„Spiel mit dem Feuer“
Wie Arno Kompatscher das Großraubtier-Problem lösen will. Warum er die Doppelstaatsbürgerschaft für gefährlich hält. Und warum er keine Kandidatenliste anführen will, in der auch Thomas Widmann aufscheint.
TAGESZEITUNG Online: Herr Landeshauptmann, in der Wahrnehmung eines einflussreichen Mediums machen Sie derzeit alles falsch, was man nur falsch machen kann: Sie lassen das Ehrenamt im Stich, Sie sind schuld, dass der Bär die Südtiroler Wälder unsicher macht. Und Sie haben mit Ihrer italophilen Politik die Schützen vergrault. Gibt es etwas, was Sie richtig machen?
Arno Kompatscher (lacht): Das ist nichts Neues. Der Landespolitik insgesamt und dem Landeshauptmann im Besonderen versteckt oder weniger versteckt vorzuwerfen, man habe die alleinige Schuld daran, wenn irgendetwas nicht läuft wie gewünscht, hat längst Kampagnencharakter. Ganz nach dem Motto: Es regnet zu wenig! Und was tut der Landeshauptmann?
Dem ist nicht so?
Ich habe ein reines Gewissen in dem Sinne, dass ich das tue, was Politik tun kann. Nehmen wir den Bären: Ich bin für eine strategische und realistische Herangehensweise. Den Populismus zu sagen, es reicht eine Unterschrift und das Problem ist gelöst, den überlasse ich der Opposition und den Populisten in den eigenen Reihen.
Welche ist Ihre Strategie beim Bären?
Fakt ist, dass ich beim Großraubwild einer der ersten war, der Alarm geschlagen hat. Ich war bereits im Jahr 2017 mit meinem damaligen Amtskollegen Ugo Rossi aus Trient in Brüssel und habe energisch darauf hingewiesen, dass das Wiederansiedelungsprojekt der Bären komplett aus dem Ruder läuft. Wir sind dort, ebenso wie danach wiederholt in Rom, auf taube Ohren gestoßen. Nur mit lautem Herumschreien kommt man leider zu keiner Lösung.
Wie dann?
Indem wir unsere Hausaufgaben erledigen und aufbauend auf eine entsprechende Dokumentation in Absprache mit den anderen betroffenen Regionen ein effektives Managementsystem einfordern. Mit Einzelabschüssen von Problemtieren – die sicher notwendig sind und die ich voll und ganz befürworte – lösen wir das Problem leider auch noch nicht, das reicht nämlich nicht.
Was braucht es?
Wenn wir jedes Mal nachweisen müssen, welcher Wolf das Schaf gerissen hat, dann gute Nacht. Wir müssen zu einer generellen und effektiven Regulierung des Bestandes mittels programmierter Entnahme kommen. Und das geht nur über politisch mit Rom und Brüssel vereinbarte Lösungen. Alles andere ist Populismus.
Sie sagen, man müsse eine Höchstzahl von Bären und Wölfen definieren und den Bestand dann entsprechend regulieren?
Ja, alles andere funktioniert nicht oder ist nur unzureichend.
Es gibt die in Südtirol, die sagen, ein Luis Durnwalder beim Großraubwild hätte viel schärfer durchgegriffen als sie es tun. Dabei war es ja Luis Durnwalder, der seinerzeit das Life-Ursus-Projekt mitunterschrieben hat …
Das ist richtig, aber ich kritisiere ihn und Lorenzo Dellai deswegen nicht. Nach den Prognosen des damals vereinbarten Projektes hätte die Entwicklung völlig anders verlaufen müssen. Eben deshalb habe ich bereits ab 2017 in Rom und Brüssel – dort übrigens auch mittels Beschlussantrag des Europäischen Ausschusses der Regionen – deponiert: Achtung, das ist nicht das, war ihr versprochen habt! Ihr müsst dringend die Strategie ändern!
