Kein Kavaliersdelikt
Mit der Ende vergangenen Jahres in Kraft getretenen Justiz-Reform sollen bestimmte Straftaten allein nach einer Opfer-Anzeige strafrechtlich verfolgt werden. Ist dem Diebstahl damit Tür und Tor geöffnet, nur um die Gerichte zu entlasten?
von Sandra Fresenius
Die am 30. Dezember in Kraft getretene Cartabia-Reform soll die Gerichte entlasten. Eine der Neuheiten: Kleinere Delikte wie Fahrrad-, Auto- und Taschendiebstahl oder Diebstahl in Geschäften werden seitdem allein nach einer Strafanzeige der Opfer strafrechtlich verfolgt.
Zuletzt klagten immer wieder verschiedene Despar-Filialen über Diebstähle. Robert Hillebrand, Direktor von Despar Trentino-Südtirol, kann die monatliche Zahl in seinen Filialen zwar nicht genau beziffern, sagt aber: „Man kann festhalten, dass wir täglich einige in flagranti erwischen.“ Gestohlen werden verschiedene Mengen und Produkte. Einige vergessen schlicht, ein Produkt von kleiner Größe zu bezahlen, wieder andere legen es bewusst darauf an, den Inhalt eines ganzen Einkaufswagens mitgehen zu lassen, ohne an der Kasse zu bezahlen. Dabei entsteht den Filialen und somit dem ganzen Unternehmen ein sicher nicht unbeträchtlicher Schaden, der allerdings nur geschätzt werden kann.
Der Despar-Direktor gibt sich diesbezüglich bedeckt: „Der vermutliche Schadenswert ist betrieblich bekannt, aber nicht für Dritte bestimmt.“
Vielfach wird behauptet, dass Opfer häufig auf eine Anzeige verzichten würden, weil der Aufwand im Verhältnis zur Aussicht, dass der oder die Täter eventuell gar nicht ausfindig gemacht werden können, zu hoch ist. Es kommt sogar vor, dass der oder die Täter zwar ermittelt werden, aber dann nicht für ihre begangene Tat verurteilt werden. Auch Robert Hillebrand meint: „Allgemein kann man sagen, dass auf einen Strafantrag verzichtet wird, wenn davon ausgegangen werden muss, dass der Dieb keine strafrechtlichen Konsequenzen zu erwarten hat.“
Die Despar-Mitarbeiter hätten jedoch die Anweisung einen Strafantrag zu stellen, sobald ein Diebstahl bemerkt worden ist. Der Direktor der Supermarktfilialen erklärt: „Damit einher geht die Gewährleistung, dass das Delikt verfolgt wird und der Täter eventuell die Konsequenzen tragen muss.“
Francesca Bortolotti, Präsidentin des Bozner Landesgerichts, sieht es ähnlich: „Wenn einer eine Straftat erleidet, dann hat er die Aufgabe, einen Strafantrag zu stellen“. Und sie unterstreicht, dass mit dem Stellen eines Strafantrags keine Kosten für den Bürger verbunden seien.
Der Direktor der Despar-Filialen kann den größeren Aufwand, der mit dem Stellen eines Strafantrags verbunden ist, um einen Dieb zur Rechenschaft ziehen zu können, zwar nachvollziehen. Auf der anderen Seite erläutert Robert Hillebrand den guten Ansatz der Justiz-Reform: „Wenn ich bedenke, dass heute Prozesse oft über Jahre andauern und hiermit die Gerichte entlastet werden sollen, ist das sicherlich ein positiver Ansatz.“ Gerichtspräsidentin Bortolotti hält es allerdings für eine Einschätzung noch zu früh, denn die Reform ist erst seit wenigen Monaten in Kraft. Mit konkreten Auswirkungen rechnet sie frühestens in einem Jahr. „Erst dann wird man sehen können, ob das auch effektiv zu einer Beschleunigung der Prozesse geführt hat. Ich habe meine Zweifel daran“, sagt die Gerichtspräsidentin skeptisch, hat aber auch die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, dass ihre Zweifel widerlegt werden können.
Robert Hillebrand fühlt sich durch die Reform aber keineswegs im Stich gelassen von der Justiz, denn dem Direktor von Despar Trentino-Südtirol ist bewusst, dass Reformen immer auch mit Veränderungen verbunden sind und dass diese Veränderungen tatkräftig angegangen werden müssen. Vielmehr sieht er die Gesellschaft als Ganzes in die Pflicht genommen. War Diebstahl bis vor kurzem eine Straftat, die nach Kenntnisnahme durch die Strafverfolger auch ohne Opfer-Anzeige verfolgt werden musste, also Konsequenzen nach sich zog, wird diese Tat heute eher als Kavaliersdelikt bewertet. Damit verbunden ist eine Herabwürdigung fremden Eigentums. Das Eigentum von anderen wird infrage gestellt. „Ich glaube, wir müssten beginnen, wieder respektvoller miteinander umzugehen, was dann auch zur Konsequenz hätte, dass auch das Eigentum anderer wieder mehr geschützt würde“, gibt Robert Hillebrand zu bedenken.
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Kommentare (5)
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andreas
Dass gerade die Rechten wie die Giorgia und Salvini den Dieben die Arbeit erleichtern, ist bemerkenswert.
Aber ein Paradebeispiel dafür, wie weit entfernt Oppositionspolitik vom realen Leben ist.
Auf dem Marktplatz dumme Parolen rumbrüllen und nacher genau das Gegenteil machen.
vinsch
@andreas Cartabia gehörte der Regierung Draghi an und die Reform wurde von Ihr unter Draghi gemacht um Gerichte zu entladen. Sie könnten uns zwar hier täglich als dumm, blöd usw. bezeichnen, aber so dumm ist das Volk hoffentlich nicht. Wir werden im Herbst sehen, wie blöd wir sind.
dn
Die Legislative und Judikative schützt nicht den normalen Bürger. Der soll fürs Falschparken zahlen. Wer dieses System verteidigt, der verarscht die Bürger. Die Staatsverweigerer haben wohl Recht. Wenn nach 69 Einbrüchen nichts passiert, was soll dann der ganze Sch… .