„Viel Geld macht klug“
Aufgeloaded bis in die letzte Batteriezelle: Philipp Hochmairs Hofmansthal-Version „Jedermann reloaded“ ist Starkstrom fürs Theater.
Von Heinrich Schwazer
Eine Batterie roter Kerzen wie vor der Mariengrotte im Vorhof der Franziskanerkirche flackert auf der Bühne, Kreuze stehen herum, ein Totenschädel grinst ins Publikum, Lichtsäulen bohren sich von oben herab, irgendwo hinter dem im wabernden Nebel versunkenen Schlagzeug vermutet man einen Friedhof oder eine Vampirgruft. Schaut gruselig, spukig und morbide aus, nimmt einem aber jeden Zweifel vom Herzen: Es ist nicht Helene Fischer, die einem hier gleich das Blut abzapfen wird.
Mit einem Intro, schmerzhaft schön wie ein Brustwarzenpiercing, stellt sich die Band „Elektrohand Gottes“ vor. Düster dräuend wie „The End“ von den Doors, deren Gitarrenriffs sie sogar zitieren, erzeugen die Leipziger Schummer-Stimmung und man ahnt schon, dass einer am Ende ziemlich tot daliegen wird.
Jedermann heißt der Typ in Hugo von Hofmannsthals gleichnamigem Mysterienspiel. In der Version des Schauspielers Philipp Hochmair mit dem Titel „Jedermann reloaded“ ist er der Chef-Turbokapitalist. Reich, geizig, herzlos, selbstverliebt, eitel bis in die Zehennägel – und in einer Stunde tot. Shit happens eben auch in den besten Kreisen des Geldadels. Bis dahin lässt er aber die Gitarren krachen nach dem Motto: Rock it, Jedermann! Schwere Goldkette um den Hals wie ein Gangsta-Rapper, Hose und Jacke in Military-Fashion-Style, dicke Zigarre zwischen den Lippen, Bierflasche wie ein prolliger Söldner in der Hand rockt er Hofmannsthals Knittelverse in einem ersatzdrogenhaften Exzessivitätssolo in das Mikrophon.
„Jedermann“ als räudige Rock-Performance – wer hätte gedacht, dass in dem über 100 Jahre alten, moralinsauren Salzburger-Domplatz-Nervtöter eine One-man-show steckt, die wie Mike Jagger fauchen, keuchen, brüllen, grölen, heulen und jammern kann. Ein Jahrzehnt tourt Hochmair mit der Jedermann-Show bereits durch die Theater und das Publikum kann nicht genug davon kriegen. Der Mann ist bis in die letzte Batteriezelle aufgeloaded. Was er abzieht, ist im Grunde ein ebenso bedröhntes wie beseeltes Rockkonzert mit Texteinlagen. Doch so rockig es daherkommt, selbst Hofmannsthal-Puritaner müssen zugeben, dass das Dichterwort das überwältigende Erlebnis der Aufführung bildet. „Des Satans Fangnetz in der Welt, hat keinen anderen Namen als Geld“ reimt er und lässt seine Stimme schwefeln, quieken, hauchen, überschnappen als wäre in seinem Hals ein Effektgerät wie von einer E-Gitarre.
Er braucht keine Kostüm- und Verkleidungsschlachten, um zwischen den Personen und allegorischen Figuren hin und her zu singen und spielen. Für jede hat er eine eigene Stimme, für jede Stimmung den passenden Sound. „Viel Geld macht klug“ sagt er und es klingt, als würde einem eine Kobra ins Ohr flüstern. Doch wenn er um „ein Stündlein, ein Stündlein, ein Stündlein, bitte!“ bettelt und sich mit güldener Lametta wie ein neureicher Christbaum behängt, spricht er wie in einer Séance mit sich selbst.
Ein rabiat entfesselter Abend, der durch Hirn und Sinne pfeift. Spielfreudesprühender und heftig beklatschter kann Theater nicht sein. Und, nebenbei, Rock auch nicht. Grazie Philipp.
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