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„Wir waren richtige Rowdies“

Tamara Lunger ist eine der erfolgreichsten Bergsteigerinnen der Welt und hat alle Höhen und Tiefen des Alpinismus durchgemacht, Triumphe und Tode erlebt. Jetzt engagiert sie sich für afrikanische Frauen. 

Tageszeitung: Frau Lunger, man kennt Sie als ebenso erfolgreiche wie waghalsige Bergsteigerin. Jetzt setzen Sie sich für afrikanische Frauen und gegen Beschneidung ein. Wie gehört das zusammen? 

Tamara Lunger: Das hat ganz sicher damit zu tun, dass ich mein ganzes Leben mit meiner Weiblichkeit gehadert habe. Wir waren drei Gitschn zuhause, haben uns täglich mit den Buben vom Dorf geprügelt, so richtige Rowdies. Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, an dem mich vier größere Burschen abgepasst und durchgewischt haben. Damals habe ich mir geschworen: Es Schweine, euch zeig ich es noch. Ich wollte immer stark sein, habe in der Oberschulzeit Krafttraining gemacht. Das Ziel war immer: Mir tut keiner mehr weh.

Sie meinen, mir tut keiner mehr weh, nur weil ich eine Frau bin.

Ich weiß, was es heißt, eine Frau zu sein, aber ich bin keine Feministin, das geht mir eher auf die Nerven, ich will an meiner Seite einen Mann haben und nicht ein halbes Hemat.

Halbes Hemat, sagt man so im Eggental? 

Ich sag halt so (lacht). Der Mann sorgt für die Frau, die ihren Part hat, das ist seit der Urgeschichte so, das ist halt so drinnen im Menschen und das gehört so. Ich will halt einen Mann, an dem ich mich anlehnen und auch einmal ausplärren kann. Ich will nicht die Hosen anhaben.

Mit dieser Meinung werden Sie bei den Feministinnen nicht viele Freundinnen haben. 

Ach, für mich ist das eigentlich kein großes Thema und ich will es auch nicht dazu machen. Oft werde ich gefragt, ob ich mir auf meinen Expeditionen nicht blöde Kommentare von den Männern anhören musste. Nein, das hat es nicht gegeben. Aus dem einfachen Grund, weil das nicht in meinem Kopf ist. Für mich ist das überhaupt keine Frage: Ich kann gleich gut sein wie ein Mann. Das feministische Getue kommt oft, glaube ich, daher, dass frau ein Minderwertigkeitsgefühl hat. Dann probiert sie diesen Mangel auf aggressive Weise auszugleichen. Ich habe auf meinen Expeditionen von den Frauen oft Neid zu spüren bekommen, weil ich getan habe wie ein Mann. Ich habe die gleiche Verantwortung übernommen, den gleich schweren Rucksack getragen, Seile fixiert und so weiter. Ich wollte nicht, dass man mich als das schwache Glied anschaut. Ich wollte nicht physisch ein Mann sein, ich wollte einfach als eine von ihnen angesehen werden. Was ja nicht so einfach ist: Man ist zusammen in einem engen Zelt, es gibt nur eine „Brunzbundl“, die rundum gereicht wird, gut schmecken tut es auch nicht, weil man müsste auf dieser Höhe 8 Liter Wasser pro Tag trinken, aber das tut man nicht, weil man dann ständig aufs Klo muss. Weibliche Annehmlichkeiten haben da keinen Platz.

Gab es ein Ereignis, das sie daran erinnert hat, dass Sie aller Männlichkeit zum Trotz eine Frau sind? 

2016, am Nanga Parbat, bin ich 70 Meter unter dem Gipfel umgedreht, bin abgestürzt, konnte mich aber ins Zelt zurückretten. Damals habe ich zum ersten Mal gespürt, ich bin anders, total anders als die Männer. In dem Moment wollte ich einfach umarmt werden, ein nettes Wort hören. 2019 war ich mit Simone Moro auf dem Weg zum Gasherbrum 1 und 2, es war verrückt anstrengend. In 18 Tagen haben wir vor lauter Gletscherspalten nur 500 Höhenmeter geschafft, es war ein Labyrinth, von einer Sackgasse in die nächste und am 18. Tag wären wir beinahe beide in eine Spalte gestürzt. Ich habe nur mehr gebetet. Nach der Rückkehr bin ich zu einem Pranotherapeuten gegangen. Eine Kollegin von dem hat mich angeschaut, nur angeschaut, sonst nichts, und mir ins Gesicht gesagt: „Du bist ein Mann“.

Ihre Reaktion?

