„Mein Blutdruck steigt“
Vergleichsweise niedrige Gehälter, lange Wartelisten und immer mehr Bürokratie: Der Gewerkschafter der Krankenhausärzte Ivano Simioni schlägt Alarm – und stellt der Politik die Rute ins Fenster.
TAGESZEITUNG Online: Herr Simioni, Sie schreiben in einem Rundbrief an Ihre ÄrztekollegInnen, dass sie seit zehn Tagen einen Blutdrucksenker nehmen müssen …
Ivano Simioni (lacht): Ich habe effektiv seit einigen Wochen einen höheren Blutdruck …
… weil die Verhandlungen mit dem Land so mühselig sind?
Ja, die Verhandlungen sind mühselig, das stimmt. Am 28. Februar treffen wir uns mit der Agentur für Kollektivvertragsverhandlungen. Wenn wir da keine Einigung erzielen, schließe ich auch Kampfmaßnahmen nicht aus. Die extreme Maßnahme wäre ein Streik.
Einer der Knackpunkte in den Verhandlungen ist die sogenannte Exklusivitätszulage für Ärzte …
Richtig. Es war noch die Regierung Mario Draghi, die diese Exklusivitätszulage im Jahr 2020 in das Haushaltsgesetz gepackt hat. Diese Zulage haben die Ärzte in ganz Italien rückwirkend bekommen, auch unsere KollegInnen im Trentino, die Trentiner haben die Exklusivitätszulage rückwirkend zum 1. Jänner 2021 bekommen. Wir haben nichts bekommen.
Warum?
Weil das Land zu uns gesagt hat, dass kein Geld da ist.
Wieviel würde diese Exklusivitätszulage ausmachen?
Für einen alten Oberarzt wie mich um die 300 Euro brutto im Monat. Für einen jungen Oberarzt um die 30 Euro. Es geht da also um keine horrenden Beträge.
Diese Exklusivitätszulage wird den italienischen Ärzten dafür bezahlt, weil sie nicht privat arbeiten?
Richtig. Die Regierung Draghi hat mit dieser Exklusivitätszulage im Zuge der Corona-Pandemie eine Aufwertung der sanitären Leiter, zu denen wir Ärzte gehören, vornehmen wollen. Wir haben nach wie vor einen Ärztemangel, vor allem KollegInnen aus dem deutschen Sprachraum kommen eher spärlich zu uns …
Weil Sie zu wenig verdienen?
Auch. Ich nenne Ihnen ein konkretes Beispiel: Im Burgenland hat man vor ein paar Tagen beschlossen, das Mindestgehalt für Krankenhausärzte mit 140.000 Euro brutto festzusetzen. Das sind rund 7.000 Euro netto als Anfangsgehalt. Hinzu kommt: Burgenland ist eine Region, in der man – im Gegensatz zu Wien oder Südtirol – noch verhältnismäßig billig lebt.
Sie wollen damit sagen Warum soll ein Südtiroler Arzt oder ein Mediziner aus dem Burgenland nach Südtirol kommen, wenn er in Österreich viel mehr verdient?
Das ist leider die Ist-Situation. Ein junger Facharzt, der nach Abschluss seiner jahrelangen Ausbildung in einem Südtiroler Krankenhaus zu arbeiten beginnt, kommt auf 4.300 Euro netto im Monat, die Zweisprachigkeitszulage inklusive. Auf unserer Abteilung mache ich sieben Nacht- bzw. Bereitschaftsdienste im Monat, in einem vergleichbaren Spital in Österreich machen die KollegInnen zwei Dienste im Monat.
Das heißt, ein junger Arzt verdient im Burgenland über 40 Prozent mehr als ein junger Arzt in Südtirol?
Ja, wobei Geld nicht alles ist. Die Regierung Meloni hat beschlossen, nicht nur den Kollektivvertrag der sanitären Leiter aufzubessern, sondern alle Verträge im öffentlichen Dienst. Für die sanitären Leiter hatte die Regierung Draghi bereits 650 Millionen Euro bereitgestellt, die Regierung Meloni hat nun für die Verhandlungen zum Kollektivvertrag für die Jahre 2019 bis 2020 – der alte Vertrag ist längst verfallen – 1,15 Milliarden Euro zweckbestimmt. Unsere reiche autonome Provinz investiert dagegen in Sportanlagen, Bauern und in den Tourismus.
Sie klingen verbittert?
Ich bin nicht verbittert, sondern sage nur: Wenn die Attraktivität des Krankenhausarzt-Berufes nicht erhöht wird, werden Kollegen in den Privatbereich abwandern oder ins Ausland ziehen bzw. im Ausland bleiben.
Was erwarten Sie sich vom Treffen am 28. Februar?
Mittlerweile scheint klar, dass wir die Exklusivitätszulage bekommen werden, wenn auch nicht rückwirkend, sondern erst ab 1. Jänner 2023. Jetzt muss man sehen, ob diese Zulage bedingungslos ausbezahlt oder an Bedingungen geknüpft wird. Uns geht es ähnlich wie den anderen öffentlichen Bediensteten und deren Bereichsübergreifenden Vertrag. Es heißt vonseiten des Landes immer, es sei kein Geld da …
Das glauben Sie nicht?
Schauen Sie, wir sind konfrontiert mit einem Land, das den größten Haushalt der Geschichte verwalten darf. Trotzdem heißt es: Es gibt kein Geld! Ich würde eher sagen, das Land setzt Prioritäten und investiert in Bereiche, die eh schon mit viel Geld gesegnet sind.
Bald sind Wahlen, vielleicht gibt es ja auch für die Ärzte ein Zuckerle …
Das wäre wünschenswert (lacht). Aber wir haben auch ein Problem damit, dass wir nicht mehr mit dem Land bzw. mit der Politik direkt verhandeln können. Die Verhandlungen sind im vergangenen Dezember übergegangen auf die Agentur für Kollektivverhandlungen. Dieser Übergang hat uns zwei Monate Verhandlungszeit gekostet. Das war Verzögerungstaktik.
Noch einmal: Was erwarten Sie sich vom Treffen am 28. Februar?
Wir hoffen, dass dieses Treffen Früchte bringt.
Wenn nicht?
Die Extremmaßnahme ist der Streik. Wir hatten ursprünglich und mit einer 99-prozentigen Zustimmung beschlossen, am 8. März über weitere Maßnahmen abzustimmen. Jetzt warten wir ab, was am 28. Februar herauskommt. Aber, wie gesagt, es geht nicht nur ums Geld …
Sondern?
Wir haben immer längere Wartelisten, immer mehr Bürokratie und Druck. Es kommen kaum KollegInnen nach. Wenn wir verhindern wollen, dass die Versorgung der Bürger unter den genannten Problemen leidet, muss dringlich etwas passieren. Ich sage das nicht als Drohung, sondern als Insider und ganz ohne Polemik.
Interview: Artur Oberhofer
Kommentare (22)
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