„Zwischen Madonna und Hure“
Die gelebte Sexualität ändert sich nach der Geburt eines Kindes für viele Eltern unerwartet drastisch. „Mutter werden, Geliebte bleiben – geht das?“: Was die Sexualpädagogin Renate Höllmüller rät.
von Erna Egger
Die einen nennen ihren geliebten Nachwuchs zuweilen liebevoll „Verhüterli“, ein anderes Mal entrutscht es dem Vater: „Weihnachten ist öfters“.
Hintergrund dieser Aussagen sind dieselben: Erst mal Eltern, ändert sich das Sexualleben des Paares drastisch: Intime Kontakte werden seltener, mitunter sehr selten –, weil der eine oder andere Partner nach den täglichen Herausforderungen zu müde ist, weil nach den ersten Annäherungsversuchen der Nachwuchs schon auf der Matte steht und sich im Elternbett breitmachen will usw. Die Auflistung könnte beliebig fortgeführt werden, Gründe gibt es viele. Eine Situation, mit der sich beide Elternteile beschäftigen und die zur Belastung für die Beziehung werden kann.
Obwohl die allermeisten Mütter und Väter diese Erfahrung machen, handelt es sich nach wie vor um ein Tabuthema.
Das Eltern-Kind-Zentrum in Brixen nimmt sich dieses Problems an und lädt am 11. und 18. Mai zu den Vorträgen „Mutter werden, Geliebte bleiben – geht das?“.
Die in Schabs wohnhafte Referentin Renate Höllmüller setzt sich seit Jahren mit diesem Thema auseinander. Die 49-jährige Mutter zweier Söhne ist Lehrerin und absolviert zurzeit die Ausbildung zur Sexualpädagogin.
Tageszeitung: Frau Höllmüller, warum setzen Sie sich mit diesem Thema auseinander?
Renate Höllmüller: Weibliche Sexualität nebst Mutterschaft beschäftigt mich schon seit Jahren, weil es ein Tabuthema ist und weil ich das Gefühl habe, dass es darüber keine Information gibt. Die Sexualität bleibt auch als Mutter eines oder mehrerer Kinder ein großes Thema – Frauen wollen nach wie vor ihre weibliche Sexualität ausleben und sich als Frau spüren, nicht nur als Mutter.
Tauchen wir gleich in das Thema ein: Mutter werden, Geliebte bleiben – geht das?
Ja, es geht. Aber es verlangt von uns Frauen, dass wir uns damit und mit dem Bild des Mutterseins auseinandersetzen. Vieles hängt von unserem persönlichen und dem Anspruch des Partners oder des Umfeldes an die Mütterlichkeit ab: Mutter und Geliebte stehen dann oft im Widerspruch.
Wie meinen Sie das?
Von der Mutter wird Fürsorglichkeit verlangt, sie muss sich für die Kinder zurücknehmen und für sie da sein. Dieses oft unbewusste, hochstilisierte Mutterbild haben wir Frauen in uns, aber auch die Männer bzw. Partner von ihren Müttern in sich. In der katholischen Religion gibt es ja nur entweder die Madonna oder die Hure. Die Frauen bewegen sich dann gerade in diesem Spannungsfeld, die Geliebte, die das Begehrende und die Schönheit widerspiegelt, steht dann im Widerspruch zum Muttersein. Oft bringen Frauen ihre Erwartungen in ihr Muttersein nicht mit dem Bild der Geliebten, der hemmungslosen Frau, in Einklang. Gerade dieses Bildes sind sich viele Frauen nicht bewusst, daher muss man es thematisieren und eventuell Hilfestellungen geben. Aufgrund dieser unbewussten Einstellung wollen sich viele Mütter nicht mehr aufreizend und sexy geben. Aber wer will schon prüde sein? Sehr viele Beziehungen stehen vor einer Herausforderung.
Woran scheitern Mütter beim Ausleben ihrer sexuellen Wünsche?
Einerseits hindern oft praktische Schwierigkeiten die Paare am Ausleben ihrer Lust: Sie haben ein Zeitproblem, die Kinder durchkreuzen die Pläne usw. Aber auch der ästhetische Aspekt hemmt stark: Viele Frauen gefallen sich nach der Geburt nicht mehr, weil sie noch ein paar Kilos mehr auf die Waage bringen oder andere körperliche Erscheinungen aufgetreten sind. Viele glauben, dass nach der Geburt alles wieder schnell zur gewohnten Sexualität zurückkehrt: Das ist aber völlig utopisch und geht mit einer Überforderung einher. Dann gehen viele Beziehungen in die Brüche, weil diese Überforderung zu groß ist.
Was spielt sich bei den Männern ab?
Auch sie müssen sich mit dem Thema auseinandersetzen und sich verschiedener Tatsachen und Veränderungen, die sich auch in ihrem Kopf abspielen, bewusstwerden. Es macht nämlich für einige Männer einen großen Unterschied, ob sie mit ihrer Freundin oder der Mutter ihrer Kinder schlafen. In letzter Situation fühlen sich manche – gehemmt wäre vielleicht zu viel gesagt, aber gebremst. Ein Schauspieler hat mal verlauten lassen, dass er sich – anders als bei einer Prostituierten oder einer Geliebten – nicht von der Mutter seiner Kinder einen blasen lassen könnte (lacht). Genau das spiegelt die Gefühlswelt der Männer zum Mutterbild wider, das sie in sich tragen, deren sie sich aber nicht bewusst sind. Eine Mutter tut das nämlich nicht.
Wie kann und soll eine Frau vorgehen?
Mütter und Frauen müssen sich mal gut informieren, wie ihre Sexualität funktioniert. Wir sind anders gestrickt als die Männer, allein schon von der Beschaffenheit unserer Nerven im Beckenbereich. Diese Nerven sind ganz anders mit unserer Selbstwahrnehmung verdrahtet. Die US-amerikanische Schriftstellerin Naomi Wolf hat in ihrem Buch „Vagina: Eine Geschichte der Weiblichkeit“ diese neurologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau genau beschrieben. Diese ganzen käuflichen Sextoys sind zwar toll, ich bin aber überzeugt, dass diese zur Lösung des grundsätzlichen Problems der Frauen nicht beitragen. Uns Frauen geht es mehr ums Wahrgenommen werden – als Geliebte und nicht nur als Mutter der Kinder. Wichtig ist das Thematisieren und das Reden – gemeinsam mit dem Partner. Gerade die gelungene, wertschätzende Sexualität ist für Frauen sehr wichtig, sie steht im Einklang mit Lebensenergie, Kreativität, Lebensfreude und einem positiven Selbstbild.
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Kommentare (2)
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@alice.it
………aber bitte nicht den Herrn Pfarrer um Rat fragen, denn ansonsten ist es mit der Wertschätzung der Frau auch gleich schon vorbei.
semperoper
Ach komm…selbstverständlich ist das ganze ein Thema, aber doch kein Tabuthema. Im wievielten Jahrhundert leben wir?