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Der „lästige“ Feiertag

Hans Heiss

Der Brixner Historiker Hans Heiss kritisiert zum Tag der Befreiung die geschichtspolitische Vergessenheit der Südtiroler und warnt vor der Rehabilitierung der Fratelli d`Italia durch die Volkspartei.

TAGESZEITUNG Online: Herr Heiss, dem Tag der Befreiung wird in Südtirol seitens der deutschsprachigen Bevölkerung mit Skepsis begegnet oder ignoriert, ihr Historikerkollege Hannes Obermair spricht hier von „geschichtspolitischer Vergessenheit“. Teilen Sie diese Einschätzung?

Hans Heiss: Ja, der 25. April ist ein ungeliebter Feiertag, dafür gibt es mehrere Gründe: Auf italienischer Seite, speziell bei der italienischen Rechten, fehlt ein Bezugspunkt und der Feiertag wird abgelehnt. Auf Südtiroler Seite steht der Aspekt der Resistenza im Hintergrund. Im Jahre 2009 hatte der Bozner SVP-Politiker Oswald Ellecosta dies ja so ausgedrückt: Am 25. April gebe es für die deutschsprachige Bevölkerung nicht zu feiern, da Südtirol weiterhin bei Italien geblieben ist. Der zweite Grund ist, dass der eigene Südtiroler Widerstand unterdrückt und vergessen wurde. Hans Egarter, Mitgründer der Volkspartei, wurde ausgrenzt und wie andere als Deserteure und Kriminelle verfemt. Dahinter verbirgt sich ein eigenes schlechtes Gewissen. Der Widerstand in Südtirol wird also stark unterbelichtet und das führt zu geschichtspolitischer Vergessenheit.

Seit der Befreiung Italiens vom Faschismus und Nationalsozialismus sind bald 80 Jahre vergangen. Besteht nicht die Gefahr, dass die Erinnerung – vor allem wenn sie politisch nicht wirklich gewollt wird – sprichwörtlich verblasst und an Bedeutung verliert?

Es gab hier Versäumnisse, es ist aber historisch viel aufgearbeitet worden, speziell der Holocaust ist ein starker Bezugspunkt. Der Nationalsozialismus gilt als das absolute Böse, die Bewertung des Faschismus ist dagegen etwas schwankend. Die Ablehnung des Faschismus wird in Südtirol dadurch überlagert, dass dessen Ende den Verbleib bei Italien bedeutet hat. Es ist nie klar gesagt worden, dass die Resistenza wesentlichen zur Befreiung von Faschismus und Nationalismus beigetragen hat.

In Südtirol macht die Überlagerung von zwei Faschismen die Aufarbeitung dieses Abschnitts der Geschichte offenbar komplizierter als anderswo. Ist das ein weiterer Grund für die Schwierigkeit des 25. Aprils, sich zu etablieren?

Sicherlich liegt ein Grund in der Teilung der Sprachgruppen, die zu einer geteilten Erinnerungskultur führt. Der Nationalsozialismus wird auf deutscher Seite eher kleingekocht, auf italienischer Seite dagegen stärker beachtet als der hauseigene Faschismus.

Und dann gibt es den großen Unterschied zwischen Stadt- und Landgemeinden. In letzteren gibt es faktisch keine Erinnerungskultur in Bezug auf diese einschneidende Phase der jüngeren Geschichte.

In den Landgemeinden wird der Feiertag vollkommen ignoriert und allenfalls als willkommener Brückenfeiertag wahrgenommen. Früher sind die Südtiroler an diesem Tag viel nach Österreich gefahren, nicht aus patriotischen Gründen, sondern um Windeln zu kaufen. In Bozen und Meran wird der Tag überwiegend von italienischsprachigen Politikern begangen, der Landeshauptmann und einige deutschsprachige Gemeinderäte gehen mit. Es ist ein großer Fehler, dass auf dem Land der Wert des Antifaschismus nicht gefühlt wird. Es wäre notwendig, sich mehr damit auseinanderzusetzen. Die Befreiung vom Faschismus ist zentral für das demokratische Italien und damit auch für Südtirol. Dass es in Südtirol keinen starken Widerstand gegeben hat, war ein Nachteil, denn bei einem eigenen starken Widerstand hätte die Forderung nach Selbstbestimmung mehr Gewicht gehabt. Es wäre ein gutes Argument gewesen, zu sagen, wir haben uns auch selbst befreit. Ein Großteil der SVP-Politiker, die die Forderung nach Selbstbestimmung erhoben haben, waren ja Optanten. Die italienische Resistenza selbst ist nach dem Krieg überzeichnet und überhöht worden, denn wesentlich war auch die Befreiung Italiens durch die Alliierten.

Welche Sicht auf das Geschehen halten Sie für historisch korrekt bzw. notwendig?