Auch die Schützen haben Sie vergrämt …
Die guten Schützen vergessen, dass es mir – nach den für Südtirol katastrophalen Eingriffen eines Mario Monti – gelungen ist, unsere Finanzautonomie wiederherzustellen. Und – was autonomiepolitisch noch bedeutender ist – dass es in diesem Zusammenhang erstmals nach 1992 zu einem Notenwechsel der Regierungschefs Italiens und Österreichs gekommen ist. Ein solcher wurde anschließend anlässlich zweier weiterer Änderungen des Autonomiestatutes erneut praktiziert. Damit hat Italien endlich und definitiv anerkannt, dass Österreich auch nach der Streitbeendigungserklärung die Schutzfunktion für unsere Autonomie samt Schutz der deutsch- und ladinischsprachigen Volksgruppen inne hat. Genau das war von Italien bis dahin immer geleugnet worden. Die Schützen vergessen auch, dass Staatspräsident Sergio Mattarella während meiner Amtszeit die seit langem geforderteBegnadigung eines Südtirol-Aktivisten ausgesprochen hat. Apropos Mattarella: Der Staatspräsident ist zur Gedenkstätte von Franz Innerhofer in Bozen hingegangen. Damit hat erstmals ein italienisches Staatsoberhaupt die in Südtirol begangenen Gräueltaten des Faschismus formell anerkannt und sich vor den Opfern verneigt. Auch hat Staatspräsident Mattarella sich von den Schützen landesüblich empfangen lassen, als er sich in Südtirol mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen traf …
… was eine Premiere war?
Ja, weil es sich um ein offizielles Treffen zweier Staatsoberhäupter gehandelt hat. Üblicherweise gibt es bei diesen Anlässen einen so genannten „Picchetto d‘Onore“ des Heeres. Wir haben gesagt: In Südtirol bitte nicht! Wir haben unsere altösterreichische Tiroler-Tradition, daher möchten wir einen Landesüblichen Empfang machen. Es ist uns gelungen, Staatspräsident Mattarella dazu zu bewegen. Das war nicht selbstverständlich, denn der Gastgeber war ja er. Die damalige Schützen-Führung hatte zum Glück verstanden, dass das eine große Chance war zu zeigen, dass Südtirol anders ist.
Aber war es klug Ihrerseits, nicht zur Schützen-Bundesversammlung hinzugehen?
Man darf nicht vergessen, dass der Schützenbund ein Verband der Traditionsvereine ist, den ich persönlich sehr wertschätze. Die Schützen sind Teil der Südtiroler Identität, ich bin auch mit dem Tiroler Schützenbund in einer sehr guten Beziehung. Aber an der Spitze des Südtiroler Schützenbundes stehen Leute, die sich immer wieder politisch vereinnahmen lassen. Selbst wenn ihre Forderungen gut gemeint wären, gereichen sie oft eher zum Schaden …

Bundesgeschäftsführer Egon Zemmer, LH Arno Kompatscher und LK Roland Seppi.
Foto: © SSB/Richard Andergassen
Warum?
Nehmen wir die Doppelstaatsbürgerschaft: Ich habe dem Landeskommandanten Roland Seppi erklärt, dass man mit der Forderung nach einer Doppelstaatsbürgerschaft riskiert, der Autonomie einen Bärendienst – um beim Thema Bär zu bleiben (lacht) – zu erweisen. Das sagen übrigens auch die Völkerrechtler, die die Wiener Bundesregierung beraten.
Worin besteht nun konkret das Risiko bei einer Aufrechterhaltung der Forderung nach einer Doppelstaatsbürgerschaft?
Das österreichische Recht kann die Möglichkeit für Südtiroler einführen, die österreichische Staatbürgerschaft zu erlangen. Das ist zwar unter einer Reihe von rechtlichen Gesichtspunkten heikel; zum Beispiel muss geklärt werden, wer genau die Anspruchsberechtigten wären: Alle in Südtirol Ansässigen? Nur die Deutsch- bzw. Ladinischsprachigen mit Sprachgruppenerklärung? Alle Nachfahren von im altösterreichischen Südtirol Ansässigen? Auch würde wohl die Frage aufgeworfen werden, warum nur für Südtirol und nicht auch für andere altösterreichische Gebiete, usw…. Aber es ist rechtlich durchaus möglich.
Wo liegt dann das Problem?
