Warum Südtirol Meloni liebt
57 Prozent der Südtiroler stellen Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni ein gutes Zeugnis aus. Der Klagenfurter Uni-Professor Hans Karl Peterlini erklärt, warum viele Südtiroler trotz anfänglicher Skepsis die FdI-Politikerin mittlerweile „cool“ finden.
TAGESZEITUNG: Herr Peterlini, laut einer aktuellen Umfrage der Südtiroler Wirtschaftszeitung sind 57 Prozent der Südtiroler zufrieden mit der Regierung Meloni. Überrascht Sie dieser doch hohe Zuspruch?
Hans Karl Peterlini: Ja und Nein. Giorgia Meloni hat medial ein gewinnendes Erscheinungsbild und Auftreten. Abbildungen in Medien zeigen sie meist so, als ginge sie auf eine Party, auf ein Kinderfest oder zum Friseur, sie wirkt lässig und entspannt, sehr nah dem Alltagsleben, überhaupt nicht abgehoben. Der Faktor Frau dürfte hinzukommen, sie entspricht einerseits durchaus klassischen Vorstellungen von Weiblichkeit, zugleich hat sie eine Sprache, die auch Mannsbildern Respekt abringt. Das imponiert sicher auch Menschen, die den politischen Kurs nicht unbedingt mittragen oder sich damit gar nicht auseinandersetzen. Wer sich nicht vertieft mit italienischer Politik beschäftigt, kommt bei einer Umfrage leicht in Versuchung, sie cool zu finden.
Der Zuspruch ist laut der Südtiroler Umfrage höher als bei ähnlichen Umfragen auf dem gesamten Staatsgebiet. Wie kann man sich das erklären?
Ohne dass ich jetzt statistisch sattelfest wäre, müsste man nachschauen, ob der Rechtsblock in Südtirol bei der italienischen Bevölkerung nicht auch stärker als im italienischen Durchschnitt abgeschnitten hat. Darauf könnte man aber die hohen Werte natürlich nicht abschieben, bei 57 Prozent Zustimmung ist ein gutes Stück Zustimmung aus der deutschen und wohl auch ladinischen Bevölkerung dabei.
Warum ist Giorgia Meloni bei den deutschen und ladinischen Südtirolern so beliebt?
Ich denke, das hat viel mit dem erwähnten Erscheinungsbild zu tun, das in Südtirol anders als in der doch aufmerksamen und kritischen italienischen Medienlandschaft wenig hinterfragt wird. Was für eine Politik sie macht, wie sie die Fäden zieht, ist aus Südtiroler Sicht ja weit weg und wird nicht nah mitverfolgt. Wer in Italien Zeitung liest, bekommt auch die ziemlich dunklen Schatten ihrer Politik mit, hier kommt davon nur das oberflächliche Bild ihres Strahlens an.
Haben die Südtiroler denn die Äußerungen Melonis vergessen? Beispielsweise empfahl sie bereits im Jahr 2015 allen Südtirolern, die sich nicht mit Italien identifizieren können, nach Österreich auszuwandern…
Meloni hat seit ihrem Wahlsieg sehr viel Kreide gegessen. Wie schrill sie reden kann, wie vulgär sie werden kann, ist von der Patina der Regierungschefin überdeckt. Sie tritt eher konsensorientiert auf, wirkt vernünftig, kompromissbereit, hat auch Richtung Autonomie positive Signale gesetzt, ist auf einen europäischen Kurs gewechselt. Das ist zu einem hohen Anteil Inszenierung und Strategie, da sie weiß, dass sie mit dem harten, mit dem Faschismus liebäugelnden Kern ihrer eigenen Basis nicht lange regieren könnte. Dies zu durchschauen, bedarf aber einer intensiven und genauen Auseinandersetzung mit ihrer Politik. Ich fürchte, dass Südtirol da noch oberflächlicher hinschaut, als es in den derzeitigen medial vereinnahmten Demokratien europaweit der Fall ist. Es zählt der Schein, nicht das Sein.
Gefällt den Südtirolern vielleicht auch Melonis harsches Auftreten, die Schärfe und Härte in ihrem Diskurs?
Das ist eine durchaus berechtigte Überlegung. Auch Matteo Salvini ist in Südtirol sehr gut angekommen, es hätte nicht viel gefehlt, und man hätte ihn zum Ehrenmitglied von Schützenkompanien gemacht. Da ist aber natürlich auch ein Unterschied: Salvini genoss die Sympathie der Lega, die ja in ihrem Ursprung föderalistisch und daher Minderheiten-freundlich war. Dass sein extremer Rechtspopulismus andere, schwächere Minderheiten mit Füßen trat, wurde hierzulande für nicht so schlimm gehalten oder sogar goutiert. Meloni aber kommt aus einer postfaschistischen Tradition, da müssten doch einige Warnglöcklein klingen, bevor man sie für cool findet.