In Südtirol müsste man es nicht unter dem Aspekt des Verbleibs bzw. der Rückkehr nach Italien sehen, sondern den Widerstand als Grundlegung des demokratischen Systems und somit auch der Autonomie sehen. Ohne Demokratie hätte es keine Autonomie gegeben, das wird viel zu stark vergessen. Dass wir die Autonomie in der heutigen Form haben, geht nicht allein auf die Initiativen von Silvius Magnago zurück. Es war der italienische Widerstand, der zusammen mit dem Eingreifen der Alliierten die Autonomie erst ermöglicht hat. Ich bin deshalb der Meinung, dass speziell die Politik ihre geschichtspolitische Vergessenheit bearbeiten müsste, das würde die Wahrnehmung des Themas in der Öffentlichkeit stärken. Eine Ausnahme bildet da Landeshauptmann Arno Kompatscher, der als ehemaliger Schüler von Leopold Steurer hier eine Sensibilität hat, die man von anderen Politikern nicht kennt.

Braucht es hier auch symbolische Aktionen?

Die sind mühsam zu implementieren. In Brixen wurde etwa vor 15 Jahren ein Gedenkort für Hans Egarter errichtet, doch es ist weiterhin schwierig, dort Leute hinzubringen. In Südtirol den Tag der Autonomie einzuführen, war ebenfalls eine mühsame Angelegenheit. Einen Tag des Widerstandes und der Demokratie als getrennten Südtiroler Feiertag einzuführen, wäre meiner Meinung nach wichtiger als der Josefi-Tag. Der Heilige Josef ist der Heilige der Anpassung, er war alles andere als ein Widerständler. Oder man könnte am Tag der Autonomie den Südtiroler Widerstand stärker in den Mittelpunkt rücken. Etwa, dass mit einer halben Stunde Erinnerung an jene erinnert wird, die wesentlich die Südtiroler Autonomie mit erkämpft haben. Es braucht Bausteine gegen das Vergessen.

Die Errichtung Dokumentationszentrums unter dem Bozner Siegesdenkmal gilt als ein Meilenstein bei der gemeinsamen geschichtlichen Aufarbeitung von Faschismus und Nationalsozialismus in Südtirol. Wurde der „Schwung“ dieses keineswegs selbstverständlichen Ereignisses in der Folge genutzt?

Die Mauer des ehemaligen Lagers in der Reschenstraße

Das Dokumentationszentrum ist ein wichtiges Signal, auch dank des Verdienstes von Hannes Obermair, der sprichwörtlich seinen Kopf hingehalten hat. Eine gemeinsame Erinnerungskultur ist schwierig, es geht darum, die jeweils differenzierte Sicht der anderen Seite zu würdigen. Es gilt zu verstehen, warum bestimmte Aspekte für die andere Sprachgruppe wichtig oder weniger wichtig sind. Notwendig ist jedenfalls ein gemeinsamer Fundus von Anti-Nazismus und Anti-Faschismus, der eine Auseinandersetzung ermöglicht.

Wie stark schätzen sie die Gefahr ein, dass es – um es einfach auszudrücken – wieder rückwärts geht, dass also der soeben angesprochene Fundus sich wieder verflüchtigt?

Das ist denkbar und es kann da alles sehr schnell gehen. Gemäß der von der „Südtiroler Wirtschaftszeitung“ wird Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und somit ihr ideologischer Hintergrund von den Südtirolern recht positiv beurteilt. Daraus lässt sich schließen, dass es kein politisches Bewusstsein dazu gibt, also eine gewisse Akzeptanz rechtsextremer Positionen: Rassistische Diskriminierung, antidemokratische Tendenzen. Akzeptanz der Meloni-Regierung trotz der Kontinuität der Fratelli d`Italia mit dem historischen Faschismus. Deren Vertreter sagen ja „abbiamo fatto pace“ und relativieren dabei die Resistenza und gleichzeitig den Faschismus. Das ist durchaus im Sinne jener, die in Südtirol Geschichtsvergessenheit betreiben und den 25. April als lästigen Feiertag abtun, während Vertreter der römischen Regierung rechtsextreme Töne anschlagen, von Umvolkung sprechen und die fehlende Natalität als nationale Schwäche hinstellen bzw. eine reaktionäre Familienpolitik propagieren, in der die Frau zu Hause bleibt, um Kinder zu gebären. Die Diskriminierung von Migranten wird – auch wenn Italien ein Einwanderungsproblem hat – durch diese Verschärfung vorangetrieben. 

In Südtirol gibt es das Szenario, dass die Volkspartei nach den Landtagswahlen ein Bündnis mit den Fratelli d`Italia eingeht. Was würde das aus Ihrer Sicht bedeuten?

Die Rehabilitierung der Fratelli d`Italia durch die SVP ist bereits im Gange, sie zeigte sich in der Enthaltung im Parlament zur Regierung Meloni und bei der Stimmenthaltung in der Sechserkommission bei der Wahl von Alessandro Urzì zum Präsidenten. Die SVP wird im Herbst erst einmal schauen, wie die Fratelli d`Italia bei der Wahl abschneiden und dann tendenziell mit ihnen eine regierungsnahe Koalition bilden. Sie würde zwar die angekuschelte Lega als Regierungspartner vorziehen und eventuell den Fratelli mit wohlwollender Unterstützung die Landtagspräsidentschaft zuweisen, etwa nach einem vorangegangenen Entgegenkommen in der Sechserkommission. Dann könnte man sagen, das haben wir gut hingekriegt, also eine weitere Rehabilitierung.    

Interview: Thomas Vikoler

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