Im Falle der Einführung dieser Möglichkeit, würde sehr genau beobachtet werden, wie viele Südtirolerinnen und Südtiroler davon Gebrauch machen. Wenn der Antrag nicht von einer deutlichen Mehrheit der Anspruchsberechtigten gestellt würde, könnte Italien – politisch, nicht rechtlich – behaupten, die Mehrheit der Südtiroler fühle sich gar nicht mehr als österreichische Minderheit und mit diesem Argument eine Abschaffung oder Rückstufung unserer Sonderautonomie betreiben. Also müsste man wohl eine entsprechende Propaganda veranstalten, um eine möglichst hohe Beteiligung zu erreichen. Wenn dann jene die Guten sind, die die doppelte Staatsbürgerschaft beantragen, und jene die Bösen, die das nicht tun, dann würde dies zu einer Spaltung der Gesellschaft führen, die uns an schlimme Zeiten erinnert. Einigen Leuten ist also nicht bewusst, mit welchem Feuer man da spielt.
Also?
Vielen ist eine wichtige Tatsache nicht bekannt: die Möglichkeit zur Erlangung der doppelten Staatsbürgerschaft, ein Individualrecht, würde Südtirols Autonomie, welche einen kollektivrechtlichen Schutz der Minderheiten darstellt, gar nicht stärken. Die Stärke unserer Autonomie liegt nämlich in deren völkerrechtlichen Verankerung durch den Pariser Vertrag samt späterer Praxis und in der daraus folgenden Schutzfunktion Österreichs. Das Thema Doppelstaatsbürgerschaft betrifft also eher die persönliche Ebene der Zugehörigkeit. Es ist selbstverständlich nachzuempfinden, dass dieses Thema vielen Südtirolern wichtig ist.
Was sagen Sie dazu?
Immer, wenn ich gefragt werde, wie ich mich zugehörig fühle, lautet meine Antwort: Ich bin Südtiroler, also Tiroler, und gehöre somit der österreichischen Minderheit in Italien an, habe demnach die italienische Staatsbürgerschaft und bin überzeugter Bürger der Europäischen Union.
Thema-Wechsel: Thomas Widmnann hat angeblich noch nicht entschieden, ob er bei den Wahlen noch einmal antritt. Käme von Ihnen ein Veto gegen seine Kandidatur?
Der Landeshauptmann bzw. Spitzenkandidat hat kein Veto-Recht, das hat in der Südtiroler Volkspartei einzig und allein der Obmann. Ich habe allerdings klar gesagt, dass ich mich nach all den Vorfällen nicht in der Lage sehe, mit Widmann weiter zusammenzuarbeiten. Es geht dabei nicht in erster Linie um die abfälligen Äußerungen selbst, sondern um eine Reihe von Vorfällen, im Besonderen auch um sein Verhalten und seine Vorgangsweisen nach Bekanntwerden seiner Bemerkungen.
Wenn Widmann kandidiert …
… muss die Partei eine Entscheidung treffen. Sie hat mich vor Kurzem einstimmig zum Spitzenkandidaten nominiert.
Herr Landeshauptmann, wann genau ist Ihr Entschluss gefallen, doch noch eine dritte Periode anzuhängen?
Das waren zwei Sachen. Einmal das Gespräch mit der Familie, und zweitens der große Zuspruch aus der Bevölkerung. Viele Menschen in Südtirol haben ja mitbekommen, dass ich mir die Frage gestellt habe, ob ich mir das Ganze noch antun soll, wenn es in der Partei durchaus noch Leute gibt, die gegen mich arbeiten. Inhaltliche Kontroversen gehören zur Politik, aber nicht fiese Machtspiele. Ich habe dann unzählige Meldungen bekommen: Bitte, bitte, mach weiter. Und auch meine Frau und die Kinder haben gesagt: Wenn du weiter für das arbeiten kannst, von dem du im Herzen überzeugt bist, dann mach weiter. Schaffe die Voraussetzungen, damit du die Sachen, die dir wichtig sind, durchziehen kannst. Und das habe ich getan. Ich habe dann auf dem Parteitag Klartext geredet und gesagt, was ich mir vorstelle und was mir wichtig ist. Ich habe große Zustimmung für mein Programm der Nachhaltigkeit und der sozialen Gerechtigkeit bekommen. Und ich habe mich auch darüber gefreut, dass der Obmann und der Parteitag meine Feststellung, dass Interessen einzelner Gruppen, auch wenn sie legitim sein mögen, immer hinter dem Gemeinwohl zurückstehen müssen, uneingeschränkt geteilt haben.
Interview: Artur Oberhofer
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