Sind viele Südtiroler aber vielleicht gar so rechts eingestellt wie Meloni selbst?
Auch das ist eine berechtigte Frage. Alexander Langer hat sich mit der Frage gequält, warum Südtirol, das doch von rechts nie gutes erfuhr, genau auf dem rechten Auge blind ist und auf den Nationalsozialismus so naiv hineingefallen ist, ja Hitlers Einmarsch bejubelt hat. Das wird oft damit erklärt, dass Hitler als Rettung vor dem Faschismus galt. Bis zu einem gewissen Punkt dürfte das zutreffen. Aber: Bevor der Faschismus hier mit den Genagelten auftrat, war er in Südtirol absolut beliebt, galt als Hoffnung. Verhasst war hier immer links, obwohl wir gerade den Mitte-links-Regierungen die Autonomie und ihren Ausbau verdanken. Da sind wohl konservative Grundzüge gegeben, die für rechte Politik, die Sicherheit und Ordnung verspricht, sehr anfällig ist. Dass dies dann gern zu Demokratieverlust führt, ist das übersehene Preisschild hinter der Werbemasche.
Inwieweit glauben Sie haben auch die klare Positionierung gegenüber Putin und das Bekenntnis zur NATO diese breite Zustimmung beeinflusst?
Das könnte eine Rolle spielen, wenn die Zustimmung aufgrund einer Analyse von Melonis Politik erfolgt wäre. Das kann ich mir aber nicht vorstellen. Sie hat der Reihe nach zentrale Wahlversprechen gebrochen, in wichtigen Fragen kommt die Regierung nicht voran, in Fragen der persönlichen Freiheiten und Menschenrechte müsste sie weiterhin für Gruseln sorgen.
Ist auch das Bedürfnis nach politischer Stabilität groß?
Das ist sicher ein Motiv, gepaart mit einem gewissen Obrigkeitsdenken. Wer nur sicher genug im Sattel sitzt und selbstbewusst regiert, kommt hier gut an. Allerdings kann sich das schnell ändern. Meloni hat das Glück, dass sie allmählich das ganze Mitte-Rechts-Lager aufsaugt, da Berlusconis Partei dem Verschwinden entgegensieht und die Lega zwischen dem früheren föderalen Kurs und Salvinis Rechtspopulismus zerrissen wird. Politische Stabilität heißt ja noch nicht, dass gute Politik gemacht wird. In der wichtigen Frage der Verwendung der so wichtigen EU-Gelder laviert die Regierung.
Welche Rolle spielt der Kuschelkurs der Volkspartei mit Meloni?
Das ist ohne Zweifel mit ein Grund für die hohe Zustimmung, gestützt auch von den Dolomiten, die auf die politische Stimmung in Südtirol immer noch massiven Einfluss hat. Es liegt in der Tradition der Volkspartei, zu Regierungen loyal zu sein, ohne nach links und rechts zu schauen. Das kann man als Sinn für die eigenen Interessen oder als zynischen Opportunismus werten. Wenn ich daran denke, dass Peter Brugger die Selbstbestimmung für Südtirol ausrufen wollte, wenn Italien von einer kommunistischen Partei regiert würde, muss man da fast schon schmunzeln. Die Kommunistische Partei hat sich immer loyal zur Autonomie verhalten, von den postfaschistischen Kräften kann man das nicht behaupten. Vor allem aber: Es kann doch nicht egal sein, ob eine Regierung Freiheitsrechte einschränkt, der Homophobie frönt, an Flüchtlingen die Menschenrechte verletzt, Hauptsache, sie rührt unsere Autonomie nicht an. So eine Haltung kann sich rächen, wenn wir irgendwann wieder Solidarität brauchen sollten wie damals, als uns kleine afrikanische Staaten und Afghanistan vor der Uno gegenüber der Machtachse Italien-USA retteten.
Interview: Sandra Fresenius
Der Anlass
Laut einer von Apollis im Auftrag der Südtiroler Wirtschaftszeitung durchgeführten Umfrage genießt Giorgia Meloni gut ein halbes Jahr nach ihrem Regierungsantritt große Zufriedenheit unter den Südtirolern. 57 Prozent heißen ihre bisherige Arbeit für gut – so viel wie in keiner anderen Region Italiens. Dabei stechen die deutsche und die ladinische Sprachgruppe mit 62 bzw. 66 Prozent gegenüber 50 Prozent in der italienischen Sprachgruppe noch einmal hervor. Im Vinschgau ist die Regierungschefin besonders beliebt. Hier goutieren 80 Prozent ihre Arbeit. Außerdem fällt der Zuspruch vor allem unter Männern (59 Prozent), den 50- bis 64-Jährigen (68 Prozent), den Selbständigen (66 Prozent) und den Rentnern (66 Prozent) hoch aus.
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