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Gerechte Beiträge?

Das Beitragswesen schürt den Sozialneid – und animiert zu Falscherklärungen: Der SVP-Abgeordnete Helmuth Renzler über die verarmende Mittelschicht, die Gratwanderungen und die Folgen der Subventionspolitik. 

Tageszeitung: Herr Renzler, der Sozialneid in Südtirol…

Helmuth Renzler: Den gab es seit Beginn des Beitragswesens immer schon. Das ist eine Südtiroler Krankheit.

Mit den Corona-Hilfen und den jetzigen Energiehilfen wird dieser aber immer mehr spürbar. Haben auch Sie den Eindruck? 

Letzthin über Facebook. Für das Ansuchen um den Energiebonus ist die ISEE notwendig. Ich habe auf dem sozialen Netzwerk eine Anleitung für die Ansuchen veröffentlicht. Einige Kommentatoren haben dann recht blöde Aussagen getätigt. Aber bei den Energiehilfen hält sich der Sozialneid in Grenzen, weil Personen mit bis zu 40.000 Euro Bruttoeinkommen in den Genuss dieser Gelder kommen. Und das sind ziemlich viele. Natürlich fallen auch einige durch, deren Einkommen geringfügig darüber liegt. Diese nehmen das wie so oft bedauernd, aber mit Anstand zur Kenntnis. Was die Leute oft nicht wissen: Das aus der ISEE resultierende Einkommen ist nicht deckungsgleich mit dem wirklichen Einkommen, weil viele Freibeträge zum Tragen kommen. Viele haben deswegen den Antrag gar nicht gestellt. Und viele wissen noch nicht mal, ob sie diesen Bonus erhalten, weil erst in diesen Tagen mitgeteilt wird, wer hineinfällt. Bei den Patronaten, wo die ISEE erstellt wird, gibt es zurzeit recht lange Warteschlangen.

Es gib hierzu keine Kritik? 

Kritik habe ich nur vernommen, weil das Familieneinkommen zählt. Gerade der Mittelstand kommt aufgrund dieses Kriteriums nicht zum Zug. Auf der anderen Seite möchte ich betonen, dass ich diese Maßnahme als sehr zielführend erachte. Es können hier auch Einzelpersonen und Rentner ansuchen. Man schätzt, dass rund 80 Prozent der Rentner Anspruch haben. Das ist begrüßenswert. Daher habe ich nicht viel Negatives zu dieser Hilfe gehört, was nicht heißt, dass die Kritik nicht noch kommen kann.

Bei der Beitragsvergabe – ob Mietzuschüsse, Familienbeihilfen usw. – fällt immer wieder die Mittelschicht durch den Rost – ähnlich wie bei den außerordentlichen Hilfen, wie bei den Coronabeihilfen oder eben auch nun beim Energiebonus. 

Das trifft zu.

Auch von den Banken wird bestätigt, dass die Mittelschicht immer mehr verarmt. Können Sie bei dieser Kategorie den Sozialneid nachvollziehen?

Ja, das kann ich nachvollziehen. Die Personen der unteren Mittelschicht, die bei einem Bruttoeinkommen von 28.000 Euro startet, sind reine Nettozahler. Wenn sich diese mit einem Nachbar vergleichen, der ein paar Überstunden weniger macht, aber die Beiträge kassiert, stellt sich effektiv die Frage, ob es sinnvoll ist, weiterhin zu buggeln, um mehr Einkommen zu haben, wenn netto Ende des Jahres fast weniger als beim Nachbarn herausschaut. Hinzu kommt, dass die Löhne mit den erhöhten Lebenserhaltungskosten nicht mehr mithalten können.

Es stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß sich das Arbeiten rentiert. Immer wieder lautet es: Gerade für eine Mutter sei es finanziell lohnender, nicht in Vollzeit, sondern „nur“ halbtags einem Beruf nachzugehen und sich – auch wenn nicht korrekt – als Alleinerziehende zu deklarieren. Durch die sich akkumulierenden Beiträge bleibe am Ende des Monats mehr übrig. Entsprechen diese Behauptungen der Wahrheit?

