Bauboom im Grünen
Die Landesregierung boxt wenige Monate vor den Landtagswahlen das überarbeitete Landschaftsleitbild für das Bauen im Grünen durch. Sie verkauft es als Vereinfachung, in Wirklichkeit wird sie damit einen Bauboom auslösen.
Von Thomas Vikoler
Es gibt das Gesetz für Raum und Landschaft, das sich vor allem auf das Bauen innerhalb der Siedlungsgrenzen konzentriert. Und es gibt seit gestern das umgeschriebene Landschaftsleitbild, welches das Bauen außerhalb der Siedlungsgrenzen – also im landwirtschaftlichen oder alpinen Grün und im Waldgebiet – regelt.
Formell eine Übergangsbestimmung, enthält sie in Wirklichkeit alle entscheidenden Vorgaben für das Bauen im Grünen. Sie tritt mit einer Ausnahme mit Veröffentlichung des Beschlusses in Kraft.
Die Landesregierung hat damit das mit Beschluss Nr. 822 vom 8. November 2022 eingeleitete Verfahren abgeschlossen. Zum Entwurf gingen 41 Einwände von Bürgern und Organisationen ein, dazu Stellungnahmen von 99 Gemeinden (zumeist ein vom Gemeindeverband ausgearbeiteter Musterbeschluss).
Umweltorganisationen wie der Dachverband und der Heimatpflegeverband haben den Entwurf damals heftig kritisiert, sie sprachen von der Bedienung von Partikularinteressen, das Bauen werde über die Interessen des Landschaftsschutzes gestellt.
Alle nun beschlossenen acht Artikel des Landschaftsleitbildes betreffen bauliche Maßnahmen, für die weder eine Bauleitplanänderung noch eine Strategische Umweltprüfung (SUP) notwendig sind. Es reicht ein Bauansuchen bzw. eine Baubeginnmeldung.
Die Palette der neuen Baumöglichkeiten in Erwartung der Landschaftspläne der Gemeinden, die im Zuge des Gemeindeentwicklungsprogramms ausgearbeitet werden müssen, für das es bekanntlich keine Abschlussfrist mehr gibt, ist bunt: Sie reicht vom Bienenstand bis zur Anwendung des Energiebonus im landwirtschaftlichen Grün bis zur Erweiterung von bestehenden Gastbetrieben um bis zu 12.500 Kubikmeter. Insgesamt ging die Landesregierung, was die Baumöglichkeiten betrifft, über den Entwurf vom November hinaus, was wohl den anstehenden Landtagswahlen geschuldet ist.
Bei den neuen Übergangsbestimmungen handelt es sich um verbindliche Mindestvorgaben, welche im Zuge der Anpassung der gemeindespezifischen Landschaftspläne nur so oder restriktiver übernommen werden können. Davon nicht berührt werden etwaige restriktivere Bestimmungen von Landschaftsgütern von herausragender landschaftlicher Bedeutung (u. a. Ensembles, Naturparks, Landschaftsschutzgebiete, landschaftliche Bannzonen) und des Nationalparks Stilfser Joch.
„Unsere Ausgangfrage lautete: Wie können wir den Bürgerinnen und Bürgern in ganz Südtirol entgegenkommen, damit sie mit geringem bürokratischem Aufwand kleinere Bauarbeiten verrichten zu können?“, umschrieb Urbanistiklandesrätin Maria Hochgruber Kuenzer gestern die Ziele des Beschlusses.
Das ist reichlich untertrieben. Das neue Landschaftsleitbild wird angesichts der bisherigen Rechtsunsicherheit und der ausstehenden Anpassung der Landschaftspläne tatsächlich einen Bauboom im Grünen auslösen.
Dazu wird Artikel 5 des Landschaftsleitbildes beitragen. Er sieht vor, dass ab nun auch im Landwirtschaftsgebiet der Energiebonus genutzt werden kann. Im Gesetz für Raum und Landschaft wurde die Erweiterung von Wohngebäuden an Hofstellen von vormals 1.200 Kubikmeter auf 1.500 vorgesehen, mit dem Energiebonus (20 Prozent) sind es nun stattliche 1.800 Kubikmeter. Also eine zusätzliche 70-Quadratmeter-Wohnung am Bauernhof.
Bei Wohnhäusern, etwa Villen im Grünen, die bereits vor 1973 errichtet wurden, erlaubte das Gesetz eine Aufstockung von vormals 850 auf 1.000 Kubikmeter. Mit dem nun zugelassenen Energiebonus werden es 1.200 Kubikmeter sein.
Hochgruber Kuenzer spricht in diesem Zusammenhang von der Ermöglichung von „leistbarem Wohnen“.
Artikel 8 regelt die Erweiterung von gastgewerblichen Betrieben im landwirtschaftlichen oder alpinen Grün. Laut Beschluss dürfen dort Gastbetriebe um bis zu 30 Prozent und maximal 12.500 Kubikmeter erweitert werden. Dies ohne Strategische Umweltprüfung, welche hingegen für Erweiterungen über diesem Grenzwert vorgesehen ist.
Laut Landeshauptmann Arno Kompatscher wird die Landesregierung dazu in Kürze eine weitere Durchführungsbestimmung genehmigen. Erlaubt werden soll das Erweitern über 12.500 Kubikmetern allein bei einer ressourcenschonenden Bauweise.
Was den Energiebonus betrifft, bedarf es zur Anwendung des gestrigen Beschlusses eine Anpassung des Dekretes des Landeshauptmanns Nr. 16 vom 21. April 2020.
Umstritten war auch die Frage zum Wiederaufbau und der Verlegung von Gebäuden im alpinen Grün und im Weidegebiet, vornehmlich Almhütten. Im Beschluss steht nun, dass aufgelassene Almgebäude innerhalb von zehn Jahren wiedererrichtet werden müssen, um das Baurecht nicht zu verlieren. Im Landwirtschaftsgebiet und Wald darf die ursprünglich überbaute Fläche um 30 Prozent überschritten werden, im Weidegebiet und alpinen Grün ist keine Überschreitung zulässig.
Artikel 2, Vermeidung von Bodenversiegelung sieht vor, dass Straßen zu ganzjährig bewohnten Gebäuden geteert werden dürfen, alle übrigen landwirtschaftlichen Wege und Straßen hingegen nicht.
Nach Artikel 11 ist das Errichten von Bienenhäuschen, Holzlagerplätzen, Holzhütten und Flugdächern nun neu geregelt. Im Weidegebiet und im alpinen Grün müssen Holzhütten bei Wohngebäuden errichtet werden.
Nicht im Beschluss enthalten sind die Artikel 4 (unterirdische Baumasse), Artikel 6 (Wirtschaftsgebäude) und 10 (Almgastwirtschaft) aus dem Entwurf, weil sie der strategischen Umweltprüfung zu unterziehen sind.
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