Du befindest dich hier: Home » Kultur » Absichtlich Lichtverschmutzung produziert

Absichtlich Lichtverschmutzung produziert

Lichtinstallation 24 kW von Siegrun Appelt im Vorbau des Brixner Doms (© Atelier Siegrun Appelt): Von der Beleuchtung in die Erleuchtung. (Foto: Brixen Tourismus/Matthias Gasser)

Die österreichische Lichtkünstlerin Siegrun Appelt taucht beim Water Light Festival den Vorbau des Brixner Doms in gleißend helles Licht. Um emotionale und körperliche Berührung durch Licht geht es ihr dabei, doch im Zentrum stehen die Themen Lichtverschmutzung und Energieverbrauch.

Tageszeitung: Frau Appelt, beim Water Light Festival tauchen Sie den Vorbau des Brixner Doms in gleißend helles Licht. Stand Lichtkunst am Beginn Ihrer künstlerischen Karriere?

Siegrun Appelt: Ich habe in den 1980er Jahren mit Fotografie begonnen, später kamen Video und Sound dazu. Die Fotografie, die damals noch ganz und gar analog war, hat mich konzentriertes Schauen gelehrt. Der Weg vom komponierten, fotografischen zum bewegten Bild war für mich eine Schule der Wahrnehmung. Visuelle Wahrnehmung funktioniert nur mit Licht, das auf Materie trifft. Unsere Augen passen sich laufend an Helligkeit und Farben an. Deshalb ist es für viele Menschen schwer, Licht in seiner Komplexität wahrzunehmen.

Licht ist einfach da. Darüber denkt man im Alltag gar nicht mehr nach.

Ja, aber Licht tut etwas mit den Menschen und das ist für mich als Künstlerin über das Ästhetische hinaus interessant. Die Lichtsituationen im öffentlichen Bereich reichen von schummrigen Lichtverhältnissen in Gebäuden bis hin zu grellem Flutlicht im Fußballstadion. Licht ermöglicht Aktion, aber auch das Zuschauen. Wenn ich im Licht stehe, tue ich was anderes, als wenn ich im Dunkeln stehe. Verändert sich das Licht, verändert sich die Wahrnehmung. Als Künstlerin arbeite ich daran, Licht als Medium wahrnehmbar zu machen. Mit dem transdisziplinären Projekt Slow Light, das aus meiner Beschäftigung mit Licht entstanden ist, möchte ich zudem ein Bewusstsein schaffen, für einen sinnvollen und nachhaltigen Umgang mit künstlichen Beleuchtungen und auch für die Bedeutung von natürlichem Licht und Dunkelheit für Menschen, Natur und gebaute Umgebung.

Lichtkunst ist in den 1920er Jahren aus der Fotografie und dem Film entstanden. In den 1960er Jahren flutete James Turrell Räume mit Licht, um dessen (Im-)Materialität sinnlich und geistig erlebbar zu machen. Der ökologische Aspekt spielte damals noch keine Rolle. Heute ist dieser, wie man beim Water Light Festival feststellen kann, zentral.

Siegrun Appelt: Vor 20 Jahren war der Schritt über den engeren Kunstbereich hinaus hin zu ökologischen Fragestellungen für viele zu wenig aktuell, also zu wenig „fashionable“. (Foto: Marlena König)

Lichtkunst hat sich notgedrungen verändert, weil sich die Welt verändert hat. Allein die rasch voranschreitende Technik bietet heute mit den LED-Leuchten ganz andere Möglichkeiten als früher. Der technologische Aspekt ist wichtig, aber ebenso wichtig ist, dass man sich von der Technik nicht dominieren lässt, sondern sie für sich verwendet. Ich hatte 2007 die Gelegenheit, in der Firma Zumtobel mit den damals hochwertigen LED Lichtflächen zu arbeiten, die auch James Turrell verwendete. Was da durch neue Technologie an Tiefe und Farbmischung möglich war, faszinierte mich. Ich konnte zum ersten Mal mit Licht malen. 2005 hingegen kamen beim Kunsthaus Bregenz (KUB)  für die Arbeit 288 kW 144 Scheinwerfer in der Außenhaut des Gebäudes zum Einsatz. Deren Licht war in Richtung Himmel gerichtet und verwandelte das KUB  in eine Lichtskulptur. Bei 288 kW ging es mir bereits um das Thema Energieeinsparung.

