„Ein gewaltiger Bruch“
Wolfgang Obwexer bleibt Präsident des Dachverbandes für Soziales und Gesundheit. Für Obwexer steht fest, dass die Löhne im Sozialbereich aufgewertet werden müssen – und es neue Wohn-Lösungen für Menschen mit Behinderung braucht.
Tageszeitung: Herr Obwexer, der Ende März neu gewählte Ausschuss des Dachverbandes für Soziales und Gesundheit hat Sie einstimmig als Präsident bestätigt. Welche Schwerpunkte wollen Sie zukünftig mit Ihrer Arbeit setzen?
Wolfgang Obwexer: Es geht in den nächsten Jahren vor allem um die Stärkung der Mitgliedsorganisationen. Die Mitgliedsorganisationen werden im Wesentlichen von einem großen ehrenamtlichen Engagement von engagierten Mitarbeitern gestützt, und es wird darum gehen, eben dieses Engagement zu stärken, indem man einmal Bürokratie abbaut und zum anderen genügend Unterstützung, auch finanzielle Ressourcen bietet. Zweiter Schwerpunkt wird sicher sein, eine Vernetzung der Arbeit zur Unterstützung, denn bei den vielen Krisen, die wir erleben, können einzelne Institutionen viele Problematiken nicht mehr stemmen.
Ein großes Thema ist auch immer die Inklusion: Welche Schwierigkeiten sehen Sie bei der Eingliederung beeinträchtigter Jugendlicher nach Schulabschluss in den Arbeitsmarkt?
Das ist ein großes Problem. Viele Jugendliche und Kinder erleben die inklusive Schulwelt gemeinsam mit ihren Klassenkollegen und dann, wenn es darum geht, einen Beruf zu ergreifen, erfolgt viel zu oft ein gewaltiger Bruch. Die Personen haben wirklich oft sehr große Schwierigkeiten einen Ausbildungsplatz oder einen Arbeitsplatz zu bekommen. Viele von ihnen bleiben dann wochen- und monatelang daheim und machen deswegen auch Rückschritte, weil sie Erlerntes wieder vergessen, gerade wenn sie eine kognitive Beeinträchtigung haben. Hier muss auf jeden Fall gegengesteuert werden, dass genügend Ausbildungsplätze bereitgestellt werden, dass genügend Betriebe auch bereit sind, beeinträchtigte Menschen aufzunehmen und dass schlussendlich auch diese Menschen dann einen wirklichen Lohn erhalten, damit sie davon leben können.
Die Corona-Pandemie war für die Menschen mit Beeinträchtigungen mit großen Einschränkungen verbunden. Hat man mittlerweile wieder den Stand von Vor-Corona erreicht?
Die Nachwirkungen sind auf jeden Fall immer noch zu spüren. Besonders gravierend war während der Pandemie die Einschränkung der sozialen Kontakte und Bewohner von Seniorenwohnheimen oder Behinderteneinrichtungen waren beispielsweise viel länger von den sozialen Einschränkungen betroffen als die übrige Bevölkerung. Das weist zum einen darauf hin, dass wir viel mehr in die ambulante Betreuung investieren müssen, also möglichst weg von großen Institutionen, mehr hin zu ambulanten Betreuungsformen in der Familie oder im selbständigen Wohnen. Und zum anderen müssen wir sicher auch präventiv schauen, dass wir Modelle entwickeln, wo in Zukunft bei solchen Krisen die sozialen Kontakte doch noch gewährleistet werden können. Wir müssen sicher mehr an inklusive Modelle denken als an reine Versorgungsmodelle.
Haben sich durch die Inflation neue Herausforderungen ergeben?
Grundsätzlich stellen wir fest, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht. Die Inflation spüren Menschen mit einem geringen Einkommen noch viel mehr. Und in diesem Sinne muss auch da gegengesteuert werden, dass eine sozial gerechtere Gesellschaft möglich ist, dass die Grundbedürfnisse von allen erfüllt sind, dass alle eine Arbeit haben und einen gerechten Lohn, mit dem man sich das tägliche Leben leisten kann. Und dann ist da das große Thema Wohnen, leistbares Wohnen. Das ist ein großes Thema für Menschen mit Beeinträchtigungen aber auch für die Mitarbeitenden im Gesundheitsbereich.
Wo müsste gezielt angesetzt werden, um diese neuen Probleme zu beheben?
Hier ist die Politik gefragt, Lösungen zu finden. Was wir sicher sagen können, ist dass es im Sozialbereich einen gerechten Lohn geben muss – das betrifft auch Menschen, die in Pflegeberufen tätig sind. Und für Menschen mit Beeinträchtigung und chronischen Erkrankungen, die auch selbständig wohnen wollen, braucht es einfach auch jenseits der institutionellen Unterbringung in Heimen, viel mehr institutionell abgestimmtes Wohnen. Ein Grundsatz sozialer Arbeit muss sein, dass Unterstützungsmaßnahmen so geplant sein sollten, dass diese Personen trotz Unterstützungsbedarf selbständig und selbstbestimmt leben können.
Interview: Sandra Fresenius
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Kommentare (2)
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pingoballino1955
Leider ist gerade die Svp wenn es um SOZIALES geht,auf beiden Augen blind,und beiden Ohren taub!
hallihallo
bezüglich wohnungen für behinderte: ich habe meiner schwester mit down-syndrom als auszahlung mit viel mühe eine wohnung gebaut. sie wohnt darin mit einer person, welche kostenlos darin wohnen kann. die person geht untertags ihrer arbeit nach und meine schwester in die behindertenwerkstatt.
auch behinderte haben anrecht auf den erbteil und der sollte halt eventuell auch bepfändet werden , um die verpflegung der behinderten zu finanzieren.