Die Rute im Fenster
Mit einer noch nie dagewesenen Klagewelle wollen die Freunde im Edelweiß den öffentlich-rechtlichen Sender Rai Südtirol einschüchtern – und die kritischen Medien mundtot machen.
von Artur Oberhofer
Es war am 29. März vergangenen Jahres, als Heidy Kessler das tat, was die Chefredakteurin eines öffentlich-rechtlichen Senders tun sollte, ja tun muss: Zehn Tage nach dem Erscheinen des Enthüllungsbuches „Freunde im Edelweiß“ versuchte die Chefredakteurin von Rai Südtirol ihrem Auftrag der medialen Grundversorgung und der umfassenden Berichterstattung gerecht zu werden. Heidy Kessler ordnete den Skandal (gesellschafts-)politisch ein.
Hätte sie das bloß nie getan!
In einer noch nie gewesenen Art und Weise versucht nun einer der Protagonisten des „Freunde im Edelweiß“-Skandals, Thomas Widmann, dem öffentlich-rechtlichen Sender einen Maulkorb umzuhängen.
Mehr noch: Mit diesem Präzedenzfall wollen bestimmte Kräfte im Edelweiß Rai Südtirol die Rute ins Fenster stellen.
Was ist passiert? Was hat Heidy Kessler verbrochen?
Am 29. März 2020 hat die Chefredakteurin von Rai Südtirol einen Kommentar veröffentlicht. Der Anlass war die gemeinsame Pressekonferenz von SVP-Chef Philipp Achammer und Landeshauptmann Arno Kompatscher vom Vortag.
Bei dieser PK wurden die Rücktritte von Thomas Widmann, Christoph Perathoner und Karl Zeller gefordert.
„Die einzig saubere Lösung wäre es wohl, den SAD-Skandal aufzuarbeiten und aufzuklären und danach oder zumindest getrennt davon die Tätigkeiten von Karl Zeller. So liegt die Lesart nahe, dass SVP-Vizeobmann Zeller gehen muss, weil Landesrat Widmann gehen muss, dem Landeshauptmann Kompatscher gestern das Vertrauen entzog. Muss der Athesia-Freund Widmann gehen, so muss es auch der zum Athesia-Feind mutierte Zeller. Die Vermischung verschiedener Vorgänge und Vorwürfe dient dabei hauptsächlich der Verschleierung. Der Verschleierung, dass Thomas Widmann und Christoph Perathoner gehen müssen, weil sich die beiden Mandatare mit zweifelhaften Akteuren darüber austauschten, wie man den Landeshauptmann absetzen und einem Privatunternehmen Gewinne zuschanzen kann.“
Durch diesen Kommentar der Rai Südtirol-Chefredakteurin fühlt sich der einst mächtigste Netzwerker und schließlich über den „Freunde im Edelweiß“-Skandal gestürzte Ex-Landesrat Thomas Widmann verleumdet.
Über die Anwaltskanzlei Gerhard Brandstätter willt Widmann einen Zivilprozess anstrengen– wegen „schwerwiegender übler Nachrede“.
Noch befindet man sich in der Schlichtungsphase.
Die Berichterstattung von Rai Südtirol und der Kessler-Kommentar seien „markant einseitig“ gewesen.
Widmann klagt auf 250.000 Euro Schadenersatz.
Ob Thomas Widmann die Viertelmillion bekommt, darf bezweifelt werden.
Journalisten von Rai Südtirol sprechen – hinter vorgehaltener Hand – von einem eklatanten Versuch, die JournalistInnen des öffentlich-rechtlichen Senders einzuschüchtern.
Wie begründet Thomas Widmann bzw. dessen Rechtsvertreter diese Zivilklage?
Der Ton im Kessler-Kommentar, so heißt es in der Klageschrift, sei „abschätzig“ gewesen, Thomas Widmann sei in die Nähe einer Straftat gerückt worden.
Und da der Kommentar auch im benachbarten Ausland eine große Resonanz hatte, sei Widmanns Karriere als Politiker ruiniert worden.
Dass sich Thomas Widmann mit seinem unsäglichen Sager über den „schlechtesten Landeshauptmann aller Zeiten“ selbst das politische Grab geschaufelt hat, wird in der Klage natürlich nicht erwähnt.
Die Botschaft, die hinter dieser Zivilklage steht, ist klar:
Rai Südtirol hätte über das Enthüllungsbuch „Freunde im Edelweiß“ nicht berichten, es totschweigen sollen.
Alles sollte wieder so fein, so nett und schön und gemütlich sein wie früher, als der gemächliche „Staatsfunk“ und das übermächtige Medienhaus Athesia all das, was in Südtirol nicht sein sollte und nicht sein durfte, einfach unterdrückt, verschwiegen haben.
Zum Leidwesen der Freunde im Edelweiß hat sich die jüngere Generation der „Staatsfunker“ in der Zwischenzeit emanzipiert und entdeckt, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender nicht nach oben schleimen und nach unten treten muss.
Rai Südtirol ist nicht mehr ein SVP-Wunschkonzert.
Doch es gibt nicht nur die Klage des SVP-Landtagsabgeordneten Thomas Widmann gegen Rai Südtirol.
Offenbar weil die Freunde im Edelweiß im Wahljahr 2023 neue Enthüllungen fürchten, haben sie auch einen Generalangriff auf die „alternativen“ Medien gestartet, die teilweise unterhalb der Wahrnehmungsgrenze operieren und/oder die nicht der (schein-)heiligen Allianz SVP-Athesia zugerechnet werden können.