Meine erste Reaktion war: Oh je, jetzt fängt das wieder an, das kenn ich ja schon, aber ich glaube, ich habe mich doch ein bisschen gebessert. Ich bin halt wie ich bin. Nein, hat sie gesagt: Du bist total ein Mann. Ich gebe dir noch ein Jahr zu leben, wenn du nicht imstand bist, deine weibliche Energie anzunehmen.

Eine düstere Prophezeiung. Hat Ihnen das Angst gemacht?

Angst nicht, aber ich habe nachgedacht, wie ich mich auf Expeditionen, vor allem auf der letzten mit Simone verhalten habe.

Nämlich. 

Ich war mehr Mann als er. Er war mehr der gelassene, immer gut aufgelegte Part, ich immer die stur vorwärts drängende. Da ist mir allmählich klar geworden, dass ich an dem Thema noch zu arbeiten habe.

Am Thema Frau sein.

Ja. Frauen waren für mich immer das schwache Geschlecht. Wenn ich Frauen am Berg beobachtet habe, ist mir immer schlagartig durch den Kopf gegangen: Ich gehöre nicht zu denen. Frauen, so war mein Eindruck, benutzen das Frausein als Ausrede, um beispielsweise nicht so schwere Rucksäcke tragen zu müssen. Für mich war das ein Ding der Unmöglichkeit, ein Limit im Kopf und Limits wollte ich von Klein auf nie akzeptieren.  Ich bin auch nie mit Sherpas gegangen. Entweder ich schaffe es allein und trage mein Glump selber hinauf, oder ich lasse es.

Ich bin eine Frau, aber eigentlich ein Mann und jetzt muss ich lernen eine Frau zu sein. Wie geht das? 

Es ist ein harter Prozess, wie jede Veränderung. Ich habe meditiert, jeden Tag, viel geplärrt, viel nachgedacht, es war ja gerade Lockdown, das ist mir zugute gekommen. Im Rückblick muss ich sagen, der Lockdown ist die beste Zeit meines Lebens gewesen.

Das sagt eine, die es auf dem Sofa sonst nicht aushält.

Ich hatte damals genau zwei Möglichkeiten. Entweder ich werde depressiv oder ich probiere, etwas Gutes zu tun. Für mich und für andere, die in der gleichen Situation sind. Ich habe dann online Kurse abgehalten, Krafttraining, Ausdauer und so weiter, manchmal waren wir 3000 Leute. Die Leute waren begeistert, haben mir geschrieben, mir Geschenke geschickt, es hat mir fast leid getan, als es vorbei war. Für mich war es mit der Erkenntnis verbunden, dass es, egal wie die Situation ist, immer eine Wahl gibt. Ich kann zu jeder Zeit eine Entscheidung treffen.

In dieser Rolle sind sie sich weiblich vorgekommen?

Ja, indem ich nicht nur auf mich, sondern auch auf andere geschaut habe. Ich habe ja immer sturheil meine Sachen durchgezogen, sehr egoistisch eigentlich. Jetzt habe ich verstanden, dass das eine das andere nicht ausschließt. Ich werde, indem ich meine Weiblichkeit annehme, vielleicht in Zukunft anders auf den Berg gehen, aber es bedeutet sicher nicht, dass ich weniger stark sein werde.

Wann und wo hat Ihr Engagement für Frauen angefangen? 

Mein ehemaliger Kletterpartner Juan Pablo wollte mit Kindern in Nordpakistan einen Kletterkurs veranstalten. Die Idee hat mir gefallen, aber ich wollte sie mit Mädchen umsetzen. Das war einfacher gesagt, als getan. In dem Ort hat man uns klipp und klar gesagt, Mädchen dürfen nicht klettern. Das hat mich wie eine Faust ins Gesicht getroffen. Ein Vater hat mir seine Hand nur durch sein Hemd hindurch gegeben, weil ich als Frau ja unrein bin. Irgendwie ist es nach viel Überzeugungsarbeit dann doch gelungen. Die Mädchen waren zuerst sehr schüchtern, aber dann hatten sie eine richtige Gaudi. Am Schluss gab es Tränen, weil wir wieder wegmussten.

Das war in Pakistan, jetzt engagieren Sie sich für Frauen in Afrika. 

In Tansania, da geht es um Beschneidung. Das Thema interessiert mich schon seit der Oberschule, als ich das Buch „Wüstenblume“ von Waris Dirie gelesen habe. Damals wusste ich: Irgendwann will ich etwas dagegen tun. Eingefädelt hat das Umberto Carrescia, der die Circle-Projekte in Afrika leitet. Mit ihm bin ich in die Massai-Dörfer unterhalb des Kilimandscharo gegangen. Das Thema Beschneidung habe ich dort nicht sofort und direkt angesprochen, ich wollte eine positive Botschaft vermitteln: den Wert der Frau, ihre Schönheit und dass wir von Gott gewollte Geschöpfe sind, die nicht an sich herumschneiden lassen müssen. Im Wesentlichen habe ich einfach meine Geschichte erzählt und Bilder vom Bergsteigen, Paragleiten und so weiter gezeigt, alles Dinge, die sie ja nicht kennen, um ihnen Mut zu machen und zu zeigen, dass eine Frau alles machen kann.

