„Von oben bestimmt“
Fachleute schlagen Alarm: Im letzten Schuljahr wurden an Südtirols Schulen noch 90 Projekte zum Thema „Sexualerziehung“ finanziert, heuer sind es nur mehr 40.
von Artur Oberhofer
Hubert Fischer bedauert die Entscheidung der Verantwortlichen. „Es ist schade und völlig unverständlich, dass sexuelle Bildung an vielen Südtiroler Schulen im laufenden Schuljahr nicht mehr stattfinden kann“, so der Vorsitzende der Plattform Sexualpädagogik Südtirol.
Der Hintergrund: Die finanziellen Mittel für sexualpädagogische Projekte an Südtirols Schulen wurden drastisch gekürzt. Hubert Fischer hält sich mit Schuldzuweisungen vornehm zurück, nennt dann aber doch Ross und Reiter „Das Ganze ist von oben bestimmt, sprich: von der Politik.“ Einerseits wolle die Politik Geld sparen, andererseits, so vermutet Hubert Fischer, „wird offenbar die Notwendigkeit der sexualpädagogischen Projekte an Schulen nicht gesehen.“
Fischer und seine Plattform Sexualpädagogik Südtirol haben die Entscheidung „mit Verwunderung und Unverständnis“ zur Kenntnis genommen. Dabei seien die Rückmeldungen von Seiten des Lehrpersonals, der SchülerInnen und der Eltern durchwegs positiv gewesen. Auch seien die Nachfragen nach ganzheitlichen sexualpädagogischen Projekten zuletzt steigend gewesen, so Fischer.
Wie sind diese Projekte konkret abgelaufen?
In der Grundschule – und zwar in den vierten und fünften Klassen – gab es bislang Projekte die auf insgesamt 16 Stunden pro Jahr angelegt waren. Acht Stunden mit einem männlichen Sexualpädagogen, weitere acht mit einer weiblichen Expertin, wobei die Schulen aus einem Referenten-Pool, der das ganze Land abgedeckt hat, wählen konnten.
Diese externen Experten zogen nicht nur die sexualpädagogischen Projekte an den Schulen durch, sondern sie hielten auch Info-Veranstaltungen für Eltern sowie Reflexionseinheiten mit Lehrpersonen.
Nun wurden die Projektstunden an den Grund- und Mittelschulen drastisch reduziert, und es wird jeweils nur mehr eine externe Kraft hinzugezogen.
Die gesellschaftspolitische Trendwende in Zahlen: Im letzten Schuljahr wurden 90 Projekte zum Thema „Sexualerziehung“ an Südtirols Schulen finanziert, heuer sind es nur mehr 40. „Das ist schade“, sagt Hubert Fischer, „denn die Lehrpersonen haben ja andere Aufgaben auch noch.“
Hinzu komme: Nicht alle Lehrpersonen sehen sich darüber hinaus, mit ihren Kindern das delikate Thema Sexualerziehung anzugehen. „Lehrpersonen sagen uns selbst, dass sich Kinder und Jugendliche leichter täten, mit Experten von außen über diese sensiblen Themen zu reden, Experten von außen finden einen ganz anderen Zugang zu den SchülerInnen.“ Außerdem sei es zielführend, dass immer ein Mann und eine Frau in die Klassen komme, sagt Hubert Fischer.
Der Vorsitzende der Plattform Sexualpädagogik warnt: „Es ist längst bekannt, dass Länder, in denen es keine sexuelle Bildung in den Schulen gibt, mit einer Mehrzahl von ungewollten Teenagerschwangerschaften, sowie eine größere Verbreitung von sexuell übertragbaren Krankheiten aufweisen.“
Hubert Fischer gerät fast ins Schwärmen, wenn er über die Schulprojekte spricht: „Die SchülerInnen stellen so tolle, authentische Fragen, und sie bekommen dann von Fachleuten eine ehrliche Antwort.“
Auch im Umgang mit den sozialen Medien sei es heute wichtiger denn je, sexualpädagogisch relevante Themen, wie etwa die sexualisierte Gewalt anzusprechen. „Dadurch kann diese im besten Fall präventiv vorgebeugt oder als Solche erkannt und mögliche Umgangsweisen aufgezeigt werden“, so Hubert Fischer.
Mit den Projekten an den Schulen werde so indirekt auch Medienkompetenz vermittelt.
Die Plattform für Sexualpädagogik lanciert denn auch einen flammenden Appell an die Politik, die Sexualpädagogik an den Schulen stundenmäßig wieder hochzufahren: „Sexuelle Bildung ist enorm wichtig, denn aufgeklärte Kinder sind starke Kinder.“
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Kommentare (6)
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dn
Ein Thema für die Opposition, die ist aber mit Wahlkampf und billigem Theater beschäftigt.
dn
Der Vorwurf der Gender-Ideologie ist ziemlich stark. Welche Referenten sind dabei gemeint?
waldemar
Die Kinder und Jugendlichen haben ein Recht auf solche Informationen und es ist gut dass es Experten dafür gibt.