Abtreibung
„Call Jane“ von Phyllis Nagy erzählt von Chicago 1968, den Frauen und von jenen Gesetzen, die Abtreibung sogar bei Gesundheitsgefahr unmöglich machten.
von Renate Mumelter
Call Jane
steht auf einem Zettel am Laternenpfahl, Telefonnummer inklusive. Auf diesen Zettel trifft Joy, die schwangere Gattin eines Anwalts. Sie muss abtreiben, weil ihre Gesundheit auf dem Spiel steht, aber die rauchende Patriarchen-Kommission verweigert ihr die Erlaubnis. Joy sucht Wege zur Selbsthilfe und trifft nach mehreren Fehlschlägen auf den Laternenpfahl. Sie landet in einer feministischen Frauengruppe, die Abtreibungen unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen professionell möglich macht. Für Joy ist das eine vollkommen fremde Welt. Rasch versteht sie, dass „Jane“ eine wichtige Initiative ist und krempelt einen Teil ihres Lebens mutig um. (Mehr Spoiler darf nicht sein).
Phyllis Nagy ist ein spannender und aufrüttelnder Film mit Kinobildern gelungen. Er erzählt gut gespielt (Elizabeth Banks, Sigourney Weaver) und ohne Gier auf Spektakuläres, wie es zur Gerichtsentscheidung von 1973 kam, wie Patriarchat 1968 funktionierte und wie bieder die Gesellschaft war. In Südtirol war es nicht anders. In Chicago wurde das Verbot 1973 von der Supreme Court als verfassungswidrig erklärt. Diese Maßnahme galt bis zum 24. Juni 2022, dann wurde sie vom Obersten Gericht aufgehoben. Jetzt können sich Bundesstaaten wieder dagegen aussprechen.
„Call Jane“ beruht auf wahren Begebenheiten. Heather Booth hieß die Frau, die es mit dem „Jane Collective“ und mit der Klägerin Norma McCorvey schaffte, das Verbot in den USA bis 2022 zu kippen. In Europa hatten Feministinnen die Frauen in Frankreich und Italien das Anliegen vorangebracht, u.a. Alice Schwarzer. In Italien ist in diesem Kontext auch die Beratungsstelle AIED entstanden, die heute noch wertvolle Arbeit leistet.
Südtirol 1973: Anfang der 1970er Jahre gab es nur schräge Möglichkeiten abzutreiben. Alle waren alle mit großen Risiken verbunden, gesetzlichen, gesundheitlichen und psychischen. Die Aufklärung war dürftig und der Zugriff zur Pille nicht selbstverständlich. Damals war ich 19 Jahre alt und kannte die Situation, denn „es“ passierte auch jungen Frauen. Für Frauen aus einem gehobenen Kontext gab es Frauenärzte, die solche „Fehlgeburten“ arrangierten, erzählten wir uns. Dann gab es Engelmacherinnen inklusive Schmerzen, Sepsis- und Blutungsgefahr, keine Option also. In Bozen gab es einen Arzt, der „es“ machte, soviel ich weiß. Die sauberste Variante aber auch die teuerste war eine Reise nach London oder nach Holland. Dort gab es bereits Abtreibungskliniken. Die funktionierten gut. Dorthin zu kommen war logistisch nicht einfach.
Wer gar nicht weiter wusste, versuchte es mit Treppenstürzen, Bergtouren, heißen Bädern, Stricknadeln. Erst 1978 erlaubte das Gesetz 194 Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Voraussetzungen, eine Wohltat. Es ist heute noch gültig – noch. Unterwandert wird und wurde die legale Möglichkeit vom Verweigerungsrecht für das Sanitätspersonal.
Empfehlungen
Hallelujah: Leonard Cohen hat in diesen Tagen natürlich auch noch Platz. Am Beispiel des Weltsongs wird die Biografie Cohens erzählt und wie es dazu kam, dass die bekannteste Hallelujah-Version nicht jene von Cohen ist sondern jene von Jeff Buckley. Die Columbia hatte den Song ursprünglich nicht gewollt.
Pasolini: kommt mit seinem bekanntesten Spielfilm „Teorema“ (1968). Jean Renoir sagte darüber: „L’oscenità non arrivava dal sesso ma dalla sincerità con la quale raccontava l’ippocrisia borghese.“
Ähnliche Artikel
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.