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„Unschuldige” Töne aus der Retorte

Caroline Profanter: „Feedback Circuits—bzzz“ für „Amplified Objects and Live Electronics“ (Foto: Manuela Tessaro)

Zum Abschluss des 48. Festivals Zeitgenössischer Musik gibt es Live-Electronics und Elektronische Musik von Felix Nussbaumer und Caroline Profanter.

Von Hubert Stuppner 

Zum Abschluss des diesjährigen Festivals Zeitgenössischer Musik werden am Wochenende im Bozner „Centro Trevi” zwei Programme präsentiert, die einerseits den Neoklassizismus des 20. Jahrhunderts zum Gegenstand haben und andererseits zeitgenössische Werke unter Zuhilfenahme besonderer Elektronischer Medien, enthalten, u.a. eine Uraufführungen des jungen in Zürich lebenden Südtiroler Komponisten Felix Nussbaumer und der in Brüssel wirkenden Südtiroler Akusmatikerin Caroline Profanter.

Was hat der moderne Neoklassizismus, etwa der von Strawinsky und Hindemith, mit elektronischer Musik zu tun? Der Neoklassizismus, der inzwischen in der Musikgeschichte den definitiven Stellenwert von Klassik eingenommen hat, war in seiner Entstehungszeit, in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, eine avantgardistische Gegenbewegung zum Klangrausch der Romantik und Spätromantik. Die Elektronische Musik um einige Jahrzehnte später verhielt sich ebenfalls antagonistisch zur musikalischen Entwicklung, indem sie im Zuge der radikalen Distanzierung zur Kulturschande des Faschismus und seiner Verbrechen nicht nur dessen tonale und posttonalen Produkte verwarf, sondern sogar die Jahrhunderte alte Allianz mit den Ausführenden aufkündigte und das Publikum direkt mit den „unschuldigen” Tönen aus der Retorte konfrontierte.

Eine Art Kommunikations-Quarantäne, in der sich Komponisten in den elfenbeinernen Turm einer frigiden Selbstgenügsamkeit zurückzogen und mit apollinischen Glasperlenspielen der „verdächtigen” triebhaft dionysischen Umarmung zwischen dem Interpreten und dem Publikum aus dem Weg gingen. In beiden Formen der intellektuellen Emanzipation vom Rausch sind Sublimierung und Distanzierung, der des Neoklassizismus und der elektronischen Musik, Rückzug und Bewahrung eines kühlen Kopfes durch Berechnung und Struktur die Grundelemente einer emotionsfreien Gestaltung der Töne.

Vorstufe der elektronischen Vision einer menschenleeren Musik waren allerdings auch der Futurismus und der Fauvismus, Bewegungen, die in eine Schöpfung ohne den Menschen investierten und sich weigerten mit irgendjemanden zu kommunizieren. Der Futurist Luigi Ruffolo propagierte mit seinem 1913 publizierten Manifest „L’arte dei rumori“ eine systematische Abkehr von reinen, genießbaren und konsumierbaren Klängen. Mit seinem „Intona-Rumori“-Instrument komponierte er „Risveglio di una città”, indem er das geräuschvolle Erwachen eine Stadt als schrillen Wecker darstellte.Auf die Futuristen  beriefen sich weiter1939 John Cage mit seiner Geräuschkomposition „Imaginary Landscape No 1“, der neben akustischen Instrumenten auch drei Plattenspieler mit Testtönen unterschiedlicher Frequenz zusammenstellte, eine Vorgangswesie, an die 1948 auch der französische „Musique Concrète“-Künstler   Pierre Schaeffer mit seinen Etüden über Zuggeräusche „Études aux chemins de fer“ anknüpfte.

Bei Schaeffer sprach nach dem  Krieg in Paris der deutsche Avantgardist Karlheinz Stockhausen vor, der von Schaeffer des Geräusch-Handwerk lernen wollte, aber dann zu wahren elektronischen Geräusch-Etüden überging und in den Fünfziger Jahren in dem von Herbert Eimert am Kölner WDR gegründeten elektronischen Studio sein erstes voll elektronisches Werk „Die Jünglinge im Feuerofen“ realisierte.

Verfolgt man diese ästhetische und konzeptuelle Entwicklung kann man wohl sagen, dass die Elektronische Musik, wie wir sie heute kennen, aus dem Geiste der „Musique Concrète“ entstand, sich aber dann durch Läuterung und Sublimation zu einer autonomen Branche der zeitgenössischen Musik entwickelte, die heute in zahlreichen technisch hoch entwickelten Laboratorien, etwa an der Stanford University und am IRCAM in Paris, aus den Retorten des Unerhörten als Utopie einer auf jedweden Interpreten verzichtenden Menschheit entsteht.

Termine: Samstag, 3. Dezember, 18 Uhr Centro Trevi, das Monteverdi-Bläser-Ensemble unter Maurizio Colasanti führt Werke des historischen Neoklassizismus (Varèse, D’Indy, Hindemith, Enescu) auf. Sonntag, 4. Dezember, 18 Uhr, Roberta Gottardi, Klarinette mit Electronics und Werken von F. Cifariello-Ciardi und Ivo Nilson und einer Uraufführung von Felix Nussbaumer. Sowie Caroline Profanter mit „Feedback Circuits—bzzz“ für „Amplified Objects and Live Electronics“

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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