Fürsorge
Was hat die Kunst zum Thema Fürsorge zu sagen? Sabine Gamper kuratiert im Kunstpavillon & Neue Galerie Innsbruck mit den Mitgliedern der Tiroler Künstler:innenschaft eine Ausstellung zum Thema „Ecologies of Care“.
Tageszeitung: Frau Gamper, Solidarität, Gemeinschaftssinn und Fürsorge sind nicht erst, aber besonders seit der Pandemie und dem Ukraine-Krieg, wieder drängende Themen geworden. Was hat Sie bewogen, eine Ausstellung dazu zu machen?
Sabine Gamper: Das Thema von Fürsorge und Solidarität hat sich bei mir als selbständige Kuratorin und Mutter von drei Kindern und einem afghanischen Ziehsohn während des ersten Lockdowns vor drei Jahren konkretisiert. Damals ist mir klar geworden, dass Caring, also Fürsorge, Zuwendung, Verantwortung und Solidarität, eine dringend aufzuwertende Ordnung für ein zukünftiges Leben auf diesem Planeten darstellt. Denn Care-Arbeit hat leider einen zu geringen Stellenwert in unserer Gesellschaft. 2021 habe ich erstmals eine Ausstellung mit dem Titel „WHO CARES?!“ für die Jubiläumsausstellung von Kunst Meran kuratiert, und nun habe ich für die Mitgliederausstellung der Tiroler Künstler:innenschaft 21 verschiedene Positionen aus Tirol zu einem vielstimmigen Chor an unterschiedlichen Vorschlägen zum Thema zusammengeführt.
Was hat die Kunst dazu zu sagen?
Die Kunst kennt viele unterschiedliche Wege, um mit schwierigen Themen umzugehen, sie ist sozusagen erprobt darin, komplexe Sachverhalte darzustellen. Sie gesteht sich zu, in eine Zukunft hinein zu denken, die wir noch nicht kennen, und sie darf versöhnlicher agieren als die Wissenschaft. Künstler und Künstlerinnen vernetzen sich sehr stark über verschiedene Sparten und Bereiche hinweg , sodass wir uns diesen aktuellen Themen durch die Betrachtung von Kunst von vielen unterschiedlichen Perspektiven aus annähern können. Und die Kunst ist in der Lage, hoffnungsvolle, neue oder auch ungewöhnliche Vorschläge zu bringen. So kann die Kunst einen Beitrag leisten zu einem besseren Verständnis von Care als mächtiger sozialer und kultureller Kraft.
Die Kunstwelt ist nicht gerade für ihre gegenseitige Fürsorge bekannt. Man hat den Eindruck, es herrscht trotz allgegenwärtigen Prekariats eher neoliberale Ellbogenmentalität als Solidarität. Stimmt das, oder ist das ein Klischee?
Das ist eigentlich nicht meine Erfahrung im alltäglichen Austausch mit Künstlern und Künstlerinnen, aber auch nicht in der Zusammenarbeit mit Kunstvereinen und Institutionen. Was auf jeden Fall Fakt ist, das ist, dass ungefähr 30% der Künstler*innen unterhalb der Armutsgrenze leben. Die Verteilungssituation in der Kunst ist daher um einiges schwieriger als in anderen Berufssparten. Es gibt einige wenige sehr wohlhabende Künstler*innen, und sehr viele, die ums Überleben kämpfen. Wir haben diese Tatsache am Beispiel eines Künstlers, der aufgrund von Immobilienspekulation plötzlich in Berlin ohne Atelier dasteht, in der Ausstellung auch dargestellt. Die Tiroler Künstler:innenschaft bemüht sich sehr engagiert darum, das Thema FAIR PAY, also die angemessene Vergütung von Künstler*innen, voranzutreiben.
Mit welchen Aspekten der Fürsorge befassen sich die Tiroler Künstler:innen konkret?
