteilung der Gemeinde entwickelt. Es gab einen Architektur-Wettbewerb und auch ein Siegerprojekt, aber danach ist es auf die lange Bank geschoben worden und schließlich eingeschlafen. Sogar ein gemeinsamer Eingang mit dem Ötzi-Museum mit einer unterirdischen Verbindung war im Gespräch und das Land hatte bereits seine Unterstützung zugesagt. Nichts ist geschehen. Man kann es nicht anders sagen: Das mehrheitlich italienische Bozen hat kein Interesse, das Stadtmuseum wieder zur Gänze zugänglich zu machen oder gar zu erweitern, weil es kein italienisches Museum ist.
Wäre eine Erweiterung sinnvoll?
Eine Erweiterung wäre vor allem für die Verwaltung wichtig, weil die Büroräume sehr eng sind. Natürlich wären auch größere Ausstellungsflächen schön, aber auf den bestehenden kann man konzentriert die wichtigsten Dinge schon zeigen. Diese riesengroßen Museen sind für die Besucher ja oft zu anstrengend. Klein aber fein ist fast gescheiter.
Die Wahrheit ist, die Stadtverwaltung hat kein Interesse daran.
Seit 1923 gibt es ein Kuratorium, das aus vier Vertretern der Stadt und vier Vertretern des Museumsvereins besteht. Laut Statut sollte dieses Kuratorium sich alle zwei Monate treffen, um die Führung und Zukunftspläne zu besprechen. Das hat sich im Laufe der Jahre im Sand verlaufen, aber wir haben es vor Jahren wieder reaktiviert. Es gab einige Sitzungen, aber mehr hat es nicht gebracht.
Darf der Museumsverein bei der Bestellung des Direktors mitreden?
Nein, wir dürfen nur eine Meinung äußern.
Ist es nicht ungewöhnlich, dass der Besitzer der Exponate bei der Führung des Hauses nur beratend mitreden darf?
Die Stadt argumentiert, dass sie die Angestellten zahlt und damit auch alleinig über die Führung entscheiden will. Bis 1933 hatte der Museumsverein selbst die Führung inne, dann hat der faschistische Gemeinderat beschlossen, sie an die Stadt zu übertragen. Das ist nie rückgängig gemacht worden. Es war ja schon ein Wunder, dass es dem Museumsverein damals gelungen ist, die Sammlung zu behalten. Andere Museen, beispielsweise Meran oder Bruneck, sind einfach enteignet worden. Es gab ja lange Zeit einen eigenen Raum im Stadtmuseum, in dem die enteigneten Brunecker Sammlungsobjekte aufbewahrt worden sind. Mittlerweile sind sie zurückgegeben worden.
Eigentlich ein Trauerspiel, dass die Stadt Bozen eine der schönsten kunst- und kulturhistorischen Sammlungen weitum versteckt.
Ja, und der Grund dafür ist eindeutig politischer Natur. Die Stadt könnte ja stolz darauf sein, ist sie aber nicht. Im Gegenteil.
Sie waren im Banksektor tätig. Woher kommt Ihr Interesse für Kunst und Kultur?
Ich war 44 Jahre Bankangestellter, mein Interesse für Kultur geht auf eine Erfahrung in der Jugend zurück. Ich stamme aus einer einfachen Arbeiterfamilie, aber weil ich ein guter Schüler war, wollte man mich bei den Franziskanern unterbringen, wo ich die Mittelschule besuchen durfte. Meine Eltern konnten sich das Gymnasium nicht leisten, also habe ich die Handelsoberschule besucht und war todunglücklich darüber. Mir hat die klassische Bildung gefehlt. Ich habe nie vergessen, wie ein Lehrer in der Klasse in Altgriechisch aus der Ilias vorgelesen hat. Wunderschön, ich habe direkt die Wellen rauschen gehört. Ein Leben lang habe ich versucht, diesen Mangel an klassischer Bildung zu kompensieren.
Was haben Sie studiert?
Ich habe neben meiner Arbeit in der Bank Soziologie in Trient studiert, bin fast täglich auf und abgefahren. Ich habe mich 1968 inskribiert, also genau zur Zeit der Studentenrevolte. Die Uni war oft besetzt. Wirtschaft hat mich eigentlich nie wirklich interessiert. Nebenbei war ich sehr viel als Bergsteiger unterwegs, ich war in Grönland, in Nepal, in Chile, im Hoggar in der Sahara usw. war Leiter der Hochtouristengruppe im Alpenverein und Kulturreferent, mit 65 Jahren stand ich noch auf einem 6.900 Meter hohen Berg.
Wie sind Sie zum Museumsverein gekommen?
Über den Präsidenten Anton von Lutterotti. Ich war Vizeobmann unter ihm, als er 2002 gestorben ist, wurde ich zum Obmann gewählt.
Was haben Sie rückblickend erreicht?
Realistisch gesehen, war ich 20 Jahre lang ein erfolgloser Obmann. Ich habe den Verein zwar weitergeführt, Veranstaltungen initiiert, die Digitalisierung in die Wege geleitet und und .. Was mich anbelangt, kann ich zufrieden sein, aber was die Situation des Stadtmuseums anbelangt, bin ich absolut unzufrieden und enttäuscht. Ich bin der Chef eines Trauerspiels.
Interview: Heinrich Schwazer
Zur Person
Gerald Mair, 1940 in Bozen geboren, studierte nach dem Besuch der Handelsoberschule von 1968 bis 1973 nebenberuflich Soziologie in Trient. Beruflich war er 44 Jahre als Bankangestellter tätig, die letzten 12 Jahre als Vizegeneraldirektor der Investitionsbank Trentino Südtirol/Mediocredito Trentino Alto Adige. Ab Oktober 2002 ehrenamtlich tätig als Obmann des Museumsvereins Bozen bis heute.
Museumsverein Bozen
Um einheimische Kunstgegenstände vor dem Ausverkauf ins Ausland zu bewahren, gründeten 20 Bozner Bürger 1882 unter Führung des aus Kaltern stammenden Geistlichen Karl Atz (1832-1913) den Museumsverein Bozen als Nachfolgeverein des bereits seit 1857 bestehenden Christlichen Kunstvereins. Mit Hilfe von Spenden aus der Bozner Bürgerschaft baute er eine umfangreiche Sammlung von kunsthistorischen, volkskundlichen und religiösen Kunstwerken auf, die vom Mittelalter bis in die Neuzeit reicht und in Südtirol einzigartig ist.
www.museumsverein.it
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