Ja, dem ist so. Gerade wenn die Landesbeiträge an die EEVE, sprich an die Einheitliche Einkommens- und Vermögenserklärung, gekoppelt sind. Zwischen Mietkostenbeitrag, Heiznebenspesen, Landesfamiliengeld, dem „Assegno unico“ usw. könnte es effektiv so weit kommen, dass es sich für Mütter nicht rentiert, die Arbeitszeiten auf 75 Prozent oder gar auf Vollzeit aufzustocken, weil sie dann durch das zusätzliche Gehalt nicht mehr Anspruch auf die Beiträge haben. Die Thematik ist eine ähnliche, als der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder Hartz IV eingeführt hat. Vorher hatte ein Maurer in Deutschland bei einem 40-Stunden-Job in der Woche 1.200 Mark Gehalt erhalten. Als Hartz IV-Empfänger erhielt er 1.100 Mark. Wegen 100 Mark ging dieser Arbeiter dann nicht mehr einem 40-Stunden-Job nach. Und wir bewegen uns in die ähnliche Richtung. Man muss aber auch sagen: Die ganzen Covid-Hilfen sind nur einmalige Hilfen. Wir haben aber mit der Landesrätin Waltraud Deeg in dieser Legislatur sehr viele weitere Unterstützungshilfen für Familien eingeführt. Aber die Unterstützungsmaßnahmen – und hierzu lässt es sich mit der Landesrätin nicht gut reden – dürfen nicht so weit gehen, dass sich das Arbeiten nicht mehr rentiert.

Läuft durch das Beitragswesen etwas falsch? 

Diese Befürchtung habe leider auch ich. Und ich habe diese Bedenken sowohl im Landtag als auch bei der Familienlandesrätin mehrmals vorgebracht: Wir müssen insgesamt mit der Beitragsvergabe aufpassen, damit sich das Arbeiten weiterhin lohnt. Wir stellen uns auch die Frage, warum sich so wenig Leute bei den Wettbewerben beteiligen. Man möchte meinen, dass mit Covid die Arbeitskräfte verschwunden sind. Und eine Annahme ist nun mal auch, dass mit der heutigen Beitragspolitik des Landes für viele, die in Teilzeit arbeiten, eine Arbeit fast uninteressant geworden ist.

Der Arbeitskräftemangel ist eine Folge des Beitragswesens? 

Wir haben lange gerätselt, woran das liegen kann. Wie die Banken erklärt haben, sind die Ersparnisse in Corona-Zeiten angestiegen. Demzufolge jammern wir auf hohem Niveau. Aber wir müssen Maßnahmen setzen, und für jene, die effektiv bedürftig sind – und von denen gibt es viele – das Geld zur Verfügung stellen. Hinsichtlich der Falscherklärungen wird man vielleicht die Kontrollen verstärken müssen, was jedoch schwierig ist, weil das Personal nicht vorhanden ist. Nach der Krisenzeit müssen wir gewissen Dingen sicherlich wissenschaftlich auf den Grund gehen und einige überdenken.

Werden die Familien fast zum Schwindeln animiert? Fast jeder kennt in seinem Umfeld eine „alleinerziehende“ Mutter, die jedoch keine ist…

Da kenne ich schon auch welche. Moralisch ist das aber sicherlich nicht richtig. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Bürger korrekte Daten angeben. Jenen Leuten, die effektiv unkorrekte Angaben machen, ist zumeist nicht bewusst, dass ihr Tun strafrechtliche Folgen haben kann. Aber gerade bei den „Alleinerziehenden“ ist die Kontrolle oft schwierig, wenn das Paar nicht verheiratet ist. Viele glauben, sie begehen nur ein Kavaliersdelikt und sind sich der Folgen nicht bewusst. Das Geld fehlt dann anderen, die es wirklich notwendig bräuchten.

Glauben Sie, dass eine große gesellschaftliche Kluft entstehen wird? 

Diese existiert bereits. Ein Thema ist die Beitragspolitik, ein anderes die Lohnnebenkosten. Ein Beispiel: Wenn ein Paar Ski fahren gehen will, bezahlt es nur für die Tageskarte pro Person 70 Euro. Mit einem Mittagessen, plus der Treibstoffspesen für das Auto braucht das Paar, wenn es sparsam ist, 200 Euro am Tag. Wie oft kann sich ein Angestellter bei einem Nettoeinkommen von 1.800 Euro das Skifahren im Monat leisten? Die Leute müssten sich jetzt etwas einschränken und den Lebensstil überdenken. Gerade die Jungen, die in den Wohlstand hineingeboren wurden, tun sich mit dem Verzicht nicht leicht.

Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf? 

Der höchste Betrag fließt ins Wohnen – unabhängig davon, ob die Wohnung gekauft oder gemietet wird. Es braucht mehr Mietwohnungen auf dem Markt und eine Reduktion der Baukosten. Abgesehen davon sind auch die Grundstückspreise horrend. Die Gemeinden müssen rechtzeitig die notwendigen Gründe aufkaufen und diese dann kostengünstig zur Verfügung stellen. Auch steuerlich kann in geringem Maße gesteuert werden. Mittelfristig müssen wir erreichen, dass sich junge Leute, die sich eine Wohnung kaufen wollen, nicht ihr Leben lang verschulden müssen, sondern in einem absehbaren Zeittraum schuldenfrei sind. Ein schwieriges Vorhaben, das wir aber erreichen müssen.

Interview: Erna Egger

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