Du befindest dich hier: Home » News » „Putins Macht wird ausgehöhlt“

„Putins Macht wird ausgehöhlt“

Richter Cuno Tarfusser

Der ehemalige Richter am internationalen Strafgerichtshof, Cuno Tarfusser erklärt, welche Auswirkungen der Haftbefehl gegen Wladimir Putin haben wird.

Tageszeitung: Herr Tarfusser, der internationale Strafgerichtshof hat gegen Wladimir Putin einen Haftbefehl erlassen.  Kommt das für Sie überraschend?

Cuno Tarfusser: Nein, ich sehe darin keine Überraschung. Man spricht bereits seit einem Jahr über Kriegsverbrechen. Es ist normal, dass ein Gericht, das sich damit beschäftigt, einbezogen wird.

Weshalb wurde der Haftbefehl erlassen? Was wird konkret als Kriegsverbrechen gesehen?

Viele wissen nicht, was ein Kriegsverbrechen ist. Es handelt sich dabei um ein Verbrechen wie beispielsweise Mord, Deportation oder sexuelle Übergriffe, die innerhalb eines Kriegsgeschehens stattfinden und die die Genfer Konventionen verletzen. Es gibt demnach eine Reihe von Kriegsverbrechen, wenn man sich die Bilder anschaut, die seit einem Jahr kursieren. Ich persönlich sehe mehrere, auch wenn der internationale Strafgerichtshof nur die Deportation der Kinder nennt. Dieses hat das Gericht wohl deshalb genannt, weil die Beweislage dort am offensichtlichsten ist, abgesehen davon, dass es ein sehr emotionales verbrechen ist. Das heißt aber noch lange nicht, dass es nicht noch andere Haftbefehle wegen weiterer Kriegsverbrechen gibt.

Welche Auswirkungen hat der Haftbefehl nun?

Konkrete Auswirkungen im Sinne, dass er verhaftet und an das Gericht ausgeliefert wird, wird es keine haben. Das Gericht hat weder Vollstreckungsbehörden noch hat Russland das Gericht anerkannt. Der Haftbefehl hat aber sehr wohl Auswirkungen, weil es nach außen und intern eine politische Schwächung darstellt und hauptsächlich seine Bewegungsfreiheit einschränkt. Man muss davon ausgehen, dass, wenn er in einem der 123 Staaten, die das Statut unterzeichnet haben, verhaftet und ausgeliefert wird. Die Staaten, die das Statut ratifiziert haben, hätten diese Verpflichtung. Die Staaten, die das Statut nicht ratifiziert haben, können ihn aber ebenso verhaften und ausliefern. Sicher kann er nur in jenen Staaten sein, die in der UN-Versammlung gegen die Resolution gestimmt haben, die ihn zu einem Rückzug aufgefordert hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Putin nur von loyalen und treuen Freunden umgeben ist. Neben den ökonomischen Sanktionen, die Russland schwächen, kommt nun auch – salopp gesagt – eine juristische Zertifizierung dazu. Das ist nicht nur ein Stempel nach außen hin, es ist auch eine langsame Aushöhlung seiner Macht. Es gibt sicher auch in seinem Umfeld große Spannungsfelder.

Im August steht eine Reise Putins nach Südafrika, das das römische Statut ebenso unterzeichnet hat, im Raum. Die dortige Regierung hat sich zunächst zurückhaltend geäußert. Wie wahrscheinlich ist es, dass es tatsächlich zu einer Verhaftung kommt?

Das ist keine juristische, sondern eine politische Frage. Juristisch gesehen gibt es eine Verpflichtung von Seiten der Vertragsstaaten und die Möglichkeit einer Auslieferung der anderen Staaten. Als Beispiel: Als ich in Den Haag tätig war, haben wir einen Haftbefehl gegen den damaligen sudanesischen Präsidenten ausgestellt. Immer wenn er auf Reisen gegangen ist, haben wir ihn verfolgt. Er wurde zwar nicht verhaftet, aber er ist nicht sehr weit gereist. Er hat sich nicht dorthin getraut, wo das Risiko groß war, dass er verhaftet werden würde. Außerdem hat auch hier der Haftbefehl seine politische Macht geschwächt, weil er seine Macht nicht mehr voll ausüben konnte. Im Endeffekt wurde er von den eigenen Leuten gestürzt.

Im Zuge des Haftbefehls wurde von Putin-Freunden das Argument in den Raum geführt, dass westliche Staaten, beispielsweise die USA mit ihren Kriegsverbrechen im Irak-Krieg, vom internationalen Strafgerichtshof nicht bestraft wurden. Warum gab es damals keine Haftbefehle?

Der Unterschied besteht darin, dass die Kriegsverbrechen, die man damals den Amerikanern vorgeworfen hat, zum Großteil geschehen sind, bevor der internationale Strafgerichtshof in Kraft getreten ist. Er hat nur eine Gerichtsbarkeit über Verbrechen, die nach dem 1. Juli 2002 begangen wurden. Außerdem hat der internationale Strafgerichtshof keine Verpflichtung, Anklage zu erheben. Des Weiteren ist es gesetzlich verankert, von einer Anklage abzusehen, wenn es nicht im „Intrest of Justice“ – also im Interesse der Gerechtigkeit – ist. Was dabei als „Intrest of Justice“ ist, sei dahingestellt. Das heißt nicht, dass ich immer damit einverstanden war, was der damalige Chefankläger gemacht hat, der im Übrigen damals nicht Karim Khan ist. Dieser ist erst seit zwei Jahren als Chefankläger im Amt. Man kann aber sicher darüber diskutieren.

Wird es im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg weitere Haftbefehle und Anklagen geben?

Ja, sicher. Der internationale Strafgerichtshof wurde aber deshalb ins Leben gerufen, um die Verantwortlichen höchsten Grades verfolgt. Wir werden in Den Haag nie einen Soldaten sehen, der einen Zivilisten umgebracht hat. Deshalb glaube ich, dass man sich nicht weit von dieser politischen Ebene entfernt. Ich kann mir vorstellen, dass der Verteidigungsminister oder hochrangige Generäle angeklagt werden. Gefolgsleute, die auf der mittleren oder unteren Befehlsstufe sehen, werden dagegen nicht vom internationalen Strafgerichtshof angeklagt.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (14)

Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen

Du musst dich EINLOGGEN um die Kommentare zu lesen.

2025 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen