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„So letz isch die SVP net“

Hans Heiss

Der grüne Denker Hans Heiss glaubt nicht, dass 2023 in Südtirol die Revolution ausbricht. Die SVP werde immer auf einer CSU-Stärke bleiben – auch ohne Arno Kompatscher.

von Artur Oberhofer

Hans Heiss sitzt auf seinem Fahrrad, als die TAGESZEITUNG ihn telefonisch erreicht. Der ehemalige Grünen-Politiker ist vom Treten etwas außer Atem.

Ein Interview zu seinem Buch und zur politischen Situation im Lande? Könne man gerne machen, sagt Hans Heiss und fügt hinzu: „Warten Sie einen Augenblick, ich gehe jetzt in den Friedhof, da ist es ein bisschen ruhiger, als auf der Straße …“

Sagt dies und muss selbst über das düster-mystische Sprachbild, das er soeben gezeichnet hat, lachen.

TAGESZEITUNG Online: Herr Heiss, Sie haben viel politisches Gespür. Wird Arno Kompatscher 2023 noch einmal für das Amt des Landeshauptmannes kandidieren?

Hans Heiss: Das steht auf der Kippe. Ich würde mich jetzt nicht mehr getrauen, darauf zu wetten.

In Ihrem soeben erschienenen Buch „Die Blüten der Macht“ schreiben Sie aber, dass Kompatscher bis 2028 im Amt bleibt …

(lacht) Wir Historiker sind meist schlechte Propheten. Bis zum heurigen Herbst war aus ihm viel Zuversicht zu verspüren. Auch für die Partei war die Unabkömmlichkeit Kompatschers klar, für die Bürger sowieso. Aber aufgrund der vielen Stolpersteine, die man ihm in den Weg gelegt hat, ist seine Motivation einem Härtetest unterzogen worden. Jetzt kann also beides passieren, er kann hinwerfen, aber er kann auch sagen, jetzt erst recht.

Der Untertitel Ihres Buches lautet: „Die Südtiroler Volkspartei zwischen Wunder und Widerspruch.“ Warum Wunder? Warum Widerspruch?

Die SVP ist – zusammen mit der Union Valdotaine – ein Wunder in Italien, weil sie sich so lange als Marke gehalten hat, ohne sich zu verändern. In ganz Europa hat sich – wenn man einmal von den Sozialdemokraten absieht – keine Partei so lange gehalten.

Warum Widerspruch?

Weil die SVP es gewohnt ist mit Gegensätzen und Widersprüchen umzugehen. Sie ist geprägt von Meinungs-und Interessenunterschieden, das ist in ihren Genen verankert. Die SVP wurde von den Dableibern gegründet, mit den Optanten im Hintergrund, das ist ihr Ausgangspunkt.

Wer sind denn aus heutiger Sicht die Dableiber und die Optanten in der SVP? Welche sind die Kontrapunkte?

Wir haben immer die klassischen Interessengegensätze: Wir finden die Bodenständigen, die pragmatischen Interessenvertreter der Wirtschaft plus die patriotischen Restkräfte. Diesen steht ein ökologisch-liberaler Flügel gegenüber …

… wobei der patriotische Flügel der SVP vollends weggebrochen ist …

Richtig, der ist nicht mehr sehr stark, gibt nur mehr vereinzelt Lebenszeichen.

Kann man denn noch von der SVP als Sammelpartei sprechen?

Nein, das kann man nicht, weil sie nicht mehr alles abdeckt. Die SVP verliert insbesondere an den Rändern, insbesondere am rechten Rand, der mit den Freiheitlichen und mit der Süd-Tiroler Freiheit schon recht stark ist. Die SVP verliert aber auch im urbanen Raum, etwa bei den Frauen und auch in anderen Milieus. Die SVP hat nicht mehr die Abdeckung wie vor 20 oder 30 Jahren.

Sie schreiben in Ihrem Buch: Wer dem Edelweiß angehört, weiß sich auf der Seite des Erfolges, hofft auf persönlichen Aufstieg oder auch nur auf ein etwas leichteres Leben …

Ja, so ist es. Solange es Südtirol gibt, dürfte es auch die SVP geben, sie ist Ausdruck der Vorzüge und der Widersprüche dieses Landes.

Glauben Sie, dass die SVP nach den Wahlen 2023 zum ersten Mal nicht mehr automatisch den Landeshauptmann stellen wird? Andersrum: Glauben Sie, dass die SVP auf 12 oder 13 Mandate abrutscht und die anderen Parteien sich zusammenschließen und auf einen LH verständigen?

Nein. Die SVP wird die stärkste Partei bleiben und immer den Anspruch auf den Landeshauptmann stellen. Man muss die Situation schon etwas realistisch betrachten …

Mit realistisch meinen Sie?

Die SVP wird sicher Stimmen verlieren, aber sie wird immer auf einer CSU-Stärke bleiben.

Das bedeutet?

CSU-Stärke, das heißt 35 bis knapp 40 Prozent.

Die Skandale, Affären und de mögliche Abtritt Arno Kompatschers bleiben ohne Folgen?

Die SVP hat seit jeher eine gute Fähigkeit, sich wieder zu aktivieren. Sie ist wie das Edelweiß, das für Lebensfähigkeit auch unter widrigen Bedingungen steht, diese Blume überlebt auch auf felsigem Untergrund und bei tiefen Minusgraden.

Da enttäuschen Sie aber jetzt all jene, die glauben, dass in Südtirol 2023 wieder die Demokratie zurückkehrt?

Mehr als die Affären und Skandale zählen für die SüdtirolerInnen die Chancen auf Zugang zu Einfluss und Macht …

Sie glauben, also, dass die SVP selbst dann nicht weiß Gott wie viele Stimmen verliert, wenn Arno Kompatscher sich – um es mit Paul Köllensperger zu sagen – vertschüsst?

Ja.

Sehen Sie einen Plan B oder einen Kopf B?

Das soeben bei AlphaBeta erschienene Buch von Hans Heiss

Für die Nachfolge – immer vorausgesetzt, Arno Kompatscher wirft hin – kommen die üblichen Verdächtigen in Frage. Die SVP braucht eine Integrationsfigur mit einer guten Führungsqualität, da kann auch jemand aus der zweiten Reihe auftauchen. Den Kompatscher hatte Anfang 2013 auch niemand auf dem Schirm. Kompatscher ist wie Phönix aus der Asche aufgestiegen. Die SVP hat ein gutes Reservoir …

Einspruch: Wenn man sich die Qualität der SVP-Mannschaft im Landtag ansieht, darf man bezweifeln, ob man alle Mitglieder durch den Tüv kriegt …

Ich habe es bereits gesagt: Die SVP hat gute Leute in der zweiten Reihe, ich würde sogar sagen: Das mittlere Management ist besser als die Führungsebene.

Zu Ihrer Partei, Herr Heiss, ist es auch bei den Grünen so, dass der Mittelbau besser ist als die Spitze?

Eigentlich nicht, wir sind relativ kohärent, und auch von der Größenordnung her sind wir nicht so aufgestellt, dass wir das Ganze nicht zusammenhalten könnten. Was stimmt: Die kleinen Parteien neigen in Südtirol zur Selbstzerfleischung, das ist bei den Grünen nicht der Fall …

Gestritten wurde aber auch bei den Grünen, zumindest früher …

Das ist richtig, ich denke an die Zeit von Alessandra Zendron und Cristina Kury …

Das waren noch Zeiten!

(lacht) Ja, für die Medien. Aber bei uns Grünen war nie eine Reanimation gefragt. Und jetzt, unter der Regie von Felix von Wohlgemuth, stellt sich das Problem nicht.

Ist Felix von Wohlgemuth der neue starke Mann?

Das muss man sehen. Er hat ein gutes Profil, er hat Ambitionen, das ist schon einmal eine gute Ausgangsbasis. Bei den Grünen ist auch das Prinzip der zweiten Reihe nicht zu unterschätzen.

Felix von Wohlgemuth

Ist Brigitte Foppa noch die Maxima Leaderin?

Mehr denn je! Sie ist in einer unangefochtenen Position, sie hat Charisma entwickelt und ist jetzt weit entfernt von den Klischees, die sie vor fünf bis sechs Jahren noch begleitet haben.

Herr Heiss, wenn man sich die Wahlergebnisse in anderen Ländern ansieht, fällt auf, dass die Grünen nie haushoch gewinnen oder haushoch verlieren, sondern dass sie eine Stammwählerschaft haben und ein paar Prozent gewinnen oder verlieren. Warum sind die Grünen nie Gewinner oder Profiteure der Krisen anderer Parteien?

Sie wollen damit sagen, die Grünen starten immer als Tiger und landen als Bettvorleger?

Ja, so ungefähr.

Was stimmt, die Grünen-Wähler sind nicht so emotional wie etwa die Freiheitlichen, in meinem Buch schreibe ich von einer blauen Achterbahn. Dennoch denke ich, dass die Grünen in Südtirol ein starkes personelles Angebot haben und dass auch der Genosse Trend in Gestalt der Klimaerwärmung als Schubkraft hilft.

Protestwähler wählen aber nicht grün?

Das ist richtig, die Grünen sind inzwischen eine etablierte Partei. Die Wutbürger gehen nicht zu den Grünen.

Verraten Sie uns, warum sich die Opposition – insbesondere STF und Team K – Kompatscher als gemeinsamen Feind ausgesucht haben?

Ich würde da etwas abstufen. Das Team K sieht in Kompatscher zwar die beleidigte Autonomieprinzessin, aber beim Team K sehe ich schon auch bestimmte Sympathien für den LH. Richtig ist: Für die STF ist Kompatscher ein Feindbild, weil er eine wenig volkstumspolitisch Linie fährt und deshalb eine Persona non grata ist. Diesen Spalt versucht die STF zu vertiefen.

Sie glauben also nicht, dass es 2023 zum großen Umbruch, zum großen Schnitt kommen wird?

Ich bin Historiker und daher ein schlechter Prophet. Sicher wird es stärkere Verschiebungen geben, aber es wird keine Revolution geben. Die SVP ist immer gut im Aufholen, außerdem hat sich in den „Dolomiten“ einen zweiten Lungenflügel, der sie bei Bedarf über Wasser hält. Viele Menschen in Südtirol werden sich sagen: So letz isch die SVP net, die anderen sein net viel besser.

Sie glauben nicht, dass Team K oder Grüne das nächste Mal in der Regierung sitzen?

Die SVP wird mit allen Mitteln eine Regierung anstreben, in der keine andere deutschsprachige Partei sitzt. Das ist ein Grundprinzip der SVP. Es ist möglich, dass die SVP in diese Zwangslage kommt, aber ich halte das eher für unwahrscheinlich.

Danke, Herr Heiss, für das Gespräch.

Gerne. So, und jetzt gehe ich wieder aus dem Friedhof hinaus (lacht).

PS:

Das Interview wurde vor der Entscheidung des LH zu seiner Wiederkandidatur geführt.

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