Am 30. September vergangenen Jahres haben der ehemalige SVP-Bezirksobmann in Bozen Christoph Perathoner, Thomas Widmann, die ehemalige SVP-Vizeobfrau Angelika Wiedmer und Senator Meinhard Durnwalder eine Eingabe bei der staatlichen Datenschutzbehörde hinterlegt.
Das Edelweiß-Quartett beanstandet die Verletzung ihrer Privacy durch die Veröffentlichung der Abhörprotokolle aus dem SAD-Skandal.
Die Eingabe ist nicht nur gegen die Autoren des Enthüllungsbuches „Freunde im Edelweiß“, Christoph Franceschini und den Autor dieser Zeilen, gerichtet, sondern auch gegen das Nachrichtenportal „Salto.bz“, die TAGESZEITUNG, „Südtirol heute“, Rai Südtirol und gegen das Wochenblatt „ff“.
In einer 76 Seiten starken „Anklage“ behauptet ein Veroneser Anwalt, dass die genannten Medien einen entscheidenden Beitrag zur Verbreitung der Audio-Dateien geleistet hätten.
Mit anderen Worten:
Die Menschen in Südtirol hätten nicht erfahren dürfen, dass eine Clique innerhalb der Südtiroler Volkspartei, in der bezeichnenderweise der Alt-Landeshauptmann mitmischte, den amtierenden Landeshauptmann stürzen und einem befreundeten Unternehmer einen (öffentlichen) Milliarden-Auftrag zuschanzen bzw. ihm dabei helfen wollten.
Den Freunden im Edelweiß geht es aber nicht um die Privacy. Ihnen geht es darum, missliebigen Medien einen Maulkorb zu verpassen.
Die Gerichte werden entscheiden, ob Südtirol ein kleines Ungarn wird.
PS:
Wenn es nach Thomas Widmann geht, hätten wir auch den drittletzten Absatz in diesem Artikel nicht schreiben dürfen.
Wir lassen uns aber nicht den Mund verbieten.
Nach dem Erscheinen des Artikels in der Print-Ausgabe hat uns die Kanzlei Brandstätter folgende Gegendarstellung zukommen lassen, die wir auch den LeserInnen, die uns online verfolgen, nicht vorenthalten wollen …
In der Ausgabe der Neuen Südtiroler Tageszeitung vom 25. Jänner 2023, erschien auf Seite 7 ein ganzseitiger Artikel unter dem Titel „Die Rute im Fenster“
Darin berichtet Herr Oberhofer, Thomas Widmann habe einen Zivilprozess gegen die Chefredakteurin von RAI Südtirol Heidy Kessler angestrengt. Es gehe in diesem Prozess um deren Kommentar vom 29. März 2022. Mit dieser Klage und einer Eingabe bei der nationalen Datenschutzbehörde gegen die Veröffentlichung der Abhörprotokolle aus den Ermittlungen im Zusammenhang mit der Annullierung der Ausschreibung des Öffentlichen Personennahverkehrs ÖPNV, versuche Thomas Widmann, in Abstimmung mit den anderen Betroffenen der Veröffentlichung, kritische Medien mundtot zu machen.
Diese Darstellung ist völlig verzerrt und Thomas Widmann hat auch noch keinen Zivilprozess gegen Frau Kessler eingeleitet.
Es geht aber Herrn Widmann hier um den zusammenfassenden Kommentar des Autors im vorletzten Absatz.
Dort heißt es: „mit anderen Worten: Die Menschen in Südtirol hätten nicht erfahren dürfen, dass eine Clique innerhalb der Südtiroler Volkspartei in der bezeichnenderweise der Alt-Landeshauptmann mitmischte den amtierenden Landeshauptmann stürzen und einem befreundeten Unternehmer einen (öffentlichen) Milliardenauftrag zuschanzen wollten.“
Thomas Widmann habe also -s o Artur Oberhofer- zusammen mit anderen versucht eine „milliardenschwere“ öffentliche Ausschreibung mit unlauteren Mitteln („zuschanzen“) zu beeinflussen.
Damit rückt ihn der Autor zumindest in die Nähe des Versuchs der Straftat der Störung oder Beeinflussung einer öffentlichen Ausschreibung (Art. 353 und 353 bis StGB).
In Wahrheit stand Thomas Widmann im Rahmen der Ermittlungen über die Vorgänge bei der Annullierung der Ausschreibung des ÖPNV selbst nie unter Ermittlung und wurde nicht einmal als Auskunftsperson angehört. Er war somit gegenüber den Ermittlungen ein völlig unbeteiligter Dritter.
Die Ermittlungen führten zur Anklageerhebung gegen den für die Ausschreibung zuständigen Direktor der Abteilung Mobilität und einen Kastelruther Busunternehmer.
Thomas Widmann hatte mit dem Verfahren für die Vergabe des ÖPNV nichts zu tun
Aus dem Inhalt der abgehörten Gespräche lässt sich in keiner Weise der Versuch einer Einflussnahme ableiten.
Mit seinem Kommentar verdreht der Autor in schwer rufschädigender Weise die Tatsachen.
Weitere rechtliche Schritte behält sich mein Mandant ausdrücklich vor.
RA Andreas Widmann (Kanzlei Brandstätter)
Kommentare (13)
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