Du befindest dich hier: Home » Kultur » Peter (Petra) von Kant

Peter (Petra) von Kant

Margit Carstensen und Hanna Schygulla in Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“

François Ozon versucht nach 50 Jahren jene Geschichte neu zu erzählen, die der legendäre Rainer Werner Fassbinder im Theaterstück und im Film erzählt hatte.

von Renate Mumelter

50+ Jahre alt war Fassbinders weibliche Version „ Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, als Ozon heuer bei der Berlinale „Peter von Kant“ vorstellte. Reales Bindeglied zwischen den beiden Filmen ist Hanna Schygulla, eine der Schauspielerinnen, die nicht nur die Arbeit sondern auch das Leben mit Fassbinder und den anderen teilte. Schygulla hatte bei Fassbinders Antiteater begonnen und bis zu dessen Tod mit ihm zusammengearbeitet. Danach machte sie international Karriere. 1999 war sie übrigens bei der Eröffnung des Neuen Stadttheaters für einen Chansonabend in Bozen, 2007 bei den Bozner Filmtagen und wieder im Stadttheater. Diese Rundum-Geschichten sind interessanter als Ozons Film selbst.

1972 jedenfalls spielte Schygulla das Model Karin Thimm, das mit der Modeschöpferin Petra von Kant eine Arbeits- und Liebesbeziehung eingeht. 2022 tritt sie bei Ozon als tröstende Mutter des Peter von Kant auf.

Die Story

Beide Geschichten spielen im Jahr 1972. Bei Fassbinder stand eine machthungrige bisexuelle Modeschöpferin (Margit Carstensen) im Mittelpunkt, 2022 ist es ein machthungriger bisexueller Filmregisseur (Denis Menochet).

Fassbinders Modeschöpferin Petra kommandiert ihre Angestellte (Irm Hermann) grob herum, und die gehorcht gerne, weil sie Zuneigung empfindet. Ozons Filmemacher Peter tut dasselbe mit seinem Tuttofare Karl (Stéfan Crépon), der alles aushält, weil er seinen Herrn liebt. Dieser legt sich allerdings den jungen, feschen Amir zu (Khalil Gharbia). Amirs Hauptinteresse ist es, Karriere zu machen. Karriere machen wollte auch die Karin (Schygulla) in Fassbinders Film. Am Ende der jeweiligen Geschichten verlassen die berechnenden Geliebten diejenigen, die ihnen zur Karriere verholfen haben. Diese bleiben verletzt und reumütig zurück und müssen zusehen, wie ihnen auch die Versklavten Adieu sagen, und sie weinen „bittere Tränen“.

In beiden Filmen gibt es eine Tochter, bei Ozon heißt sie Gabrielle, bei Fassbinder hieß sie Gabriele und wurde von Eva Mattes gespielt. Das war der Beginn ihrer Karriere (P.S.: Mattes war 2014 beim Filmfestival in Bozen).

Each man kills the thing he loves

Die Freundin und Hollywooddiva Sidonie (Isabelle Adjani) führt Peter von Kant den jungen Amir zu. Bei Fassbinder war dies Baronin von Grasenabb (Katrin Schaake).

Im Ozon-Film singt Adjani „Jeder tötet, was er liebt/Each man kills the thing he loves“, jenen Song, den Jean Moreau in Fassbinders letztem Film „Querelle“ sang. Der Text stammt von Oscar Wilde. Dieser schrieb das Gedicht nach seinem Gefängnisaufenthalt in Reading, wo er wegen seiner Homosexualität eingesperrt war. Gewidmet war die Ballade C.T. Wooldridge, der hingerichtet worden war, weil er seine Frau ermordet hatte. Über den Text ließe sich prächtig streiten.

Der Film

Was sicher ankommt ist die überzeugende Ausstattung im 70er-Jahre-Stil, und das überzeugende Schauspiel aller. Was auch ankommen dürfte, ist das Thema Macht in unterschiedlichsten Kontexten, und so gesehen ist Ozons Geschichte auf jeden Fall sehenswert. Trotzdem bleibt der Wunsch, auch den Fassbinder-Film geboten zu bekommen. Der zeigt nämlich eine ganz andere weniger glatte Erzählweise, und er war auf alle Fälle provokanter, schon allein deshalb, weil es um Frauen und Bisexualität ging, damals ein Tabu, heute weniger – möglicherweise.

Weniger Freude hatte ich daran, dass der Protagonist bei Ozon so angelegt ist, dass er in allem an Fassbinder erinnert. Das führt vom Thema weg auf einen Guckloch-Holzweg.

Filmtipps:

„Wahnsinn – Quel che tu non sai di me“ von Andrea Pizzini und Mauro Podini dokumentierte 2009 das Leben im Haus Basaglia in Sinich. Die Einrichtung gibt es nach wie vor. Donnerstag 22.6. im Stanglerhof (stanglerhof.bz.it).

„Essere e avere“ führt nach Saint-Étienne-sur-Usson in der Auvergne. 2002 begleitete Nicolas Philibert die einzige Klasse dieser Zwergschule. Der Film hatte eine spannende Rezeptionsgeschichte. Seit dem Goldenen Bären für seinen Dokumentarfilm „Sur l’Adamant“ ist Philibert einem breiteren Publikum bekannt. Nur am 20., 21. und 22. Juni im Filmclub.

 

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentar abgeben

Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.

2024 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen