Zwei Buben
Kino kann zu Tränen rühren. Das geschieht für viele derzeit bei „Close“, dem Film des Belgiers Lukas Dhont, der auf der Oscar-Shortlist 2023 steht.
von Renate Mumelter
Leo und Rémi sind beste Freunde. Sie gehen gemeinsam zur Schule und verbringen ihre Freizeit zusammen. Nicht selten kommt es vor, dass der eine beim anderen übernachtet, und entsprechend eng ist die Verbindung zwischen den Buben und deren Eltern.
Doch dann kommt die Pubertät und es kommt die neue Schule, und da wird alles schwieriger, denn eine enge Freundschaft zwischen zwei Buben wird schief angesehen. Erstmals sehen sich die beiden mit der kruden Frage konfrontiert, ob sie „zusammen“ sind. „Zusammen“ sind sie aber nicht. Aber alle Beteuerungen helfen nichts, sie sind dem negativ besetzten Verdacht ausgesetzt, schwul zu sein. Dasselbe passiert mit dem Film selbst. Der wird nämlich ganz unterschiedlich rezipiert. In bestimmten Besprechungen ist von Homosexualität die Rede, obwohl eine solche nicht erzählt wird. Erzählt wird vielmehr das, was viele Buben in dem Alter erleben, wenn sie es ausleben dürfen: enge Freundschaft und Körperlichkeit. Die äußert sich dann in Balgereien zum Kräftemessen zum Beispiel. Wer sich das nicht traut, schwenkt auf Sport um. Sportlichkeit ist eine allgemein akzeptierte Körperlichkeit. Leo wählt das Hockey. Das macht Spaß und bringt Anerkennung. Rémi der zurückhaltendere von beiden muss schauen, wie er mit dieser neuen Situation umgeht. Und weil die Buben keine Möglichkeit haben, ihre Entwicklung in Worte zu fassen, kommt es zu traurigen Konsequenzen.
Spätestens da kommen bei einigen im Publikum die Tränen. Rührung ist übrigens keineswegs negativ, schluchzen im Kino darf sein. Im letzten Drittel der Geschichte geht es dann um Schuldgefühle und wie damit umgegangen wird. Dieses Drittel flattert etwas dahin, geht von Reaktionen aus, die ich persönlich als Bubenmutter nicht so nachvollziehen kann.
Die Kamera bleibt in „Close“ immer eng auf den Protagonisten, Umfeld gibt es so gut wie keines abgesehen von den blühenden Blumenfeldern und dem verdorrten Gras vor Rémis Elternhaus.
„Close“ bekam den Großen Preis der Jury in Cannes und ist jetzt für Belgien auf der Shortlist für die Oscars. Für Frankreich steht übrigens „Saint Omer“ drauf, für Österreich „Corsage“.
Oskars Kleid
Während „Close“ eine Freundschaft erzählt und keine queere Geschichte, ist das bei „Oskars Kleid“ anders. Da geht es um einen Buben, der ein Mädchen sein will. Verpackt ist die Story in viel Klamauk mit unausdenkbaren Zutaten, die da wären: Eltern getrennt, Mutter von ihrem neuen Partner (Ausländer) hochschwanger mit Zwillingen und immer wieder in Wehen, Vater Polizist im Schichtdienst und Alkoholiker, der um das Sorgerecht für die Kinder kämpft und der natürlich mit Oskars Kleid gar nicht umgehen kann, Eltern des Vaters sehr bewusst jüdisch. Durch die Wehen der Frau und den Sorgerechtsstreit wird der Vater alleinerziehend und deponiert die Kinder, wo es gerade geht, auch im eigenen Schichtdienst, und dazwischen setzt er sich mit Oskars Lilli-Sein auseinander. Soviel Zufälle würde keine Wirklichkeit aushalten, vor allem würden sie in der Wirklichkeit nicht zu jenem Happyend führen, das der Film erzählt. Zum immer aktueller werdenden Thema Transgender oder auch nicht wäre etwas Fundierteres klüger.
Und weil wir grad bei Kleidern sind: ich empfehle weiterhin „Anima – Die Kleider meines Vaters“ von Uli Decker. Dieser aufschlussreiche und spannende Film war in Bozen leider nur ein Mal zu sehen.
Ein Kuriosum: Derzeit läuft im Filmclub zweimal dieselbe Geschichte einmal in französischer, einmal in italienischer Machart: „Ein Triumph“ und „Grazie ragazzi“. Immer geht es um „Warten auf Godot“ im Knast.
Filmtipp: Nur heute und zwar schon um 10.30 Uhr mit Frühstück ab 9 „Außer Atem“ von Jean Luc Godard bei der Filmclub-Matinee.
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