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Die No-Vax-Fraktion

Ein bis zwei Mandate? Oder gar 15 Prozent? Politische Beobachter sind sich uneins, wie groß das Potential der No-Vax- und der Impfkritiker-Szene bei den nächsten Landtagswahlen wirklich ist. Eine Analyse.

von Artur Oberhofer

In einem Punkt sind sich die politischen Beobachter einig: Die Stimmen aus der No-Vax-Szene und das Wahlverhalten der sogenannte Coronamaßnahmen- und Impfkritiker könnten bei den Landtagswahlen im Herbst 2023 ein nicht zu unterschätzender Faktor sein.

Andreas Pöder, der langjährige Oppositionspolitiker, sieht das Stimmenpotential der No-Vax-Gemeinde und deren Alliierten „im Optimalfall bei mindestens 15 Prozent.“

Der Bozner Meinungsforscher Herman Atz legt die Latte viel tiefer.

Fix scheint: Die Stimmen aus dem vielschichtigen und inhomogenen Lager der Coronapolitik-Gegner und -Kritiker könnten bei den Wahlen 2023 durchaus zu Kräfteverschiebungen führen. Die große Frage ist: In wessen Teich fischt die No-Vax-Bewegung?

Andreas Pöder selbst wird bei den Landtagswahlen im Herbst nicht antreten. „Ich habe keine Lust mehr“, sagt der Lananer Ex-Oppositionspolitiker, dem sogar politische Gegner bescheinigen, er sei ein „Eiertreter“ gewesen – was in der Politik ein großes Kompliment ist. „Ich habe mich privat jetzt gut eingelebt“, sagt Pöder, der sein Geld nun im Marketingbereich und in der Unternehmensberatung verdient.

Andreas Pöder glaubt, dass eine neue Partei ohne viel Anlauf „mindestens ein Voll- und ein Restmandat erringen“ könne, wenn sie imstande sei, die No-Vax-Klientel zu bedienen.

Im Herbst 2023 wird es aber wohl so sein, dass nicht nur eine, sondern mehrere Parteien um die Gunst der No-Vax-Szene buhlen werden, also dass sich das Lager zersplittert.

Ein Landespolitiker, der den Anspruch erhebt, das privilegierte Sprachrohr der No-Vax-Szene zu sein, ist Josef Unterholzner. Der Mann, der vor fünf Jahren als Wirtschafts-Tiger beim Team K gestartet und am Ende als Bettvorleger in der Enzian-Bude gelandet ist, will es im Herbst noch einmal wissen.

Zur TAGESZEITUNG sagt Josef Unterholzner: „Wenn nichts Abnormales passiert und wenn es mit der Gesundheit passt, dann werde ich wieder kandidieren.“ Corona werde nicht das Hauptthema, sondern „nur ein Nebenthema“ sein, sagt Unterholzner und fügt hinzu: „Wir wollen die Liste mit 35 Namen voll machen, es werden einige Überraschungen dabei sein, vielleicht auch Leute aus der SVP.“

Dass Andreas Colli, der ehemalige (SVP-)Bürgermeister von Kastelruth, auf seiner Liste antreten werde, sei „sehr wahrscheinlich“, sagt Josef Unterholzner.

Die Liste Unterholzner wird in erster Linie das nicht-urbane No-Vax-Publikum ansprechen wollen, als um die Deutungshoheit an Südtirols Stammtischen kämpfen.

Es ist kaum anzunehmen, dass es Josef Unterholzner gelingt, die bürgerliche Fraktion im No-Vax-Lager mit einer Renate Holzeisen oder mit einem Hannes Loacker zu integrieren. Zwischen diesen beiden Lagern stimmt – um beim Thema Impfungen zu bleiben – die Chemie nicht.

Eine weitere schillernde Figur im bunten No-Vax-Kosmos ist Jürgen Wirth Anderlan. Der ehemalige Landeskommandant des Schützenbundes ziert sich seit Wochen, endlich Tacheles zu reden und zu erklären, ob er kandidiert oder nicht.

Falls Jürgen Wirth Anderlan tatsächlich bei den Landtagswahlen antreten sollte, dann wäre – so glaubt zumindest der politische Beobachter Andreas Pöder – ein Engagement des Polit-Rappers bei der Süd-Tiroler Freiheit möglich. „Volkstumspolitisch würde Wirth Anderlan voll zur STF passen“, sagt Pöder und gibt lediglich zu bedenken, ob der ehemalige Schützen-Chef „sich integrieren kann“.

Die bis vor zwei Jahren ziemlich monothematisch aufgestellte Süd-Tiroler Freiheit hat in der Corona-Zeit ganz bewusst auch das No-Vax-Publikum bedient.

Andreas Pöder ist davon überzeugt, dass dieser Grenzgang der sonst keineswegs esoterisch angehauchten STF keine Stimmen kosten, sondern Stimmen bringen werde. Pöder ist auch sicher: „Wenn Anderlan für die STF kandidiert, dann wird er gewählt.“ Deswegen könnte es sein, dass parteiintern Widerstand gegen die Option Wirth Anderlan aufkommt. Denn eine Myriam Atz Tammerle will ihren Sitz im Hohen Haus verteidigen. Und aus dem Pustertal hat der ehemalige Landtagsabgeordneten Bernhard Zimmerhofer klar zu erkennen zu geben, dass es er es noch einmal wissen will.

Jürgen Wirth Anderlan

Was sagt Sven Knoll, der Partei-Chef?

