Warum werden Kinder zu Mördern?
Der Mord an der zwölfjährigen Luise F. in Deutschland durch zwei Mitschülerinnen schockiert. Welche Konsequenzen würden Tätern in so einem Fall bei uns drohen? Ist die Altersgrenze der Strafmündigkeit noch zeitgemäß? Jugendrichter Benno Baumgartner im Interview.
Tageszeitung: Herr Baumgartner, der Mordfall Luise F. schockiert. Zwei Mädchen im Alter von zwölf und 13 Jahren haben gestanden, ihre zwölfjährige Mitschülerin getötet zu haben. Wissen Kinder in diesem Alter, was sie da tun?
Benno Baumgartner: Das müssten Sie einen Psychologen fragen. Das Gesetz in Deutschland und in Italien sagt nicht, dass Kinder nicht wissen, was sie tun, aber dass sie nicht straffähig sind, also strafrechtlich nicht zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie unter 14 sind. Bis zum 13. Lebensjahr ist also eine gesetzliche Vermutung der Unzurechnungsfähigkeit im strafrechtlichen Sinn da – das heißt aber nicht, dass in diesen Fällen nichts passiert.
Was würde in Italien mit Kindern passieren, die eine derartige Tat verübt haben?
Bei uns greift das Jugendrecht im Sinne des Jugendlichen und es werden die Familiensituation und die familiären Beziehungen beleuchtet, es geht aber auch um die Jugendlichen an sich, man schaut, welche Schwierigkeiten sie haben, was sie bedrückt, wieso und woher die Aggressivität kommt. Und in schweren Fällen – wobei man sagen muss, dass wir glücklicherweise so einen Mord in Südtirol noch nie hatten – oder auch wenn ein Kind wiederholt Straftaten begeht, wird das Kinder in einer therapeutischen Wohngemeinschaft unterbracht und betreut. Dort werden Grenzen gesetzt und es geht um therapeutische Unterstützung sowie psychologische Betreuung, da es sicher ein Problem im Elternhaus oder vom Kind selbst gibt, wenn es in diesem Alter schon straffällig wird.
Dass Kinder zu so brutalen Taten fähig sind, ist für viele schwer nachvollziehbar. Warum werden Kinder zu Mördern?
Über den konkreten Fall kann ich nicht sprechen, aber was wir manchmal mitbekommen, sind Streitigkeiten unter Jugendlichen oder Mobbing, was dann zu kleinen Racheaktionen führt – diese sind aber nicht vergleichbar mit der Tat jetzt in Deutschland. Es können physische Racheakte sein, heute geht aber auch viel über Beleidigungen und Ausgrenzungen in den sozialen Netzwerken, was aber auch dramatische Konsequenzen haben kann. Was bei uns in Italien statistisch häufiger vorkommt, ist dass Kinder, wenn sie ausgegrenzt oder gemobbt werden, sich selbst verletzen bis hin zum Suizid. Deswegen ist es wichtig, dass die Eltern versuchen zu verstehen, worum es geht, wenn es den Kindern schlecht geht, um eventuell Hilfe von Sozialdiensten holen zu können.
Sind Ihnen aber auch in Südtirol schon sehr schwerwiegende Fälle untergekommen?
Nicht in so einem Kontext. In den letzten 30 Jahren hatten wir in Südtirol drei bis vier Fälle von versuchtem Mord, aber das waren immer schon 15-16-Jährige und man muss auch sagen, dass diese Fälle mindestens zehn bis 15 Jahre zurückliegen. Hier spricht man aber von straffähigen Jugendlichen und zumindest in einem Fall weiß ich, dass die Jugendlichen mehrere Jahre im Jugendgefängnis waren.
Die beiden verdächtigen Mädchen in Deutschland werden aber nicht in Haft kommen, weil Kinder bis zum 14. Geburtstag als nicht strafmündig gelten. Das gilt auch in Italien, oder?
Sie sind nicht strafmündig und nicht straffähig. Aber wenn wir hier bei uns so einen Fall bekommen würden, würden wir wahrscheinlich verfügen, dass die Kinder in eine Wohngemeinschaft kommen. Hier geht es nicht um strafrechtliche Maßnahmen sondern um zivilrechtliche.