Eine weiße Europäerin, die Afrikanerinnen sagt, was sie zu tun haben. 

Ich weiß, das ist problematisch. Denn schließlich handelt es sich, auch wenn wir es als falsch ansehen, um ihre Tradition und Kultur und ich als Europäerin habe eigentlich kein Recht, darüber zu urteilen. Man muss sich nur vorstellen, was es heißt, dort ein Mädchen zu sein. Denen wird je nach Stamm im Gesicht wie einem Pferd ein Brandzeichen eingebrannt, dann werden ihnen die Ohren aufgeschnitten, um den Schmuck anzubringen und am Ende steht die Beschneidung. Dann ist frau eine Frau. Mittlerweile ist das zwar verboten, aber das hat zur Folge, dass die Beschneidung oft schon an kleinen Kindern vorgenommen wird. Die Beschneiderin ist ja auch auf mich zugegangen und hat mir mit Rasierklinge und Kürbisflasche gezeigt, wie sie da tut und zu mir gesagt: Komme nur her, mache ich dich auch frisch. Und es gibt dort ja auch Mädchen, die gar nicht gegen die Beschneidung sind. Das muss so sein, weil es sein muss, sagen sie.

Was antworten Sie so einer Frau?

Eine beschnittene Frau wird sofort verheiratet und damit ist ihr Leben gegangen. Sie bekommt Kinder, ist die Frau von mehreren Frauen eines Mannes und kommt nicht mehr weg. Ich habe die Mädchen nach ihren Träumen gefragt. Viele wollten Lehrerin werden, andere Ärztin, eine wollte sogar Pilotin werden. Ich habe sie auch gefragt: Was ist für euch Schönheit? Ihre Antwort: Schön ist ein Frau mit kurzen Haaren, schön sind die Brandmale im Gesicht und der Spalt zwischen den Zähnen, der ihnen herausgefeilt wird.

Bergsteigerin aber bleiben Sie noch?

Ja, so viel Mannsein muss sein. Nach der K2-Katastrophe Anfang 2021, als fünf Leute abgestürzt sind, bin ich nach Haus gefahren und habe nur mehr gefressen, wollte mit keinem Berg mehr etwas zu tun haben. Ich habe nur mehr den Tod gesehen, im Sport nur mehr die Gefahr. Das war schrecklich, weil ich bis dahin nie Angst gehabt habe und auf einmal hatte ich vor allem Angst. Nach zwei Jahren habe ich verstanden, dass ich nicht immer nur tun, tun, tun kann. Ich muss auch einmal Stopp sagen. Die Leute haben mir einen ungeheuren Druck gemacht in der Zeit, man wollte mich wieder auf einem Gipfel sehen. Ich habe wieder angefangen zu trainieren und nach zwei Wochen hatte ich so heftige Kreuzschmerzen, dass ich mir nicht mehr das Gesicht waschen konnte. Warum? Weil ich das getan habe, was die anderen von mir wollten und nicht was ich wollte. Eine psychosomatische Reaktion, ganz sicher. Als ich mich halbwegs gefangen habe, ist gleich das nächste passiert: Bänderriss am Fuß. Und das nicht nur einmal, sondern zweimal. Erst seit kurzem gehe ich wieder eisklettern, was davor nicht mehr möglich war. Ich habe mir in die Hosen gemacht, hatte ständig Angst, zu sterben.  Ein großer, freier Mensch war für mich immer einer, der sein Kinderherz nicht verloren hat. In der Zeit nach dem K2 war das Kind in mir gestorben, die kindliche Unbeschwertheit war weg. So langsam, langsam kommt das Kind in mir wieder zurück. Herrlich.

Achttausender?

Achttausender habe ich mir momentan keine vorgenommen, was auch mit der Situation in den Basislagern zu tun hat. Das ist ein Bergsteigen, das mit meinen Werten nichts mehr zu tun hat. Die Basislager sind Müllhalden nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“, es herrschen ein grausiger Neid und Eifersucht, Streitereien, Schlägereien, mit Steigeisen treten sie aufeinander ein, es geht zu wie im Narrenhaus. Es geht nur mehr um Rekorde, der Berg ist nur mehr Hintergrund für die Instagramer. Das tut mir im Herz weh. Achttausender sind die Königsdisziplin, aber wie ich das in Zukunft bewerkstelligen soll, weiß ich noch nicht. Die Medizin habe ich noch nicht.

Interview: Heinrich Schwazer

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