Damals hatte ich in voller Absicht über Bregenz Lichtverschmutzung erzeugt, um auf die immer mehr und immer heller werdenden Beleuchtungen im öffentlichen Raum und deren  Energieverbrauch hinzuweisen. Im Untergeschoss des KUB wurden die Besucher mit den 144 Transformatoren, den Leitungen und zwei großen Verteilerkästen konfrontiert. Während der Laufzeit der Installation wurden in Vorarlberg Außenbeleuchtungen verschiedener Gebäude und Kulturdenkmäler abgeschaltet, sodass im Endeffekt die beim KUB verbrauchte Energie eingespart wurde.  Das hat damals einige negative Reaktionen provoziert.

Welche?

Erstaunlicherweise kamen sie aus dem Kunstbereich. Von Experten und auch von Kollegen. Es sei doch Kunst genug, das KUB so dermaßen zum Leuchten zu bringen, wozu brauche es da noch die  Abschaltung der Gebäudebeleuchtungen andernorts? Lichtverschmutzung war damals noch kaum Thema. In der Kunst gar nicht. Ich kannte den Begriff von einem Artikel über Astronomie und der Dark Sky Association. Auch die Lichtindustrie war damit weder vertraut, noch wollte sie ihn verwenden.

Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Kunst das Thema Nachhaltigkeit wieder mehr für sich entdeckt. Vor 20 Jahren war der Schritt über den engeren Kunstbereich hinaus hin zu ökologischen Fragestellungen für viele zu wenig aktuell, also zu wenig „fashionable“.

Ein Lichtfestival ist Teil des Problems und nicht der Lösung. Wie gehen Sie mit diesem Paradoxon um?

Es ist schwer. Ich persönlich nehme nicht jede Einladung an. Wenn mich das Konzept nicht überzeugt, wenn die Themen Nachhaltigkeit, Energieeinsparung und ein zukunftsorientiertes Nachdenken über den ästhetisch sinnvollen Einsatz von Licht nicht überzeugend im Mittelpunkt stehen, verzichte ich lieber. Die meisten der bei Lichtkunstfestivals vertretenen Künstler sind technisch versiert und bringen viele Inputs für Lichtdesigner, die die Ideen aufgreifen und leider allzu oft peinlich banal umsetzen. Bedingung für meine Teilnahme bei Festivals ist, dass während der Laufzeit meiner Installationen, die verbrauchte Energie andernorts eingespart wird. In Brixen hat sich der Dekan bereit erklärt, dies zu unterstützen und die Außenbeleuchtungen der Kirchen im Dekanat abzuschalten, sodass der Energieverbrauch von 24 kW/h eingespart wird. Das Vestibül beim Dom ist eine idealer Ort für meine Installation. Kirchen, insbesondere katholische Kirchen, sind ja unglaublich stimmungsvolle Orte. Um dafür einen kleinen Beitrag zu leisten, bezahle ich gerne meine Kirchensteuer. Die Faszination für solche Räume begleitet mich seit meiner Kindheit.

Sie fluten den klassizistischen Vorbau des Doms mit Licht. Es ist hell wie in einem Fussballstadion.

Eines meiner Ziele war es immer, mit Licht zu berühren, im Grunde so wie Sonnenstrahlen es tun. Und auch ein Nachdenken über den Verbrauch von Ressourcen anzuregen. In der Installation 24 kW im Vorbau des Brixner Doms geht es genau darum: Um emotionale und körperliche Berührung durch Licht. Man spürt die Abstrahlwärme, die von den12 Scheinwerfern ausgeht und wird quasi erleuchtet, bevor man die Kirche betritt.

Man schreitet von der Beleuchtung in die Erleuchtung hinein.

Genau so.

Interview: Heinrich Schwazer

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (1)

Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen

  • george

    „Man schreitet von der Beleuchtung in die Erleuchtung hinein.“
    So ein Stumpfsinn, den die Künstlerin hier preisgibt. Ich jedenfalls spüre total das Gegenteil und es hält mich sogar ab den Dom zu betreten. Diese Beleuchtung hätte sie sich sparen können und stattdessen die Leute mit einem kleinen Lichtfaden gezielt zum Eingangstor der Kirche führen können.

Kommentar abgeben

Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.

2024 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen