Südtiroler Buggler
Besonders in der Landwirtschaft, im Gastgewerbe und im Baugewerbe zeigt sich: Die Südtiroler „buggeln“ im Vergleich zu den Nachbarregionen besonders viel. Welche Gefahr dahinter steckt.
von Markus Rufin
Wer viel arbeitet, sich nicht beschwert und immer wieder zur Stelle ist, gilt besonders in Südtirol als „Buggler“, die hierzulande besonders hoch angesehen sind. Gerade dem harten Einsatz der Südtiroler sei es zu verdanken, dass das Land heute so dasteht, wie es nun Mal dasteht.
Um einen fundierten Einblick in die Arbeitsbedingungen in der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino zu erhalten, ist im Jahr 2021 eine umfassende Befragung durchgeführt worden. Ganz nach dem europäischen Vorbild der alle fünf Jahre europaweit stattfindenden Erhebung der Arbeitsbedingungen (EWCS) von Eurofound haben die Euregio und ihre Partnerinstitute Arbeiterkammer Tirol, AFI | Arbeitsförderungsinstitut Südtirol und Agenzia del Lavoro Trient eine umfassende Befragung mit 4.500 Interviews (1.500 pro Landesteil), durchgeführt. Die Ergebnisse werden scheibchenweise vorgestellt.
So auch gestern, als es um die Arbeitszeit der Bevölkerung in der Europaregion ging. Genau genommen ging es um das Ausmaß von Arbeitswoche, Überstunden, Nachtarbeit und übliche Wochenstunden.
Dabei zeigte sich einmal mehr, dass sich die Südtiroler als „Buggler“ hervortun, 44 Stunden in der Woche arbeitet der Südtiroler im Durchschnitt. Auch im Vergleich mit den Nachbarregionen. Bezieht man sich nur auf die Vollzeit-Angestellten, so ist der Arbeitsaufwand in der Landwirtschaft mit 55 Wochenstunden im Schnitt am höchsten. Es folgt das Gastgewerbe mit 54 Stunden und das Baugewerbe mit 47 Stunden.
Allerdings zeigt sich im Vergleich, dass vor allem im Gast- und Baugewerbe deutlich mehr gearbeitet wird als in den Nachbarregionen. In der Landwirtschaft hingegen umfasst eine Vollzeitbeschäftigung in der gesamten Europaregion 52 Stunden.
In der Hotellerie und Gastronomie werden in der Europaregion im Schnitt hingegen nur 50 Stunden pro Woche gearbeitet. Nochmal deutlicher wird der Unterschied zum Trentino. Durchschnittlich fallen dort im Gastgewerbe 47 Wochenstunden an. In Südtirol arbeitet man also im selben Sektor rund sieben Stunden mehr pro Woche. Noch dazu gibt es in Südtirol im Gastgewerbe so gut wie keine Pausen: Mehr als die Hälfte der Befragten arbeitet in Südtirol dort an sechs, ein Viertel gar an sieben Tagen in der Woche. Positiv hebt sich diesbezüglich das Bundesland Tirol ab: nur 38 Prozent der im Gastgewerbe Beschäftigten arbeiten an sechs Tagen in der Woche und nur sieben Prozent arbeiten durch.
Offensichtlich gibt es hierbei einen Zusammenhang zwischen dem Selbstständigen-Anteil und der Arbeitszeit. Nördlich des Brenners sind nur elf Prozent der im Gastgewerbe Beschäftigten selbstständig, hierzulande sind es 29 Prozent.
Im Baugewerbe fallen sowohl im Trentino als auch in Nordtirol für die Angestellten durchschnittlich 44 Stunden an. In Südtirol arbeiten Bauarbeiter rund drei Stunden mehr pro Woche.
Erschwerend kommt in Südtirol noch hinzu, dass ein hoher Anteil der Bauarbeiter Überstunden leistet. Mehr als 50 Prozent der Mitarbeiter in dieser Branche gibt an, regelmäßig Überstunden zu machen, während es im Bundesland Tirol nur 35 Prozent und im Trentino nur 24 Prozent sind.
Denkbar ist, dass der Bauboom, der durch den 110-Prozent-Bonus in Südtirol ausgelöst wurde und zum Zeitpunkt der Befragung Hochphase hatte, Grund für diese Entwicklung ist.
Obwohl sich also anhand der Befragung einmal mehr zeigt, dass Südtirol ein echtes „Buggler“-Land ist und die landläufige Meinung nach wie vor ist, dass den Arbeitskräften dafür Respekt gebührt, zeigen moderne Kenntnisse, dass eine zu lange Arbeitszeit nicht positiv ist. AFI-Präsident Andreas Dorigoni warnt daher: „Mehrere Gründe sprechen dafür, die Wochenarbeitszeit nicht übermäßig zu strecken: Die Qualität der Arbeitsleistung sinkt, die Fehlerhäufigkeit und die Unfallgefahr steigen. Kein Wunder, dass Südtirol in Italien der Negativrekordhalter in Sachen Arbeitsunfälle ist.“
Dabei bestehe das Problem nicht darin, ab und zu lange zu arbeiten, sondern effektiv in der Müdigkeit und der geringeren Leistungsfähigkeit, argumentiert AFI-Forscher und Arbeitspsychologe Tobias Hölbling: „Wer aber ständig zu lange arbeitet, ist irgendwann so erschöpft, dass die knapp bemessene Freizeit nicht mehr reicht, um wieder zu Kräften zu kommen. Das schadet Körper und Geist und auch dem Unternehmen – es sinkt nämlich die Qualität der Arbeitsleistung, während gleichzeitig Fehlerhäufigkeit und Unfallgefahr steigen.“
Doch wer soll angesichts des Fachkräftemangels überhaupt für Entlastung in den drei „Buggl“-Branchen sorgen. Hölbling hat dazu eine klare Antwort: „Spannt die Teilzeitkräfte mehr ein! Die vorliegende Studie zeigt nämlich, dass viele Teilzeitbeschäftigte gerne ein paar Stunden aufstocken möchten. Zu nennen sind hier vor allem die Branchen Handel und Sonstige Dienstleistungen. Wenn die Rahmenbedingungen aller Branchen von Seiten der Unternehmen und der Politik so gestaltet würden, dass die Kräfte jener freigesetzt würden, die gerne ihre Teilzeit aufstocken würden, wäre schon etwas gewonnen.“
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