Können Kinder, die eine so schwerwiegende Tat begangen haben, später wieder ein ganz normales Leben führen? Oder scheint eine solche Tat in der Strafakte auf?
Es scheint eine Meldung der Straftat auf, weil die Staatsanwaltschaft beim Jugendgericht eine solche erhält, das Verfahren dann aber einstellen muss, weil der Jugendliche noch nicht 14 ist. Diese Meldung scheint aber nicht im Strafauszug auf, weil kein Strafverfahren und keine Verurteilung da sind, aber die Polizeimeldung bleibt im Archiv erhalten, auf dieses kann aber nur die Polizei zugreifen.
Also könnten sie irgendwann ein ganz normales Leben führen?
Das hängt von der Entwicklung und von der Aufarbeitung ab. Es gibt hier keine Vorschrift, dass ein Kind bis zur Volljährigkeit in einer therapeutischen Wohneinrichtung bleiben muss. Hier gibt es in Italien keine gesetzlichen Vorgaben, aber es gibt konkret die Einschätzungen von Sozialdienst und Jugendgericht, wie viel Aufarbeitung es braucht.
Hat Sie persönlich dieser Fall schockiert? Dass Kinder zu so einer Tat fähig sind…
Natürlich, trotz meiner Erfahrung ist mir ein so schwerwiegender Fall noch nie untergekommen und man wundert sich natürlich wie so etwas möglich ist. So etwas kann man sich einfach nicht erklären.
Würde so ein Fall in Italien zivilrechtlich, also im Bezug auf Schadenersatz, ohne Ergebnis bleiben oder würde man zivilrechtlich die Eltern zur Verantwortung ziehen?
Unser Zivilverfahren vor dem Jugendgericht zum Schutz der Minderjährigen wird wie bereits beschrieben gestartet. Dann gibt es natürlich den Aspekt des Schadenersatzes, wo die Eltern haften – es ist auf jeden Fall eine illegale zivile Handlung, durch die ein Schaden entsteht, auch wenn die Kinder selbst unter 14 nicht strafmündig sind.
In Deutschland wird jetzt eine Diskussion über die Absenkung der Strafmündigkeit geführt. Ist eine Altersgrenze der Strafmündigkeit noch zeitgemäß? Oder müsste man diese senken?
Diese Diskussion kommt periodisch immer wieder auf, aber im Wesentlichen denke ich, dass es so in Ordnung ist. Natürlich tut man sich schwer, wenn so etwas passiert, zu sagen, dass diese Täter nicht bestraft werden sollen. Aber auch wenn man das Alter theoretisch auf zwölf Jahre herabsetzen würde, muss auf jeden Fall – und das ist bis zum 17. Lebensjahr so – überprüft werden, ob der Täter im konkreten Fall straffähig ist, ob er fähig ist seinen Willen zu lenken und die Tat zu verstehen. Und deswegen muss man schauen, ob ein Zwölfjähriger, der so etwas tut, wirklich straffähig ist. Die konkrete Einschätzung der Straffähigkeit muss immer gemacht werden.
Ist die Gewaltbereitschaft bei Kindern in den letzten Jahren insgesamt gestiegen?
Unsere statistischen Erhebungen zu den Straftaten im Laufe der Jahre sehen eigentlich keine Zunahme an Gewaltverbrechen. Es ändert sich vielleicht die Art ein bisschen, aber abgesehen vom Knick während der Covid-Zeit sind die Daten konstant. Manchmal ist ein Vorfall eklatanter oder wird mehr wahrgenommen, weil die Taten gefilmt werden und in den sozialen Netzwerken zirkulieren, aber im Wesentlichen würde ich nicht von einer Verschlimmerung der Situation sprechen.
Interview: Lisi Lang
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Kommentare (2)
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kitt
Man muss sich fragen ob kitas sinnvoll sind? Besser muttis bekommen rentenbeitrag statt kinder abgeben, kinder sitzen bei pc und handys weil eltern arbeiten müssen, jugendliche bis 3 uhr morgens bei kriegsspiele, arme erziehung und kinder…