Die STF, so Knoll, werde mit ihrer Politik so weiter machen wie bisher. „In unserem Namen steht das Wort Freiheit, das beinhaltet auch die persönliche Freiheit, wir wollen den Menschen die Entscheidung überlassen, wie sie leben wollen und ob sie sich impfen lassen, die Selbstbestimmung zieht sich bei uns wie ein roter Faden durch alle Lebensbereiche.“

So wie die SVP geht auch die STF am 4. Februar in Klausur.

Bei dieser Klausur, bestätigt Sven Knoll, „wird über Kandidaten gesprochen“. Auch über den Kandidaten Jürgen Wirth Anderlan? Wir, sagt Knoll, „werden in der Klausur klären, ob der Wunsch besteht, auch externe Kandidaten aufzustellen.“

Was sagt Jürgen Wirth Anderlan selbst?

Er hält es mit Franz Beckenbauer, sagt: „Schau mer mal.“

Der Ex-Schützen-Chef gibt allerdings zu bedenken, dass er im Falle einer Verurteilung im Corona-Spaziergang-Verfahren oder im Verleumdungsprozess, den Landtagspräsidentin Rita Mattei gegen ihn angestrengt hat, eh nicht kandidieren könne. „In dem Fall sitze ich im Herbst vielleicht hinter schwedischen Gardinen“, sagt Wirth Anderlan und lacht.

Auch die Freiheitlichen haben mit ihrem Parteiobmann Andreas Leiter Reber insbesondere in der letzten Corona-Phase versucht, dem No-Vax-Publikum zuzuwinkern.

Anwältin Renate Holzeisen

Ob diese schüchterne Charme-Offensive aber ausreicht, um ­­– wie die STF – die volkstumspolitisch konnotierte Szene der Coronapolitik-Gegner anzusprechen, bleibt abzuwarten. „Ich denke, dass die Kritiker der Corona-Politik eher zu jenen Parteien oder Listen tendieren, die mehr zu bieten haben als die Freiheitlichen“, sagt etwa Andreas Pöder.

Viel hängt auch davon ob, inwieweit Corona im Herbst noch ein Thema ist.

Sollte dem Corona-Ballon die Luft entweichen, wäre das für die Grünen von Vorteil. Brigitte Foppa & Co. hatten das Pech, dass die Corona-Krise die Klimakrise überlappt hat.

Der staatstragende Kurs der Grünen in Sachen Corona könnte die Foppa-Partei an der esoterisch-mystischen Front Stimmen kosten. Allgemein kommt hinzu: Die Grünen sind historisch eine Partei, die nicht Protestwähler anzieht.

Stand jetzt wäre es für die Grünen wohl ein Erfolg, ihren derzeitigen Mandatsstand zu halten, wobei es auch in dieser Partei zu einem Ranggeln kommen könnte. Denn Riccardo Dello Sbarba will noch einmal antreten, dasselbe gilt für Hanspeter Staffler. Und im Hintergrund lauern Madeleine Rohrer und Felix von Wohlgemuth auf ihre große Chance.

Die Grünen können im Hinblick auf die Landtagswahlen nur hoffen, dass das Thema Corona bis dahin für möglichst viele Menschen vom Tisch ist.

Paul Köllensperger

Die Partei, die mit dem sanften Hinauskomplimentieren von Renate Holzeisen zumindest mit dem fundamentalistischen Kern der No-Vax-Szene gebrochen hat, ist das Team K. „Bei den letzten Wahlen haben Köllensperger und sein Team viele Stimmen aus dieser Szene, die später zur No-Vax-Szene wurde, bekommen“, analysiert Andreas Pöder und geht davon aus, „dass das Team K, das sich mit der Zeit doch recht klar von dieser Szene abgegrenzt hat, diesmal nicht profitieren wird“.

Zwar hat Franz Ploner, der Polit-Doktor im Team K, immer wieder versucht, sich als Schatten-Landesrat und als dritter Anit-Covid-Einsatzleiter zu positionieren. Aber irgendwie war die Corona-Politik des Team K nicht Fisch und nicht Fleisch.

Der Wahlerfolg des No-Vax-Lagers wird also davon abhängen, ob es gelingt, eine gemeinsame Plattform zu finden.

Noch ist beispielsweise unklar, was Renate Holzeisen und Hannes Loacker machen werden. Andreas Pöder sähe in Hannes Loacker jenen Kandidaten, der „beim bürgerlichen Teil der Bevölkerung am ehesten ankommen könnte, weil er einen bürgerlichen Touch“ habe.

Genauso wie Renate Holzeisen war Hannes Loacker für keine Stellungnahme zu erreichen.

Der Bozner Meinungsforscher Hermann Atz schätzt das Potential der No-Vax-Bewegung nicht so hoch ein wie der Ex-Politiker Andreas Pöder.

Atz verweist auf die letzte Umfrage, die sein Apollis-Institut für die „Südtiroler Wirtschaftszeitung“ durchgeführt hat. Da hätten die Bewegungen Enzian/Vita bei drei Prozent gelegen – mit mindestens einem Prozentpunkt Schwankungsbreite. „Das halte ich für realistisch“, sagt Hermann Atz gegenüber der TAGESZEITUNG.

Der Höhenflug von Vita bei den Parlamentswahlen im Herbst hänge wohl damit zusammen, dass viele SüdtirolerInnen diese Wahl als nicht so wichtig empfunden hätten, sondern eher als eine Möglichkeit, Dampf abzulassen gegen das sogenannte Establishment.

Atz weiter: „Aber wenn es den Exponenten der No-Vax-Szene gelingt, noch andere Themen zu spielen und damit auch bei den Landtagswahlen Proteststimmen zu sammeln, dann halte ich einen Achtungserfolg von bis zu 5 Prozent für möglich.“

Das wären zwei Mandate.

 

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