Die Künstler*innen der Ausstellung nähern sich dem CARE-Thema aus sehr unterschiedlichen Warten. Carola Dertnig beschäftigt sich in ihren Videos anhand von verschiedenen Szenarien mit der Bewohnbarkeit des öffentlichen städtischen Raumes für Eltern mit Kleinkindern, Richard Schwarz untersucht Möglichkeiten und Fallen zwischenmenschlicher Kommunikation im technologischen Zeitalter, und Charlotte Simon, Maria Romay und Nora Schöpfer verweisen auf die verflochtenen Schicksale menschlicher und nicht-menschlicher Welten, auch angesichts der drohenden Klimakatastrophe, und zeigen auf, wie vernetzt wir alle in unserem gemeinsamen Lebensraum sind. Bernhard Hetzenauer dokumentiert in seinem Film auf sensible Weise die Flüchtlingssituation an der mexikanischen-US-amerikanischen Grenze. Stefan Klampfer experimentiert den Begriff des „Wegbegleiters“ anhand von DIY-Objekten, und die aus Südtirol stammende und in Innsbruck lebende Künstlerin Maria Walcher beschäftigt sich mit sozialen Hierarchien am Beispiel des Schuhputzerhandwerks. Robert Freund vernetzt in seinen Malereien und Objekten Popkultur mit assoziativen Geschichten zu einer Kritik am kapitalistischen Agieren von Großkonzernen, und Ursula Groser thematisiert in ihrer Installation die komplexen Markt- und Lieferketten in der Produktion von Grundnahrungsmitteln, und fragt danach, wie solidarisches Handeln in Hinblick auf eine gerechtere globale Nahrungsmittelverteilung aussehen könnte. Wolfgang Tragseiler hinterfragt patriarchal konstruierte Geschlechterbilder, und Wolfgang Wirth und Sarah Decristoforo thematisieren Self-Care zwischen Abgrenzung und Öffnung. Katharina Cibulka arbeitet aus einer feministischen Perspektive mit Sprache und Text als Angebot zum Dialog, um auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen, und Margarethe Drexel und Maria Peters plädieren für die radikale Akzeptanz unserer Sterblichkeit und Verletzlichkeit. Ursula Beiler und Gustavo Juarez versuchen eine Rück- und Einbindung von Mythen und kulturellen Traditionen in zeitgenössische Lebensformen, um eine auf Fürsorge und Solidarität aufbauende Welt neu zu denken. Miriam Tiefenbrunner und Elisabeth Daxer verweisen auf die Achtsamkeit und eine mitfühlende Haltung sich selber, den Mitmenschen und der Welt gegenüber, und Robert Gfader lässt uns teilhaben an seiner prekären Situation im Zuge des Verlustes seines Atelier durch Immobilienspekulation. So weben die einzelnen Beiträge gemeinsam ein Netz von Leitlinien zum Leben und Denken in schwierigen Zeiten, und schaffen Raum für Reflexion und Großzügigkeit, um neue Wege der Verbundenheit vorzuschlagen. Künstlerische Arbeit kann in diesem Sinne auch als Caring-Practice verstanden werden.
Theoretisch stützen Sie sich auf das 1990 erschienene Buch „Toward a Feminist Theory of Care“ von Joan C. Tronto und Berenice Fisher. Was macht das Buch für Sie prophetisch und muss ein neues Konzept von Fürsorge feministisch sein?
Die beiden Theoretikerinnen Joan C.Tronto und Berenice Fischer haben bereits in den 90er Jahren davon gesprochen, dass das Konzept der Fürsorge ausgeweitet werden muss, und zwar auf das gesamte öffentliche Leben und seine soziale und politische Gestaltung, sowie auf den Bereich der Natur und Umwelt. Dies ist ein Ansatz, der heute nahezu prophetisch erscheint, und aktueller denn je ist. Die beiden Autorinnen schlagen vor, Care als Aktivität einer Spezies zu betrachten, die alles umfasst, was wir tun, um unsere „Welt“ zu erhalten, fortzuführen und zu reparieren, damit wir so gut wie möglich in ihr leben können. Diese Welt umfasst unseren Körper, unser Selbst, und unsere Umwelt, die wir alle in ein komplexes, lebenserhaltendes Netz zu verweben suchen. Diese feministische Grundhaltung zeigt uns auf, wie wir uns für eine solidarischere Welt einsetzen können, ausgehend von einer gerechteren Verteilung zwischen den Geschlechtern bis hin zu allen anderen Bereichen des Lebens.
Interview: Heinrich Schwazer
Termin: Bis 15. April im Kunstpavillon & Neue Galerie Innsbruck. www.kuenstlerschaft.at
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