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Aschermontag

Coffin Table von Dora Musola (Fotos: Daniel Walcher)

Wer will schon mit einer Kobra an einem Sargtisch sitzen? Studierende der Fakultät für Design und Künste der Universität Bozen setzen sich mit den Attacken von Klimaaktivisten auf Kunstwerke auseinander. Zu sehen in der Galerie Alessandro Casciaro.

(sh) Der britische Bein- und Stiefel-Fetischist Allen Jones, der in den 1960er Jahren Frauenkörper bevorzugt als Sitzmöbel einsetzte, hätte seine helle Freude an dem Tisch von Dora Musola. Die Tischplatte ist auf weiblichen Armen und Beinen aufgebockt, die – warum immer – in entgegengesetzte Richtung laufen. Bei genauerem Hinschauen ist es aber keine Platte, sondern ein pinkfarbener Sarg, auf dem sich ein Fahrradschlauch wie eine giftgrüne Speikobra aufbäumt, dann aber friedvoll die Hände reicht. Mit ihrer signalhaften Farbe und dem fetischistischen Fraktionieren und Kombinieren des Körpers macht sich das Objekt die Bildsprache der Werbung zu eigen, unterläuft diese aber zugleich in surrealistisch (der Surrealismus war ja schon einmal ein Befreiungsschlag) anmutenden Fallen, Scherzen und Abgründigkeiten. Läuft der Sarg auf allen Vieren davon, hat er die Schnauze voll, der Holzpyjama für eine Menschheit zu sein, die, wenn man der Letzten Generation glaubt, gerade mit Inbrunst dabei ist, sich eigenhändig den Hitzetod zu bereiten? Und wer will schon mit einer Kobra am Tisch sitzen?

Musolas „Coffin Table“ ist der Eyecatcher der Ausstellung „Econoclasm“ in der Galerie Alessandro Casciaro und steht in seiner inszenierten Ambiguität geradezu manifesthaft-programmatisch für das Thema, an dem sich Studierende der Fakultät für Design und Künste der Freien Universität Bozen unter der Leitung von Leander Schwazer, Gerhard Glüher und Davide Tommaso Ferrando ein Semester lang abgearbeitet haben.

Studierende und Dozenten vor dem Werk „Return to Sender“ von Tino Bors und Daniel Walcher.

Der Titel klingt semiologisch einigermaßen abgehoben, aber das Thema ist in der Luft, nein, es liegt auf der Straße. Es geht um die von den Aktivisten der Letzten Generation in den vergangenen Monaten veranstalteten Attacken mit Tomatensuppe und Püree auf Ikonen westlicher Kunst – unter anderem auf Vincent Van Gogh Gemälde „Sonnenblumen“ in der National Gallery in London. Protest,  glaubt die Letzte Generation,  müsse  medienwirksam sein,  penetrant  und nervtötend für die sein, denen er gilt – geht es doch um nichts weniger als um die Rettung der Welt. Dass Kunst, die doch eher ein Mauerblümchendasein fristet, plötzlich zum Instrument wird, um die Welt aufzurütteln, ist einigermaßen erstaunlich. So viel Macht hatte man ihr gar nicht zugetraut. Schön für die Kunst.

Doch was bedeutet es für angehende Künstler:innen, wenn ihre Altersgenossen Kunstwerke als Zielscheibe und Mittel für ihren legitimen Protest benutzen? Antworten geben sie selbstredend keine (dann wäre es ja keine Kunst), aber eine These haben sie und die beginnt mit einer Wortschöpfung. „Econoclasm“ kombiniert die Wörter Iconoclasm und Economy und verbindet damit Ikonoklasmus und Ökonomie.

Die Gruppe des Studio Exhibit verortet die Kunstattacken in der mehr als 2000 Jahre alten Geschichte des Ikonoklasmus (Bilderstreit). Ganz gerecht ist das nicht, denn die Klimaaktivisten sind keine prinzipiellen Bilderfeinde, aber dass sie ausgerechnet die Kunst für ihren Protest hernehmen, hat dann doch etwas von einem bilderstürmerischen Furor. Für die Studierenden lautet die Frage: Darf, soll man überhaupt noch Kunst machen, wenn die Apokalypse schon in Sicht- und Rufweite ist? Die Antwort lautet: kann man.

Bewusst oder unbewusst beginnt ihre Arbeit bei Gottes letzten Worten an Adam bei der Vertreibung aus dem Paradies: „Gedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehrst.“

Asche ist ihr Material. Auf den Bozner Straßen haben sie Kartonberge, Reste und Zeugen des globalen Warenhandels, gesammelt und diese in einer Art Ritual dem Feuer übergeben. Aus der Asche, von Alters her Zeichen der Reue, der Umkehr, der läuternden Buße und der Reinigung, steigt Kunst wie der sprichwörtliche Phönix empor.

Performance „Soapism“

Auf einem riesenhaften Format mit dem Elvis Presley entlehnten Titel „Return to Sender“ haben Tino Bors und Daniel Walcher mit Asche die globalen Handelsströme zu einer Höhlenmalerei à la Keith Haring und Jean-Michel Basquiat kondensiert. Alles ist mit allem verwoben und verknüpft in ein robustes Netz, in dem die Abgründe, Banalitäten und Verlockungen des Konsums herumwuseln.

Matilde Baldassari, Claudia Gianella und Morin Pichler haben mit der bereits bei den Sumerern dokumentierten Methode Seife aus Asche hergestellt. Soapism“ heißt ihre Seifenmanufaktur, die sie auch in einer Performance am Montag vorführten. In einem hochsymbolischen, fast eucharistischen Ritual spachtelten sich zwei Künstlerinnen vor einem wie ein Altar inszenierten Gabentisch die mit Glycerin vermischte Asche von den Körpern. So ungereimt die Reinigung mit Asche im ersten Moment ausschaut, sie entspringt der antiken Überzeugung, dass Gleiches nur mit Gleichem zu lösen und zu löschen ist. Wegwaschen und Tilgen der Sünden durch Kunst – für Klimaaktivisten ist das möglicherweise nicht wirklich überzeugend, aber ein bisschen Utopie darf sein.

Ludovica Faro hat einen ornamentalen Aschenteppich ausgelegt, unter den sich nichts kehren lässt. Viola Silvi steuert eine Miniaturstadt aus Pillenröhrchen bei, in die Asche abgefüllt ist und die zusätzlich seufzende Weinlaute ausstoßen. Maria Zugliani hat  eine Feuerschrift fotografiert und Francesca Cantele einen alten Wehrstein ausgegraben. Auch einige Videos sind zu sehen, wobei einmal mehr Monica Bonvicinis „Wallfuckin’“ eine unwiderstehliche Anziehungskraft auszuüben scheint.

Natürlich wollen die jungen Künstler:innen in dem ungelichteten Nebel aus Fakten, Emotionen, Moral und düsteren „Worst Case“-Szenarien der Klimadebatte auf der richtigen Seite stehen, nur, wo ist die richtige Seite der Kunst? Asche ist auf jeden Fall schon mal der richtige Ausgangspunkt.

Termin: Bis 4. Februar in der Galerie Alessandro Casciaro.

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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