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Die Hütte brennt

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Unter den Südtiroler Milchbauern brodelt es. Ein Stimmungsbericht aus dem Vereinshaus Völlan, wohin die neu gegründete Gruppe „Zukunft Südtiroler Bergmilch“ zu ihrem ersten öffentlichen Auftritt geladen hat.

von Karin Gamper

Eine solche Menschenansammlung hat das Vereinshaus Völlan selten gesehen.

Rund 500 Milchbauern aus ganz Südtirol strömten am vergangenen in den Versammlungssaal, um ihren Unmut kundzutun, vor allem aber, um sich die Frage zu stellen: „Wia geats weiter?“.

Es ist dies das Motto, welches die neu gegründete Gruppe „Zukunft Südtiroler Bergmilch“ (ZSB) für ihre erste Informationsveranstaltung gewählt hat.

DIE NEUE GRUPPE

Wer steht hinter „Zukunft Südtiroler Bergmilch“? Der Arbeitskreis wurde im Frühsommer aus Sorge um den Milchpreisverfall bei steigenden Energie-, Futter- und Treibstoffkosten von vier Milchbauern und einer Tierärztin aus der Taufe gehoben: Roland Reiterer, Alois Pöhl, Michael Geiser, Josef Lang sowie Marianna Frena, die im April mit einer zigfach geteilten Petition für Aufmerksamkeit und lebhafte Diskussionen gesorgt hat.

„KEINE ABSPALTUNG GEPLANT“

Die ZSB-Gruppe räumte gleich zu Beginn der Veranstaltung mit einem Gerücht auf. „Wir planen weder die Gründung eines alternativen Bauernbundes noch wollen wir Polemiken schüren. Uns geht es darum, auf den schweren Stand der Milchbauern aufmerksam zu machen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen“, betonten die Mitglieder. Auch politisch gebe es im Hinblick auf die Landtagswahlen 2023 keinerlei Ambitionen.

DIE ZIELE

Was bezweckt die Arbeitsgruppe? Zu ihren Zielen gehören u.a. die Förderung des Respekts vor der Bergbauernwirtschaft, die bessere Zusammenarbeit mit Politik, Bauernbund, Tourismus und Milchhöfen, die Vollkostenabdeckung bei der Milchproduktion, der „grüne Euro“ (Abgabe des Tourismus an die Bergbauern für die geleistete Landschaftspflege ), mehr Kooperation und weniger Konkurrenzdenken unter den Milchhöfen sowie die Reduzierung der Akontozahlungen auf ein Minimum. „Es braucht eine regelmäßige monatliche Auszahlung, weil ansonsten viele Milchbauern ihre laufenden Ausgaben und Rechnungen nicht mehr bezahlen können“, hieß es.

KEINE ALMOSENEMPFÄNGER

Die Milchbauern wollen, so hieß es am Montag, von ihrer Arbeit leben können und nicht zu Almosenempfängern degradiert werden. Wer 365 Tage im Jahr 2 mal täglich im Stall stehe, verdiene sich einen Lohn, mit dem er sich und seiner Familie das Überleben sichern kann. Dies sei immer weniger der Fall. Ohne Nebenerwerb könnten sich viele Milchbetriebe schon lange nicht mehr halten. Der Tenor: Südtirols Bergbauernhöfe laufen ernsthaft Gefahr aufgegeben zu werden, weil sich die Jugend den Aufwand nicht mehr antun will. Sauer aufgestoßen ist den Milchbauern die Polemik nach dem Erhalt der 300 Euro-Prämie pro Kuh, die laut ZSB völlig falsch kommuniziert wurde und deshalb bei der restlichen Bevölkerung auf komplettes Unverständnis stieß.

DIE MILCHPREISE

Der Bauernstand ist die am stärksten subventionierte Gesellschaftsschicht Südtirols. Während es die Apfelbarone im Talboden zu Wohlstand gebracht haben, scheint dieser bei den Bergbauern nicht angekommen zu sein. Sie verweisen auf die niedrigen Milchpreise, die derzeit bei 60 Cent/l inklusive 10 Prozent MwSt. liegen. Die Forderung: Um angemessen wirtschaften zu können, braucht es mindestens 80 Cent/l, im Biobereich 1 Euro/l. Wie man das schaffen kann, zeigten die drei geladenen Referenten auf.

DIE REFERENTEN

Für Hans Volldenauer vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter ist die dauerhafte Verringerung der Anliefermenge der Königsweg. Diese hat in Deutschland zu einer deutlichen Erhöhung der Auszahlungspreise geführt. „Das Ganze steht jedoch auf tönernen Füßen“, meinte er. Weil seit einem halben Jahr erneut mehr Milch angeliefert werde, sinken die Auszahlungspreise bereits wieder. Volldenauer rief die Bauern dazu auf, die „Politik- und Molkereigläubigkeit“ abzulegen und ihre Interessen mit Lobbyarbeit, Sensibilisierungskampagnen und Öffentlichkeitsarbeit voranzutreiben. Martin Haab, Schweizer Milchbauer und Nationalratsmitglied, sprach über die Bildung von Branchenorganisationen und riet zur Sensibilisierung für regionale Produkte. „Sie sind das neue Bio“, meinte er.

Um den Kostenfaktor ging es beim Referat von Matthias Gauly (Freie Universität Bozen). Er zeigte auf, wie ein Milchbetrieb den Gewinn steigern kann, indem er beispielsweise die „Kostenfresser“ Arbeit, Futter und Abschreibungen für Bauten und Gerätschaften reduziert.

DIE DISKUSSIONSRUNDE

Scharfe Kritik aus dem Publikum kam bei der abschließenden Diskussionsrunde in Richtung Politik („viel Gerede und keine Taten“), Milchhöfe und Sennereiverband, der mit Direktorin Annemarie Kaser und Georg Egger (Obmann Milchhof Meran) vertreten war. Die Palette reichte von der Forderung nach mehr Kooperation mit Kostenreduzierung unter den Milchhöfen bis hin zur Kritik an den Milchzukäufen aus Italien und der Belieferung großer öffentlicher Strukturen wie Krankenhäuser und Altenheime mit Milchprodukten aus anderen Regionen.

DIE ABWESENDEN

Die Hütte brennt also, aber die geladenen Adressaten der Kritik ließen sich am Montagabend entschuldigen. Agrarlandesrat Arnold Schuler, SBB-Obmann Leo Tiefenthaler und SBB-Direktor Siegfried Rinner sind ebenso wenig erschienen wie SVP-Bauernexponent Sepp Noggler und der Bergbauernsprecher im SBB Alberich Hofer. Auch die Obmänner und Geschäftsführer der Milchgenossenschaften blieben der Veranstaltung fern. Franz Locher fand als einziger SVP-Bauernmandatar den Weg nach Völlan, ansonsten war der Landtag mit Oppositionspolitikern vertreten: Peter Faistnauer (Perspektiven für Südtirol), F-Obmann Andreas Leiter Reber und Josef Unterholzner (Enzian). Mit im Publikum saß auch der Malser Team-K-Exponent Markus Hafner. Er war als langjähriger Übersetzer beim European Milk Board (EMB) in Brüssel bei der Referentensuche behilflich.

Um Mitternacht wurde die Veranstaltung schließlich beendet.

Das Fazit nach vier Stunden Versammlung: Große Frustration, aber auch Aufbruchsstimmung. „Zukunft Südtiroler Bergmilch“ wird weiterhin von sich hören lassen.

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