„So kann es nicht weitergehen“

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Ihr ganzes Leben lang wurde Anna von ihren Eltern betreut. Weil ihre Mutter aber ins Seniorenheim musste, ist die Schwerbehinderte auf sich alleine gestellt – und ihre Angehören finden keinen Heimplatz für sie.
von Lisi Lang
Wer kümmert sich um mein Kind, wenn ich es einmal nicht mehr kann. Diese Frage stellen sich Eltern von Menschen mit Beeinträchtigungen immer wieder, viele fürchten diesen Zeitpunkt, da sie nicht wissen, wie es ihren Kindern ergehen wird und ob sie gut aufgehoben sein werden.
Dass diese Sorge nicht von ungefähr kommt, zeigt ein aktueller Fall aus dem Überetsch. Nachdem die Mutter einer Tochter mit Beeinträchtigung ins Seniorenheim musste, kämpfen die Familienangehörigen um einen Heimplatz für die Schwerbehinderte. Aber die Wartelisten sind lang, und bislang konnte noch kein Platz gefunden werden – obwohl die Familie diesen dringend brauchen würde.
Anna (Name von der Redaktion geändert) hat eine schwere körperliche und geistige Beeinträchtigung, ist auf einen Rollstuhl angewiesen, kann nicht alleine leben, einkaufen, kochen, einen Haushalt führen. Tagsüber wird sie in einer geschützten Werkstätte betreut, gelebt hat sie weiterhin mit ihrer Mutter in einer Wohnung.
Vor gut einem Jahr holte sich die Familie dann eine Badante ins Haus, die Mutter und Tochter unterstützte. „Es war wirklich nicht einfach jemanden zu finden, da irgendwie ja zwei Personen betreut werden mussten“, erinnert sich die Schwester von Anna. Aber man hat es geschafft und Mutter und Tochter konnten so weiterhin gemeinsam in der Wohnung leben – mit Unterstützung. „Kurz vor Weihnachten ist unsere Mutter dann aber ziemlich schwer an Corona erkrankt, musste zeitweise sogar im Krankenhaus behandelt werden und seitdem kann sie einfach nicht mehr Zuhause mit unserer Schwester wohnen“, erklärt Annas Schwester. Schweren Herzens ist Annas Mutter mit ihren 84 Jahren ins Seniorenwohnheim umgezogen, lebt seitdem dort und wird auch nicht mehr zu ihrer Tochter in die Wohnung zurückkehren können.
Anna konnte aber nicht mit ihrer Mutter ins Seniorenwohnheim ziehen, weil sie mit ihren 54 Jahren noch zu jung dafür ist. Die Familienangehörigen haben sich deswegen um einen Platz in einem Wohnheim bemüht, allerdings bislang in keiner Struktur einen Platz bekommen. Zudem sind die Wartelisten lang. „Man hört immer nur, dass es kein Platz frei ist oder die nötigen Mitarbeiterinnen für die Betreuung fehlen“, schüttelt die Überetscherin den Kopf.
Auch eine Badante für Anna kann die Familie nicht dauerhaft beschäftigen. „Unsere Mutter bezahlt das Seniorenwohnheim mit ihrer Rente, aber das Pflegegeld alleine reicht für die Bezahlung einer Badante für meine Schwester nicht aus und ihre Invalidenrente fließt in die Tagesbetreuung in der geschützten Werkstatt“, erklärt Annas Schwester.
Alleine leben kann Anna aber auch nicht, weshalb die Familie versucht, ihre Schwester so gut als möglich zu unterstützen. Zwei Wochen pro Monat kümmert sich eine Badante um Anna, die restlichen zwei Wochen übernimmt die Familie – die Vollzeitanstellung einer Badante kann sich die Familie einfach nicht leisten. In den zwei übrigen Wochen lebt deswegen Annas Schwester in der Wohnung ihrer Mutter. „Ich muss da sein, sobald Anna von der geschützten Werkstatt um 16.00 Uhr nach Hause kommt und auch über Nacht da bleiben, bis sie am Morgen um 8.00 Uhr wieder abgeholt wird“, erzählt sie. Anna ist aber selbst berufstätig, lebt mit ihrer Familie und ihren Kindern in einer anderen Gemeinde als ihre Schwester. Deswegen ist die Betreuung in diesen zwei Wochen eine mehr als große Herausforderung, da allein die Zeiten, in denen Anna die Hilfe ihrer Schwester braucht, mit einer Berufstätigkeit nicht gerade vereinbar sind. Dazu kommen Wochenenden und Feiertage. Auf Dauer kann Annas Schwester diese Betreuung einfach nicht stemmen: „So kann das einfach nicht weitergehen, ich kann nicht meine Arbeit aufgeben, um meine Schwester betreuen zu können – und ich habe ja auch selbst eine Familie, die ich in diesen 14 Tagen, wenn ich meine Schwester betreue, kaum sehe.“
Die Überetscherin zeigt sich erschüttert darüber, dass es keine Notfallkontingente für derart schwere Fälle gibt und Familien alleine gelassen werden. „Was wäre denn, wenn Anna keine Geschwister hätte – würde man sie dann auch alleine und sich selbst überlassen“, wirft Annas Schwester die Frage auf.
Die Frau aus dem Überetsch weiß nicht mehr weiter: Weder in den Einrichtungen direkt, noch beim Sozialsprengel oder den zuständigen Diensten bekommt sie die Antworten, die sie dringend brauchen würde oder konkrete Hilfestellungen. Ihre Schwester steht nach wie vor auf der Warteliste und die Familie muss alleine schauen, wie sie mit dieser mehr als herausfordernden Situation umgeht. „Ich habe auch der Soziallandesrätin geschrieben, aber leider keine Antwort bekommen“, schüttelt sie den Kopf.
In ihrer Verzweiflung hat sie sich deswegen an die Freiheitliche Ulli Mair gewandt, die nun eine Landtagsanfrage ausgearbeitet hat. „In einem Land, wo das Geld für Großprojekte locker sitzt, darf es nicht sein, dass Menschen mit Beeinträchtigung, die auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind, auf sich allein gestellt sind“, gibt die freiheitliche Landtagsabgeordnete zu bedenken. „Während in kürzester Zeit Unterbringungsmöglichkeiten für 50 Asylsuchende in Südtirol bereitgestellt werden können, sind Südtiroler Bürger in Not oft mit viel Bürokratie, mit langen Wartezeiten und dem Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten konfrontiert“, bemängelt Ulli Mair. „Etliche Problemfelder, wie der Personalmangel oder die niedrigen Gehälter der Betreuungs- und Pflegekräfte sind hausgemacht, aber für Bürger in unverschuldeten Notsituationen muss das soziale Netz funktionieren“, unterstreicht die freiheitliche Landtagsabgeordnete.
Annas Schwester will die Hoffnung nicht aufgeben, auch wenn diese Situation mit der Zeit nicht einfacher, sondern immer schwieriger wird. Zudem will sie einfach nicht glauben, dass sie die erste und einzige Familie in Südtirol mit diesem Problem sind: „Wir hoffen einfach, dass wir für Anna einen Platz in einem Wohnheim bekommen – weil sonst weiß ich wirklich nicht, wie es weitergehen soll.“
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